134 $ 4. Die Theorie G. Meyer’s. [38
„Gesetz im materiellen Sinne ist jede von den Organen
eines Gemeinwesens“ — also insbesondere des Staates — „aus-
gehende rechtsverbindliche Anordnung, welche allgemeine oder
abstrakte Vorschriften enthält“ — so sagt er in seinem Lehr-
buch des deutschen Staatsrechtes — 2. Aufl. pag. 453 —.
Die Weite der Definition ist ihm volle Absichtlichkeit. Er
weist es insbesondere in ausdrücklichem Gegensatze zu La-
band zurück — Grünhut, Zeitschrift VIII, pag. 31 —, als
ob nicht „in Gesetzen Vorschriften vorkommen können, welche
nicht den Unterthanen, sondern nur den Behörden und Be-
amten etwas gebieten oder verbieten.“ Damit fallen denn
aber auch unter den Begriff des materiellen Gesetzes, wie ihn
G. Meyer definirt, sowohl „Verwaltungsverordnungen“ (Regle-
ments, Instruktionen), welche allgemeine Vorschriften als Aus-
fluss des Verhältnisses der Über- und Unterordnung unter den
Verwaltungsorganen und nur für dieselben rechtsverbindlich
anordnen, als auch „Ausführungsverordnungen“ d. h. solche
rechtsverbindliche Anordnungen, welche allgemeine „nähere
Vorschriften über die Ausführung und Vollziehung von Ge-
setzen enthalten“. — Lehrbuch pag. 465. 466 —. Ja ich
wüsste nicht, wie eine dem Begnadigungsrechte entstammende
„allgemeine“ d. h. eine nicht nach individuellen Fällen, son-
dern nach Kategorien bestimmte Amnestie dem aufgestellten
Begriffe des materiellen Gesetzes zu entziehn wäre.
„Den Gegensatz zum Gesetze in diesem Sinne“ — so fährt
G. Meyer fort —, „bildet die Verfügung, welche die Re-
gelung individueller oder konkreter Angelegenheiten zum Gegen-
stande hat“. Auch diese Definition ist ihrer Absicht nach
eine weite. Sie enthält nach Sinn und Wortlaut eine dop-
pelte Kategorie von Erscheinungen: zu einem Theile spezielle
oder individuelle Gesetze, Anordnung spezieller oder indivi-
dueller Rechtssätze, welche gegen das allgemeine Recht oder
mangels eines allgemeinen Rechtssatzes den Massstab, die Re-
gel, die Richtschnur für die Auseinandersetzung subjektiver
Rechte und Pflichten an einem oder mehreren individuell be-
stimmten Thatbeständen abgeben, zu dem andern Theile aber