Full text: Der neue Kurs.

föhnungsakt mit der Flasche Steinberger und dem Empfang im 
Schloß, bei dem Graf Caprivi ganz ausgeschaltet war, hatte 
die erklärte Gegnerschaft des Fürsten Bismarck gegen den neuen 
Kurs nicht ändern können. Alles, was zu seiner Fahne hielt, be- 
sonders die konservative Partei, fand es beschämend, daß die Re- 
gierung ihren Sieg allein der Sozialdemokratie zu verdanken hatte, 
gegen deren Stimme der russische Handelsvertrag nicht durchzu- 
setzen gewesen wäre. Es war die Zeit, als der Abgeordnete Eugen 
Richter den Kampf mit geistigen Waffen gegen die Sozialdemokratie 
in seinen „Irrlehren“ auf kalkulatorische Art führen zu können 
glaubte und auf bürgerlicher Seite fast nur ein einziger, der greise 
Mommsen, an der landläufigen Unterscheidung zwischen Ordnungs- 
parteien und Umsturzpartei Anstoß nahm. 
Kamen nun noch zu der verworrenen Parteilage Schwierig- 
keiten in der ministeriellen Situation hinzu, so war die Regie- 
rungskrisis da. Schon während der Debatten über den Handels- 
vertrag waren Gerüchte von einer Kanzlerkrisis im Umlauf. Unter 
Berufung auf Hofkreise wurde erzählt, die Konservativen würden 
nach Erledigung des Streits um den Vertrag gestreichelt und Ca- 
privi nach Verlauf von sechs bis sieben Monaten wahrscheinlich 
geopfert werden. Anfang März sagte mir der Kanzler, er denke 
nicht daran zu gehen. Von dem an und für sich schon bedenklichen 
Dualismus, der vor zwei Jahren mit der Aufhebung der Personal- 
union zwischen dem Kanzleramt und dem preußischen Minister- 
präsidium geschaffen war, befürchtete er so lange nichts, als er 
auf die loyale Unterstützung des Ministerpräsidenten Grafen Botho 
zu Eulenburg zählen konnte. Das war bisher tatsächlich der Fall 
gewesen. Graf Eulenburg stand zwar innerlich nach seiner ganzen 
Vergangenheit der konservativen Partei sehr nahe, war aber Staats- 
mann genug, um die wirtschaftlichen und politischen Vorteile lang- 
fristigen Handelsvertrages mit Rußland anzuerkennen und den Maß- 
losigkeiten der agrarischen Agitation entgegenzuwirken. 
Caprivi hatte bei der ersten Lesung im Reichstag die Aus- 
streuungen über eine Spaltung zwischen der Reichsregierung und 
der preußischen Regierung als nicht wahr bezeichnet und sich dar- 
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