14 Das Vetsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Januar 11.)
erachten. Die Interpellation war nur ein Schlag ins Wasser, sie hatte
nur einen agitatorischen Charakter und stärkt nur denen in Mecklenburg
den Rücken, die eine Aenderung überhaupt nicht wollen. Das Verhalten
der mecklenburgischen Ritterschaft will ich nicht verteidigen, es war ein
politischer Fehler. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß auch verschiedene
Städte die Verfassungsvorlage bekämpft haben, auch die Stadt, die der Abg.
Linck vertritt, ist glatt mit der bösen Ritterschaft gegangen. Herr Linck hat
es für geschmackvoll gehalten, sein eigenes Vaterland hier herabzusetzen.
Wer seine Nase abschneidet, schändet sein eigenes Gesicht. Die Erklärung
der mecklenburgischen Regierung, die wir eben gehört haben, hat mich er-
freut. Mit politischem Geschick, mit Energie und mit Klugheit wird es ihr
gelingen, Mecklenburg eine Repräsentativverfassung zu geben, die wir für
notwendig halten. Die Regierung wie die Stände haben früher große
Fehler gemacht. Die Bevölkerung bis tief in liberale Kreise hinein wird
ch schiustens dafür bedanken, sich vom Reichstage eine Verfassung diktieren
zu lassen.
Abg. Dr. Pachnicke (Fr. Vp.): Es wird nun gesagt, Mecklenburg
sei ausgenommen in das Reich mit der mecklenburgischen Verfassung. Es
war aber die Meinung des Reichstages und des Bundesrates, daß mit
dieser altertümlichen Verfassung aufgeräumt werden müsse. Noch der Vor-
gänger des jetzigen Staatssekretärs, Graf Posadowsky, hat offen zugegeben,
daß es dem Wesen der Bundesstaaten entspreche, daß überall gewählte Volks-
vertretungen zu entscheiden haben. Auf Art. 76 habe ich mich für meine
Person nicht bezogen, aber die Zuständigkeit des Reiches zur Erweiterung
seiner eigenen Kompetenz wird von keinem Rechtslehrer von einiger Be-
deutung, z. B. Prof. Laband, mehr bestritten. Auch Prof. Zorn hat sich
in einem Briefe an mich auf denselben Standpunkt gestellt. Auf der einen
Seite Prof. Laband, auf der anderen Herr von Treuenfels. Es ist die
Regel, daß in anderen Staaten, wie der Schweiz usw., eine Homogenität
der Verfassung besteht; nur Deutschland macht eine Ausnahme. Von einem
Eingriff in die Souveränität der Bundesstaaten kann nicht gesprochen
werden. Unser Antrag läßt Spielraum genug für die Ausgestaltung der
Einzelheiten. Der Bundesrat hat es ja in der Hand zu verhindern, daß
nicht zu weit gegangen wird. Es ist eine Entwürdigung des mecklen-
burgischen Volkes, daß es sich von einer Handvoll mecklenburgischer Guts-
besitzer seine Gesetze vorschreiben lassen soll.
Staatssekretär Dr. Delbrück: Es bleibt nur noch die Frage, ob die
Bestimmung im Art. 78 Abs. 2 der Reichsverfassung die Möglichkeit gibt,
den mecklenburgischen Verfassungsstreit durch ein Eingreifen des Reiches aus
der Welt zu schaffen. Mein Vorgänger im Amt hat am 15. Juni darauf
aufmerksam gemacht, daß diese Frage eigentlich ein mehr juristisch-theoretisches
Interesse hat. Er hat diese Frage verneint, und die Verbündeten Regie-
rungen haben sie jetzt wiederum einstimmig verneint. Wie ist denn ein
derartiges Eingreifen denkbar oder möglich? Gesetzt den Fall, es könnte
auf Grund dieses Artikels ein derartiges Gesetz, wie es von liberaler Seite
gewünscht wird, verabschiedet werden, glauben Sie denn, daß das auf die
mecklenburgische Ritterschaft Eindruck machen würde, so lange das Reich
nicht die Möglichkeit hat, diese Anordnung durchzusetzen? Es würde also
notwendig sein, es dem Reiche zu ermöglichen, im Wege des Zwangs den-
jenigen Staaten eine Verfassung zu geben, die sich weigern, eine Verfassung
einzuführen oder die bestehende zu ändern. Wie soll das erreicht werden?
Wollen Sie den einzelnen Regierungen die Befugnis geben, eine Verfassung
zu oktroyieren, oder wollen Sie dem Reiche, was wahrscheinlich Ihren
Wünschen am meisten entspricht, die Befugnis geben, dem betreffenden