II. Reichsgesetzgebung. Art. 8. 81
5. Die Erwerbung von Grundstücken.
Die Bestimmung, daß der Angehörige eines jeden Bundesstaates in
jedem anderen Bundesstaate zur Erwerbung von Grundstücken unter den-
selben Voraussetzungen wie der Einheimische zuzulassen ist, hat eine weitere
Ausführung durch § 1 Ziff. 2 des Freizügigkeitsgesetzes gefunden. Danach
hat jeder Reichsangehörige das Recht, „innerhalb des Bundesgebietes an
jedem Orte Grundeigentum aller Art zu erwerben“. In der Ausübung
dieser Befugnis darf der Reichsangehörige, soweit nicht das Gesetz Aus-
nahmen zuläßt, weder durch die Obrigkeit seiner Heimat noch durch die
Obrigkeit des Ortes, in welchem er sich aufhalten oder niederlassen will,
gehindert oder durch lästige Bedingungen beschränkt werden, noch darf ihm
um des Glaubensbekenntnisses willen oder wegen fehlender Landes= oder
Gemeindeangehörigkeit der Aufenthalt, die Niederlassung usw. und der Erwerb
von Grundeigentum verweigert werden. Das Freizügigkeitsgesetz geht also
noch weiter als Art. 8, da es jede Beschränkung der eigenen Staats-
angehörigen im Erwerb von Grundstücken ausschließt, während Art. 3 nur
vorschreibt, daß die Angehörigen anderer Bundesstaaten unter denselben
Voraussetzungen wie die Einheimischen zum Grunderwerb zuzulassen find. Die
Beschränkungen, die für den Grundstückserwerb juristischer Personen eines
anderen Bundesstaats noch bestehen, z. B. in Preußen, stehen nicht im
Widerspruch mit Art. 3, da Art. 3, wie oben S. 72 ausgeführt, für
juristische Personen überhaupt nicht gilt.
6. Die Erlangung des Staatsbürgerrechts.
Der Angehörige eines jeden Bundesstaates ist in jedem anderen Bundes-
staate zur Erlangung des Staatsbürgerrechts unter denselben Voraussetzungen
wie der Einheimische zuzulassen. Im Sinne des Art. 3 ist unter „Staats-
bürgerrecht“ der Inbegriff der aus der Staatsangehörigkeit hervorgehenden
politischen Rechte zu verstehen. Der Begriff des Staatsbürgerrechts ist aber
durch kein Reichsgesetz fest umschrieben, und deshalb wird es Schwierigkeiten
bereiten, auf diese Bestimmung der Reichsverfassung pofitive Rechte zu stützen.
Zweifellos ist das Staatsbürgerrecht von der Staatsangehörigkeit abhängig;
Staatsbürger ist nur, wer Staatsangehöriger ist. Aber nicht jeder Staats-
angehörige besitzt alle staatsbürgerlichen Rechte. Z. B. ist eins der wichtigsten
staatsbürgerlichen Rechte, das aktive und passive Wahlrecht für die Volks-
vertretung, an männliches Geschlecht und ein bestimmtes Mindestalter geknüpft.
Auch ist der Inhalt des Staatsbürgerrechts in den einzelnen Bundesstaaten
verschieden, in Preußen z. B. wesentlich anders als in Mecklenburg, und es
kann bezüglich mancher Rechte, z. B. des auf gewisse Personengruppen be-
schränkten Wahlrechts für die erste Kammer eines Bundesstaats überhaupt
zweifelhaft sein, ob es sich dabei um einen Ausfluß des Staatsbürgerrechts
handelt, dessen Ausübung nur von gewissen persönlichen Voraussetzungen
abhängig ist, oder um ein auf besonderem Rechtstitel beruhendes Reservat-
recht gewisser Klassen und Stände. Auch kann die Bestimmung, daß der
Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundesstaate zur
Erlangung des Staatsbürgerrechts unter denselben Voraussetzungen wie der
Einheimische zuzulassen ist, natürlich nicht wörtlich verstanden werden. Denn
der Einheimische besitzt bereits die erste Voraussetzung für die Erlangung
Dambitsch, Deutsche Reichsverfassung.