II. Reichsgesetzgebung. Art. 3. 77
würde hierin, da ein solches Verfahren die Gewährung von Vorrechten
an die eigenen Staatsangehörigen involviert, eine Bevorzugung der letzteren
und damit ein Verstoß gegen Art. 3 liegen.
2. Fester Wohnsitz.
Eine Konsequenz des gemeinsamen Indigenats ist es, daß der Angehörige
eines Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate zum festen Wohnsitz zu-
zulassen ist. Mit Bezug hierauf hat der Bundeskommissar v. Savigny in
der Sitzung des konst. Reichstags v. 19. März 1867 (St.B. 251) erklärt:
„Der Art. 3 enthält in bezug auf das Indigenat eine Reihe von
großen Fortschritten auf dem Gebiete der Zusammengehörigkeit in Nord-
deutschland; er hat die Schlagbäume für die Menschen hinweggeräumt,
so wie schon früher die Zollschranken für Waren hinweggeräumt wurden;
er hat gewissermaßen teilhaftig gemacht sämtliche Einwohner des Nord-
deutschen Gebiets aller der großen und ausschließlichen Privilegien, deren
sich bisher nur die standesherrlichen Familien auf Grund der alten Bundes-
verfassung erfreuten; d. h. jedermann ist von nun an an jedem Orte
heimatsberechtigt, und dies im vollsten Sinne des Wortes; seiner Wahl
steht es frei, wo er leben und wirken will.“
Der Schwerpunkt dieser Ausführung liegt in dem ersten Satze; Art. 3
hat die „Schlagbäume“ für den Verkehr der Menschen von einem Bundes-
staat zum anderen hinweggeräumt. Der zweite Satz, daß jeder Mensch an
jedem Orte heimatsberechtigt sei, ist natürlich — wie der erste Satz —
nur dahin zu verstehen, daß jeder Deutsche alle Bundesstaaten für die
Freiheit der Niederlaffung in demselben Sinne als seine Heimat ansehen
kann, wie es die eigenen Angehörigen des betreffenden Bundesstaats tun
können, also ebenfalls nur mit denselben Beschränkungen, denen auch die
eigenen Angehörigen des Bundesstaats unterliegen; vgl. die Ausführungen
des Abg. Braun in der Sitzung des konst. Reichstages v. 11. März 1867
St. B. 132, der ausdrücklich zugab, daß Art. 3 noch keineswegs die An-
erkennung der Gewerbefreiheit oder der Freiheit der Niederlassung, sondern
nur die Anerkennung des Prinzips der Gleichberechtigung mit den An-
gehörigen des eigenen Bundesstaats enthalte.
Einen Fortschritt im Sinne der Aufhebung der in nerhalb der einzelnen
Bundesstaaten bestehenden Niederlassungsbeschränkungen brachte erst das
Gesetz über die Freizügigkeit v. 1. Nov. 1867 B. G. Bl. S. 55, dessen 81
bestimmt:
„Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundesgebiets:
1. an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene
Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen imstande ist;
. an jedem Orte Grundeigentum aller Art zu erwerben;
Umherziehend oder an dem Orte des Aufenthalts, bez. der Nieder-
lassung, Gewerbe aller Art zu betreiben unter den für Einheimische
geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
In der Ausübung dieser Befugnisse darf der Bundesangehörige, soweit
nicht das gegenwärtige Gesetz Ausnahmen zuläßt, weder durch die Obrig-
keit seiner Heimat noch durch die Obrigkeit des Ortes, in welchem er
sich aufhalten oder niederlassen will, gehindert oder durch lästige Be-
dingungen beschränkt werden.
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