was auch Bismarck selbst natürlich nicht verkannt hat. „Der
Kaiser will zugleich Kaiser und Kanzler sein.“ In einem mit
eigener Hand bald nach seiner Entlassung niedergeschriebenen „Ent-
wurf zu vertraulichen Außerungen über die Motive meines Rück-
tritts aus dem Dienst“ sollen am Schlusse die persönlichen Um-
stände als entscheidend in den Vordergrund gerückt sein 1).
Ich schrieb damals für mehrere deutsche Blätter, die Schlesische
Zeitung, den Hamburgischen Korrespondenten, die Münchener Allge-
meine Zeitung, gleichlautende tägliche Berichte und lieferte an Stelle
von Hugo Jakobi2), nachdem er die Leitung der Allgemeinen Zei-
tung in München übernommen hatte, monatlich eine Anzahl von
Berliner Briefen für den Pester Lloyd. Als politischer Tages-
schriftsteller war ich nur einer von vielen. In den Reichstag ging
ich nur an großen Tagen. Zur Zeit des alten Kurses besuchte
ich hin und wieder Rudolf Lindau im Auswärtigen Amt, erst unter
dem neuen Kurs, als Herr v. Kiderlen-Wächter neben Constantin
Rößler 3) Preßangelegenheiten bearbeitete, war mein Verkehr in
der Wilhelmstraße 76 reger geworden.
Ausgiebige politische Anregungen erhielt ich in einem Kreise
von Männern der verschiedensten Berufe, die sich allabendlich spät
1) Leipziger Neueste Nachrichten vom 4. November 1006.
2) Hugo Jakobi verdiente sich seine ersten Sporen bei der Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung Ende der siebziger Jahre, war dann längere Zeit in der
elsässisch-lothringischen Verwaltung unter Manteuffel und Hohenlohe in Preß-
angelegenheiten tätig. Nach seiner Münchener Zeit war er Chefredakteur der
Berliner Neuesten Nachrichten. Er führte eine gewandte Feder, war in
höfischer und militärischer Geschichte gut beschlagen, stand in nahen Beziehungen
zu Ministern (Miquel) und Parlamentariern (Kardorff) und war im Fried-
richsruher Kreise gern gesehen, nahm auch an den Verhandlungen des Stuttgarter
Verlegers Kröner mit dem Autor der „Gedanken und Erinnerungen“ teil. Er
starb 1906.
5) Rößler war ein würdiger Greis mit einem Prophetenkopf, der schon zur
Zeit der neuen Ara in Herrn v. Bismarck-Schönhausen den Mann der Vor-
sehung für Preußen und Deutschland erblickt hatte. Vorher war er Professor
für Staatswissenschaften an der Universität in Fena gewesen. Von 1877 bis
1892 leitete er das Königliche Literarische Bureau des preußsichen Staatsmini-
steriums. Sein Feld war nicht die politische Tagespresse, sondern die Zeit-
schriftenliteratur, für die er manchen wertvollen Beitrag geliefert hat.
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