432 V. Reichstag. Art. 23.
1906 Anl. der 11. Leg. Per. Seff. 2 B. 6 Nr. 499 S. 4815 — Überein-
stimmend Laband 1 S. 282 A. 3, v. Rönne I S. 186 A. 1. In der Frage,
ob für die Vertretung der österreichischen Stadt eine Befugnis, sich an den
Reichstag zu wenden, bestand, ging die Kommission davon aus, daß Art. 23
im Gegensatz zu Art. 32 der preuß. Verf.Urk. nicht von einem Petitions-
recht der Deutschen im Gegensatz zu Ausländern spreche und daß deshalb
Ausländer nicht gehindert seien, bei dem Reichstag Petitionen einzureichen.
Dies ist nicht unbedenklich, da die subjektive Befugnis zum Petitionieren
nicht nach Art. 23, sondern nach dem Landesstaatsrecht zu beurteilen ist.
Andererseits wird es kaum am Platze sein, Ausländern gegenüber auf das
ausländische Recht zurückzugehen. Eine praktische Lösung würde es viel-
leicht sein, wenn der Reichstag solche Petitionen nicht formell erledigt,
aber wenn ihm der Inhalt bedeutungsvoll erscheint, daraus Veranlassung
nimmt, die Angelegenheit spontan aufzugreifen und eventuell zum Gegen-
stande einer Interpellation und Resolution zu machen; vgl. auch Be-
schluß des preuß. Herrenhauses v. 1. Dez. 1904 und Meyer § 223 A. 9
S. 818.
Eine verfassungsmäßige Pflicht des Reichstags, die Legitimation des
Petenten zu prüfen, geht übrigens aus Art. 28 nicht hervor; ebenso Wagner
in Hirth's Annalen 1906 S. 44 ff. Andererseits wäre es — von Aus-
nahmefällen wie der vorstehende abgesehen — nicht gut, gerade weil das
Gewicht der Entscheidungen des Reichstags in Petitionsangelegenheiten
mehr auf moralischem als auf juristischem Gebiet liegt, wenn der Reichstag
die Frage, ob die Petition mit den staatsrechtlichen Pflichten des Petenten
vereinbar ist, ganz übergehen, und sich mit der Tatsache begnügen wollte,
daß die Petition an ihn gelangt ist.
Die Worte „innerhalb der Kompetenz des Reichs“ beziehen sich auch
auf das Petitions-Uberweisungsrecht des Reichstags, sodaß dieses Recht in
Ansehung des Stoffgebietes so weit reicht als das Initiativrecht des Reichs-
tags für die Gesetzgebung; ebenso Wagner in Hirth's Annalen 1906 S. 47.
Über die geschäftsordnungsmäßige Behandlung der Petitionen enthalten die
§§ 26 ff der G.O. des Reichstags nähere Bestimmungen. Petitionen, die
der Reichstag für ungerechtfertigt erachtet, werden durch übergang zur
Tagesordnung erledigt. Will der Reichstag, ohne zu der Petition Stellung
zu nehmen, ihrem Inhalt Beachtung geschenkt sehen, so überweist er die
Petition als „Material“, nämlich für künftige Maßregeln der Gesetzgebung
oder der Verwaltung. Petitionen, die der Reichstag nicht für unbegründet
erachtet, werden „zur Erwägung“ und falls er sie für begründet hält, „zur
Berücksichtigung“ überwiesen.
Die Erledigung der Petitionen ist ein Verwaltungsgeschäft, und des-
halb werden die Petitionen dem Bundesrat oder Reichskanzler überwiesen, je
nachdem sie zu dem Verwaltungsressort des einen oder anderen gehören.
Petitionen, die eine Beschwerde darüber zum Gegenstand haben, daß
der Petent bei einer Behörde mit seinen Ansprüchen nicht durchgedrungen
sei, können der Natur der Sache nach vom Reichstag erst angenommen
werden, wenn der Instanzenzug erschöpft ist; vgl. die Außerung des Abg.
Gneist in der Reichstagssitzung v. 5. Mai 1871 St.B. 567. Über Petitionen
zu verhandeln, die Beschwerden gegen rechtskräftige Entscheidungen richter-
licher Behörden enthalten, würde mit der Unabhängigkeit der Gerichte unver-