Die Rede hatte im Reichstag wohl einen rhetorischen, aber
keinen tieferen sachlichen Erfolg. Es konnte auch nicht wohl anders
sein. Der nächste Krieg — wer weiß, wann der kommt! Den
Wählern da draußen war der Gedanke, daß wir militärisch nicht
auf der Höhe ständen, noch zu neu, und bei dem herrschenden allge—
meinen Mißvergnügen waren an die 70 Millionen Mark Kosten,
die der Reformplan erforderte, eine starke Zumutung. Sogar der
Abgeordnete von Bennigsen forderte dringend zu Nachlässen auf.
Am Schluß der ersten Lesung waren noch keine Ansätze zu einer
Mehrheitsbildung für die Vorlagen zu erkennen.
Mitte Dezember 1892 sagte mir der Kanzler, er rechne mit
der Auflösung des Reichstags, es käme darum alles darauf an,
Aufklärung in den Wahlkreisen zu verbreiten. Der Anfang war schon
gemacht. Im oberen Stock des rechten Flügels des Reichskanzler-
hauses hatte der zur Reichskanzlei kommandierte Major Keim sein
Quartier aufgeschlagen und übte mit wahrem Bienenfleiß und un-
verwüstlicher Zuversicht in das Gelingen des Werkes eine frucht-
bare Propagandatätigkbeit aus. Alles, was helfen konnte und wollte,
wurde mobil gemacht. Freiherr v. d. Goltz-Pascha, damals schon
ein alter Anhänger der zweijährigen Dienstzeit, ließ einen ausge-
zeichneten Artikel „Deutschland am Scheidewege“ erscheinen, ebenso
General v. Boguslawski. Gegen die Vertreter des Altbewährten
von rechts trat General v. Leszeynski mit seinem Zeugnis hervor,
daß Kaiser Wilhelm I. in den achtziger Jahren einmal zu ihm
sagte: „Ich sehe schon, wir müssen uns anders organisieren, solange
ich lebe, wird es wohl gehen, mein Sohn mag es dann machen.“
Auch General v. Kameke, der als Nachfolger Roons ein Jahrzehnt
lang Kriegsminister gewesen war und den Organismus des Heeres
aufs genaueste kannte, erklärte sich öffentlich für den „außerordent-
lich sorgfältig erwogenen“ Reformplan, der das mindeste enthalte,
was nötig sei. Gegen die wirtschaftlichen Notschreie von rechts
und von links kamen Staatsrechtler und Nationalökonomen wie
Gneist, Conrad, Wagner und wiesen nach, wie falsch und schäd-
lich es sei, das deutsche Volk als eine Nation von Notleidern er-
scheinen zu lassen, die nicht mehr imstande wäre, die Mittel für
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