Am 2. Januar 1896 abends traf in Berlin die Meldung
des Kaiserlichen Botschafters Grafen Hatzfeld in London ein, daß
das Gefecht bei Krügersdorp gegen die von Jameson geführte
Truppe der Chartered company siegreich für die Buren ent-
schieden sei. Eine gleiche Meldung des Konsuls in Prätoria war
noch unterwegs. Am 3. Januar vormittags kam der Kaiser vom
Neuen Palais in Potsdam nach Berlin und begab sich sofort zu
einer Beratung mit dem Reichskanzler in dessen Wohnung. An
der Beratung nahmen außer dem Fürsten Hohenlohe teil der Staats-
fekretär des Reichsmarineamts Hollmann, der Staatssekretär Frhr.
v. Marschall und der Direktor der Kolonialabteilung Dr. Kayser.
Ob auch Admiral Knorr vom Oberkommando der Marine zugegen
war, weiß ich nicht. Bestimmt nicht beteiligt war Herr v. Hol-
stein. Der Entwurf zu einer Glückwunschdepesche an den Präsi-
denten Krüger lag bei Beginn der Beratung nicht vor, der Ge-
danke, eine Kaiserdepesche abzuschicken, kam erst während der Be-
ratung auf, und als er gebilligt war, entwarf der Kolonialdirektor
Kayser in einem Nebenzimmer den Tert, der dann mit unwesent-
licher Abänderung einer Stelle von der Hand Marschalls vom
Kaiser gezeichnet wurde. Im Auswärtigen Amt wurde damals
allgemein geglaubt, daß der Gedanke vom Kaiser ausgegangen
wäre. Erst viele Jahre später entstand die Lesart, daß der intel-
lektuelle Urheber der Krüger-Depesche Marschall gewesen und der
Kaiser in jener Beratung gleichsam majorisiert worden sei. Damit
sollte endlich dem Kaiser die Schuld abgenommen werden, mit der
Krüger-Depesche die guten Beziehungen zu England so schwer ver-
letzt zu haben, daß der Schade durch nichts mehr, auch nicht durch
die häufigen „Canossafahrten“ nach England zu heilen war 1). Aber
kommt denn überhaupt etwas darauf an, ob die erste oder die zweite
Lesart richtig ist? Ohm Paul hatte nicht lange vorher, bei Er-
öffnung der für Transvaal so wichtigen Bahnlinie nach der Dela-
goabai, schon einmal einen kaiserlichen Glückwunsch empfangen,
ohne daß ein Entrüstungssturm in England losgebrochen wäre.
——.
1) Adolf Stein, Kaiser Wilhelm II., Leipzig 1909.
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