brauchte eine solche nicht. Tatsächlich nahm Rußland im Herbst
1912 die erste große Probemobilmachung seiner sibirischen Korps
vor. Von Tokio aus wurde dem Gerücht von neuen geheimen
russisch-japanischen Abmachungen widersprochen. Aus der Veröffent-
lichung des Geheimvertrags vom 3. Juli 1916 in dem Organ
der Sowjetregierung, der Petersburger Iswestija, haben wir er-
fahren, daß das Dementi falsch war. Wenn aber das frühere Ab-
kommen wirklich, wie die ostasiatischen Gerüchte behauptet hatten,
eine Rückendeckung Rußlands für den Fall eines europäüischen Krieges
bezweckte, was konnte dann das Entgelt Rußlands für die japanischen
Dienste sein? Etwa ebenfalls das Versprechen, keinen Wider-
spruch dagegen zu erheben, wenn Japan eine günstige Gelegenheit
benutzen wollte, Kiautschou zu erobern und sich alle deutschen
Gerechtsame in China für die Dauer anzueignen? Träfe dies zu,
so würde zu der bekannten Vorgeschichte des Weltkrieges ein neuer
beweiskräftiger Abschnitt hinzukommen. Die Schuld Rußlands,
den Angriffskrieg gegen die Mittelmächte von langer Hand diplo-
matisch wie militärisch vorbereitet zu haben, wäre dann erst recht
offenbar.
Mit dieser Abschweifung bin ich, wie ein hitziger Jäger über
seine Reviergrenze, weit in eine von meinem Thema entfernte
Feit hineingeraten und behre nun zu der weltpolitischen Ubergangs-
periode gegen Ende des neuen Kurses zurück.
Zwischen unserer Einmischung in die ostasiatischen Händel an
der Seite Rußlands und Frankreichs und der Pachtung von Kiau-
tschou ereignete sich der Einfall des Dr. Jameson in die Süd-
afrikanische Republik und der Telegrammmwechsel zwischen dem Deut-
schen Kaiser und dem Präsidenten Krüger mit nachfolgendem Aus-
bruch einer beispiellos heftigen deutsch-englischen Verstimmung. Uber
die äußeren Vorgänge herrscht kein Zweifel!). Nur über einen
Punkt besteht eine gewisse Unsicherheit: War die Krüger-Depesche
eine impulsive Handlung des Kaisers oder ein Akt der deutschen
Regierung?
1) Der Weg zur Krüger-Depesche ist ausführlich dargestellt bei Graf
Reventlow, Deutschlands auswärtige Politik 1888—1914, S. 67 ff.
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