vorläufig verzichten und nur gewissermaßen eine Abschlagszahlung
fordern. Allein schon drei Jahre vorher war, wie gesagt, die
volle Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht als zur wirksamen
Fortführung der deutschen Politik und zum Schutze unserer Grenzen
für alle Fälle notwendig erkannt worden. Nicht mit Unrecht wurde
auch von freisinniger Seite auf jenen Vorschlag erwidert, daß damit
die Beunruhigungen wegen Steigerung der Militärlasten in Permanenz
erklärt und die Militärfragen zum Mittelpunkte künftiger Wahl—
kämpfe gemacht würden. Die Losung blieb daher: Schnelle und
ganze Arbeit in der Militärreform!
Die Aussichten für eine Vorlage, die den Reichshaushalt mit
einer fortlaufenden Mehrausgabe von 70 Millionen Mark belastete
und jährlich 60 ooo junge Leute mehr als bisher zu den Fahnen
rief, waren so ungünstig als möglich. Seit 1891 war eine Periode
wirtschaftlichen Niedergangs eingetreten. Die Produzenten klagten
über niedrige Preise, die Geschäfte über Stockung des Absatzes
ihrer Waren, die Arbeiter über geringen Lohn und Arbeitsmangel.
Gegen den Abschluß eines Handelsvertrages mit Rußland war
eine mächtige agrarische Bewegung im Anzuge. Das Reich stand
vor neuen Ausgaben für die Sozialreform, der größte Bundes—
staat war im Begriff, seine Finanzen neu zu ordnen. Der aus—
wärtigen Lage war kein dringlicher Grund für eine so beispiellose
Verstärkung der Wehrkraft zu entnehmen. Im Innern wirkte der
bittere Streit um Bismarcks Entlassung immer noch nach. UÜberall
Mißmut und Verdrossenheit, und keine Partei war da, die eine
feste Stütze bot: Die Rechte bis in die Mitte hinein im Banne
des Hergebrachten, die Linke einig in der Abwehr neuer Steuern
und in der Forderung eines parlamentarischen Regiments, aber
gespalten in heftiger Fehde um die Irrlehren der Sozialdemokratie.
Die einzige bürgerliche Partei, die seit drei Jahrzehnten die zwei—
jährige Dienstzeit bei den Fußtruppen gefordert hatte, war die
erste, die sich wegen des Kostenpunktes gegen die Vorlage festlegte,
noch bevor ihr Inhalt und ihre Begründung bekanntgegeben wor-
den war.
Ein unbedingtes Vertrauen in die Güte der Sache gehörte
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