Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Erster Band. Die vertragsmäßigen Elemente der Deutschen Reichsverfassung. (1)

Die einzelnen Bestimmungen der deutschen Reichsverfassung. 223 
massgebend sein durfte und sollte. Es bleibt daher den lan- 
desgesetzlich geordneten Instanzen die rechtliche Möglichkeit 
das Urtheil zu fällen, dass das Reichsgesetz trotz seiner for- 
mellen Gültigkeit. wesentliche Interessen des Landes geschä- 
digt habe und dass damit das Ministerium, welches die ein- 
seitige Zustimmung im Bundesrathe auf seine Verantwortlich- 
keit nahm, den Rechtsfolgen dieser Verantworlichkeit ver- 
fallen sei. Es ist Sache der Landesgesetzgebung, welche an 
diesem Punkte und innerhalb dieser Schranken durch die 
Reichsverfassung nicht gehemmt ist, die Verantwortlichkeit 
der Minister auch für diesen Fall anzuerkennen und zur Gel- 
tung zu bringen 117, 
Damit erschöpft sich denn aber auch die rechtliche Mög- 
lichkeit einer Einwirkung der Landesgesetzgebung auf die 
r 
117 Die einzelnen deutschen Verfassungsgesetze bezeichnen regelmässig 
als Fall der Ministerverantwortlichkeit den hier nicht zutreffenden Fall der 
Verfassungsverletzung, entweder ausschliesslich oder doch nur konkurrirend 
mit besondern Amtsverbrechen der Bestechung, des Verrathes, der Untreue, 
der Erpressung u. 8. w. So insbesondere Sächsische Verf.U. vom 4. Sept. 
1831. & 141. Würtembergische Verf.U. vom 25. Sept. 1819. 8 195. 
Das bairische Gesetz vom 4. Juni 1848 macht ebenfalls nach art. 9 nur 
verantwortlich „einen Staatsminister oder dessen Stellvertreter, der durch 
Handlungen oder Unterlassungen die Staatsgesetze verletzt“, bestimmt jedoch 
in Art. 7 als Gesetz: „Hält der Vorstand eines Staatsministeriums eine ihm 
angesonnene Amtshandlung für gesetzwidiig oder dem Landeswohl 
nachtheilig, so ist er verpflichtet, dieselbe abzulehnen“ u. s. w. Die 
Oldenburgische Verf.U. vom 22. Nov. 1852 art. 200 $ 1 gestattet die 
gerichtliche Anklage des Ministerium wegen "einer Verletzung der Verfassung 
eines Staatsverrathes, des Missbrauches ihres Amtes zu einem gemeinen Ver- 
brechen, einer Bestechung, des Verbrechens der Amtsuntreue, einer Ver- 
letzung ihrer Amtspflichten in der Absicht der Erlangung eigenen 
Vortheiles oderinderAbsichtder Benachtheiligung des Staates 
oder einzelner Staatsbüger, einer gesetzwidrigen Verhaftung. Das badische 
Gesetz vom 20. Febr. 1868 $ 67 a lässt die Anklage zu „wegen einer durch 
Handlungen oder Unterlassungen wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit 
begangenen Verletzung der Verfassung oder anerkannt verfassungsmässiger 
Rechte oder schweren Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des 
Staates.“ %
	        
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