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5. Justiz-Wesen.
Durch Kaiserlich russische Verordnung vom 23. März d. J. ist dem Kommerzgericht in Odessa, welchem die
Entscheidung über gerichtliche Wechselklagen schon nach früheren Bestimmungen zusteht, auch die Beitreibung
der Forderungen aus protestirten Wechseln von Personen, welche ihren Wohnsitz in Odessa und dessen Kreis
haben, überwiesen worden.
6. Heimath= Wese n
—.
Die Frage, ob die Kosten versuchter Wiederbelebung eines anscheinend leblosen Hülfsbedürftigen als Armen-
pflegekosten erstattbar sind, hat das Bundesamt in Sachen Schlesien c./a. Sabitz am 5. Mai 1877 bejahend
entschieden. Das Erkenntniß berührt zugleich die Frage, inwieweit derartige Kosten der Festsetzung nach dem
preußischen Tarife vom 21. August 1871 unterliegen.
Am 3. Dezember 1875 wurde zu Sabitz ein unbekannter Mann, später rekognoszirt als
der Müllergeselle Joseph S., in anscheinend leblosem Zustande auf der Straße liegend gefunden.
Der vom Kläger zugezogene Kreiswundarzt R. konstatirte den eingetretenen Tod, nachdem er er-
folglos Wiederbelebungsversuche angestellt hatte, und es wurde hierauf der Leichnam des mittellosen
Joseph S. auf Kosten des klagenden Armenverbandes beerdigt. Die Aufwendungen für die Be-
erdigung selbst hat der verklagte Landarmenverband in Anerkennung der Domizillosigkeit und
Hülfsbedürftigkeit des Verstorbenen erstattet. Dagegen weigert er sich, die Kosten der Wieder-
belebungsversuche (9 Mark an ärztlichen Gebühren) zu ersetzen, und hat gegen die ihn dazu ver-
urtheilende erstinstanzliche Entscheidung fristzeitig appellirt.
Nach seiner Ansicht werden Wiederbelebungsversuche nicht im Interesse der Armenpflege,
sondern im polizeilichen Interesse angestellt, während der erste Richter davon ausgeht, daß die
Kosten solcher Versuche die Natur der Pflegekosten in Krankheitsfällen haben und als solche der
Armenpflege zur Last fallen. Die in erster Instanz festgestellte Domizillosigkeit des Joseph S. hat
Verklagter in der Berufungsausführung nicht weiter angefochten.
Die Berufung des Verklagten ist nicht begründet.
Wiederbelebungsversuche an einem anscheinend leblosen Hülfsbedürftigen haben den Zweck,
entweder den wirklich eingetretenen Tod desselben zu konstatiren, oder den Lebenden aus seinem
Scheintode zu befreien und am Leben zu erhalten. Dieselben dienen mithin einem Interesse des
Hülfsbedürftigen selbst, und werden keineswegs ausschließlich oder vorwiegend im polizeilichen
Interesse veranstaltet. Der zur vorläufigen Fürsorge verpflichtete Armenverband ist danach nicht
in der Lage, seine Hülfe zur Anstellung von Wiederbelebungsversuchen abzulehnen, wenn der
Eintritt des Todes eines Hülfsbedürftigen in der That zweifelhaft ist, wenn also einerseits die
Möglichkeit sich darbietet, den Hülfsbedürftigen dadurch am Leben zu erhalten, andererseits die
Konstatirung des Todes zum Zwecke der Beerdigung ohne vorgängige Wiederbelebungsversuche
unmöglich ist. Haben dieselben Erfolg, so fallen sie unter den Gesichtspunkt der Krankenpflege
und die dafür aufgewendeten Kosten sind mit dem ersten Richter als Pflegekosten in einem Krank-
heitsfalle zu betrachten. Wird dagegen, wie im vorliegenden Falle, durch die Erfolglosigkeit der
Versuche der Eintritt des Todes festgestellt, so kann von Krankenpflege nicht die Rede sein. Viel-