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geben wolle, um dort Heilung zu suchen; dieser Absicht sei er nicht entgegengetreten und habe
ihn entlassen. Der Gemeindevorsteher H. endlich sagt aus: St. sei zu ihmegekommen und habe über
seinen Fuß geklagt, daß derselbe schlimmer geworden sei, und er es nicht mehr machen könne, daß
er auch fürchte, daß der Fuß noch schlimmer werde und deshalb wünsche nach Veltheim zu gehen,
weil er dort geboren sei. St. habe ihn gebeten, wegen seiner Aufnahme in Veltheim einmal
an den dortigen Schulzen zu schreiben, was er auch gethan habe. Daß der kranke Fuß wirklich
den St., wie er angab, damals bereits arbeitsunfähig gemacht habe, dafür spricht nicht nur der
vorgerückte Zustand des Leidens, welches die ärztlichen Zeugnisse wenige Tage später konstatiren,
sondern auch die Thatsache zur vollen Ueberzeugung, daß er am 10. Februar 1874 9 Stunden
gebrauc, um den nur 1; bis 2 Stunden betragenden Weg von Kalme nach Veltheim zurück-
zulegen.
St. hatte bei seiner Entlassung von Qu. etwa 4 Thlr. Lohn erhalten, wovon er nach Zah-
lung einer Schuld beim Schuhmacher und Schneider nur einige Groschen übrig behalten hatte.
Er befand sich also bei seiner Arbeitsunfähigkeit und Mittellosigkeit in einem Zustande, in welchem
er, wenn die wenigen in seinem Besitze befindlichen Groschen ausgereicht hätten, ihn kurze Zeit
vor Hunger zu schützen, jedenfalls die Mittel nicht besaß, die Kosten der durch seine Krankheit
nothwendig gewordenen ärztlichen Behandlung und Pflege zu bestreiten.
Allerdings hat St. gleichwohl die unmittelbare öffentliche Armenpflege des Armenverbandes
Kalme hierzu nicht in Anspruch genommen. Er sagt vielmehr aus, er habe, der festen Versiche-
rung des Gemeindevorstehers H., daß ihm in Veltheim Unterstützung gewährt werden müsse, ver-
trauend, in Kalme um eine Unterstützung nicht angehalten, obgleich er bei seiner Anwesenheit
daselbst nicht nur völlig arbeitsunfähig, sondern auch ohne alle Existenzmittel gewesen sei. Der
Vorsteher H. will auch von einer Hülfsbedürftigkeit des St. während dessen Anwesenheit in
Kalme nichts erfahren, namentlich nicht gewußt haben, ob er damals noch Existenzmittel besaß.
Allein derselbe giebt doch selbst an, daß zwischen ihm und St. über dessen Aufnahme in Velt-
heim verhandelt worden, daß St. deshalb Bedenken geäußert habe, weil er von dort so lange
sort sei, und daß er, da er nicht wußte, welcher von den verschiedenen Orten, an denen sich St.
aufgehalten, zu der Unterstützung desselben verpflichtet sei, zunächst nach Veltheim als seinem Ge-
burtsorte geschrieben habe. Es ergiebt sich schon hieraus, daß es sich bei der fraglichen Unter-
redung über die Verpflichtung zur Aufnahme des St. wesentlich um die Frage nach der Ver-
pflichtung zur Unterstützung desselben handelte, daß gerade das Bedürfniß einer solchen Unter-
stützung den St. zum Gemeindevorsteher geführt und daß er denselben um seine Vermittelung in
Veltheim deshalb gebeten hatte, damit diesem Bedürfnisse dort abgeholfen werde. Noch unzwei-
deutiger geht dies aber aus dem bei den Akten des Landrathsamtes Halberstadt befindlichen
Briefe des Gemeindevorstehers H. vom 7. Februar 1874 an den Schulzen in Veltheim hervor.
Derselbe lautet nämlich:
„Geehrtester Freund, ich muß Sie benachrichtigen, daß der Dienstknecht St. von da, bei
Ackermann Franz Qu. ist, nun aber krank ist, wegen sein Bein, daß er nicht mehr arbeiten
kann, nun wünschte, er nach Veltheim, weil er da geboren ist, und seine Unterstützung kriegte.
Lieber Freund benachrichtigen Sie mir, was Ihr Wunsch ist.“
Es ist hiernach außer allem Zweifel, daß die Bitte des St. nach der eigenen Auffassung des
Vorstehers in Kalme den Zweck hatte, die Unterstützung der hierzu für verpflichtet erachteten Ge-
meinde Veltheim zu erlangen. Damit hatte St. aber auch die öffentliche Armenpflege thatsächlich
für sich in Anspruch genommen. In welcher Weise er dies that, daß er Armenhülfe nicht ge-
rade von dem Armenverbande Kalme verlangte, ja sogar sogleich den Wunsch ausgesprochen haben
mag, daß ihm dieselbe an seinem Geburtsorte Veltheim zu theil werden und der Gemeindevor-
steher das hierzu Erforderliche vermitteln möge, ist für die vorliegende Entscheidung ebenso uner-
heblich, als die Frage, ob der Vorsteher von Kalme sich von der thatsächlich nach Obigem wirk-
lich vorhandenen Hülfsbedürftigkeit des St. persönlich näher überzeugt hat, oder sich davon nicht
näher überzeugen zu müssen geglaubt hat, da nach seiner und auch nach der Meinung des Hülfe
Nachsuchenden es einem anderen Armenverbande oblag, dieselbe zu gewähren. Denn es kommt