Full text: Central-Blatt für das Deutsche Reich. Fünfter Jahrgang. 1877. (5)

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zur Entlassung aus der Krankenanstalt resp. aus der Armenpflege. Wenn der erste Richter gleichwohl an- 
nimmt, daß K. in der Zeit von 89 Tagen, für welche nachträglich Ersatz geleistet wurde, dem schließlichen Effekte 
nach Gegenstand der Armenpflege nicht gewesen sei, so beruht diese Annahme auf einer Verkennung des 
Wesens der Armenpflege. Jede Armenunterstützung ist ein dem Hülfsbedürftigen gewährter Vorschuß, welchen 
er zurückzuerstatten verpflichtet ist, sobald er es vermag. Daraus folgt von selbst, daß die einem Hülfs- 
bedürftigen gewährte Krankenpflege ihres Karakters als Armenpflege durch nachträgliche Ersatzleistung keines- 
wegs entkleidet wird. Nur der Ersatzanspruch gegen den fürsorgepflichtigen Armenverband wird durch die 
aus den eigenen Mitteln des Verpflegten erlangte Deckung, je nach dem dieselbe eine vollständige war oder 
nicht, getilgt oder doch ermäßigt. 
Ist aber Armenpflege nicht, wie der erste Richter voraussetzt, erst am 90. Tage nach dem 16. De- 
zember 1874, sondern mit der Aufnahme in die Krankenanstalt eingetreten und 139 Tage, nicht blos 
50 Tage lang, gewährt worden, so erstreckte sich die Ersatzpflicht des Verklagten ursprünglich auf 97 Tage 
(139— 42), und zwar auf diejenigen 97 Tage, welche den ersten sechs Wochen der Krankenpflege folgten 
(§. 29 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870). Die in dieser Zeit erwachsenen Kurkosten berechnen sich zu 
den tarifmäßigen Pauschsätzen von 65 + 10 = 75 Pf. auf 72 M 75 Pf. So hoch belief sich also die 
ursprüngliche Ersatzforderung des Klägers gegen den Verklagten, und es kann sich nur fragen, ob dieselbe 
nicht durch die geleistete Zahlung von 178 M 39 Pf. volle Befriedigung gefunden hat. 
Bei Beurtheilung dieser Frage kommt in Betracht, daß neben dem Ersatzanspruche gegen den Verklagten 
in Höhe von 72 M 75 Pf. dem Kläger eine Forderung von 139 M 2 = 278 M gegen den ver- 
pflegten Rudolf K. zustand. Die für Rechnung des Letzteren geleistete Zahlung befreite den Verklagten von 
seiner solidarischen Ersatzverbindlichkeit, welche sich auf die letzten 97 Tage der Krankenpflege und den tarif- 
mäßigen Betrag der Kurkosten beschränkte, nur insoweit, als Kläger nicht berechtigt war, die Zahlung auf 
die eigene, jene solidarische Haftung des Armenverbandes übersteigende Schuld des Verpflegten anzurechnen. 
Nach einem bekannten civilrechtlichen Grundsatze wird durch eine ohne nähere Bezeichnung der Schuld ge- 
leistete Zahlung zunächst die minder gesicherte Forderung getilgt. Hiernach war Kläger befugt, in der Zah- 
lung von 178 M 39 Pf. zuerst Befriedigung seiner Forderung an täglich 2 M Kurkosten für die ersten 
sechs Wochen der Krankenpflege — einer Forderung, welche zugleich die ältere war — (84 M zu suchen. 
Die übrig bleibenden 94 M 39 Pf. durfte er sodann auf die Kurkosten an weiteren 47 Tagen, welche 
K. mit 94 M schuldete, anrechnen. Denn er war nicht verpflichtet, gerade den durch die solidarische 
Haftung des Verklagten gesicherten Theil der sämmtlichen noch nicht bezahlten Kurkosten als getilgt zu rechnen, 
da die Zahlung nicht vom Verklagten oder für dessen Rechnung, sondern für Rechnung des K. ohne spezjielle 
Erklärung geleistet wurde. Mithin blieben die Kurkosten für 50 Tage ungedeckt bis auf einen Betrag von 
39 Pf., welcher von dem tarifmäßigen Pauschauantum von 37 M. 50 Pf. in Abzug kommt. 
  
                                          8. Eisenbahn= Wesen. 
  
In einer am 24. Januar d. Js. von der Königlichen Direktion der Ostbahn mit Vertretern des Handels, 
der Industrie und der Landwirthschaft zu Bromberg abgehaltenen Konferenz ist über einen Antrag des Vor- 
steher-Amtes der Kaufmannschaft zu Königsberg berathen worden, welcher eine häufigere Berufung der Aus- 
schußsitzungen, als seither, befürwortet. Die große Mehrheit der auf der Konferenz vertretenen Korporationen 
hat dem beigepflichtet, während die Königliche Direktion der Ostbahn die bisherigen, regelmäßig zweimal 
jährlich stattfindenden Ausschußsitzungen für genügend erachtete und sich zur Einberufung außerordentlicher 
Sitzungen für den Fall des Bedürfnisses bereit erklärte. 
Nach den auch bei denjenigen Eisenbahnverwaltungen, welche derartige Konferenzen regelmäßig 
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