Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

140 Wilhelm van Calker, Die staatlichen Herrschaftsformen. 
  
ruht heute in den meisten Staaten auf dem Systeme der agnatischen Primogeniturordnung 
unter Ausschluss oder doch nur subsidiärer Zulassung der kognatischen Verwandtschaft. 
Zuweilen wird diese Erbfolgeordnung durch Erbverbrüderungen, Adoption oder Berufung 
einer neuen Dynastie mittels Gesetzes oder freier Verfügung des letzten Throninhabers 
ergänzt.*) 
In der Wahlmonarchie wird der Thronfolger von Fall zu Fall durch Wahl bestimmt. 
Der Kreis der Wahlberechtigten kann verschieden gezogen sein, wesentlich ist nur, dass 
sich die Organtätigkeit der Wähler mit dem Wahlakt erschöpft und dass die Wähler nicht 
etwa als dem Monarchen übergeordnet erscheinen.“) Nicht selten — so namentlich in der 
ältesten Zeit des griechischen und des germanischen Könietums und im Mittelalter — 
findet sich eine eigenartige Kombination von Erbrecht und Wahl, insoferne als der Thron- 
folger aus einem bestimmten Geschlechte, in welchem die monarchische Würde erblich ist, 
gewählt werden muss.) Unter den modernen Kulturstaaten kommt die Wahlmonarchie 
heute nicht mehr vor; dagegen findet sich die Königswahl noch bei primitiven Völkern.®) 
Etwas anderes ist die Einsetzung einer neuen Dynastie, die auch noch in der neueren und 
neuesten Zeit (so in Belgien, Bulgarien, Serbien, Norwegen) mehrfach im Wege der Wahl durch 
die Volksvertretung erfolgt ist. 
b) Unbeschränkte und beschränkte Monarchie. 
Die Unterscheidung dieser beiden Arten der Monarchie geht zurück auf die Ver- 
schiedenheit des Umfanges der monarchischen Befugnisse und ist von grundlegender 
Bedeutung. 
a) Dieunbeschränkte Monarchie.®) 
Eine absolute oder unbeschränkte Monarchie ist ein Staat, in welchem der Monarch 
die gesamte Staatsgewalt unmittelbar in sich vereinigt, in welchem er das einzige Staats- 
organ ist, dessen Willensäusserungen „in gewissen Grenzen unmittelbar als Aeusserungen des 
Staatswillens selbst gelten‘, während alle übrigen Staatsorgane nur Organe seines Willens und 
nur mit der Ausführung seiner Befehle betraut sind.) Da der absolute Monarch in der Aus- 
übung seiner staatlichen Funktionen nirgends an die Mitwirkung anderer Staatsorgane gebunden 
und in der selbständigen Handhabung aller Rechte der Staatsgewalt durch kein Gesetz be- 
schränkt ist, so ist die absolute Monarchie in ihrer ursprünglichen Gestalt verfassungslos. 
Indessen kann auch der absolute Herrscher unbeschadet des rechtlichen Charakters seiner 
Herrschaft die Ausübung der Herrschaftsgewalt in gewisse rechtliche Formen kleiden und 
an die Nichteinhaltung dieser Formen die Folge der Unwirksamkeit bestimmter Staatsakte 
knüpfen, sofern er sich nur vorbehält, diese Formen jederzeit ohne Zustimmung irgend- 
welcher anderer Faktoren aus eigener Machtvollkommenheit wieder aufzuheben oder abzu- 
ändern.) Diesen Vorgang beobachten wir vor allem in der Zeit des aufgeklärten Ab- 
“%) Vgl. hierüber Jellinok, S. 677 (694), und beispielsweise hess. Verfassung vom 17. XII. 1820, Art. 5. 
. 4) Wenn diese, von Jellinek, S. 675 (691), hervorgehobenen Voraussetzungen erfüllt sind, liegt 
keinerlei Grund vor, die Wahlmonarchie, wie beispielsweise Roscher, Politik. 2. A. (1893) S. 23 os tut, 
als ‚eine Art von Republik“ zu bezeichnen. 
@) Vgl. Treitschke, Il. S. 71, 75, 95 f. 
@) S. Post, Grundriss der ethnologischen Jurisprudenz, I, 1894 S. 392. 
“) S, Jellinek S. 677 (694); Roschoer, S. 193 ff., bes. S. 250 f., unterscheidet drei Hauptarten der 
absoluten Monarchie: Die konfessionelle, die höfischo und die aufgeklärte. S. auch Koser, Über die Epochen 
der absoluten Mon rchie, Histor. Zeitschrift, B. 61. 
5) 9. Merkel, 5 387; vgl. auch Treitschke, IL, S. 107; Jellinek, S. 677 (694). 
sı) Vgl. z. B. das Hessen-Darmst. Verfassungsedikt vom 18. III. 1820 (RBi. S. 101), welches die Steuer- 
erhobung an die Genehmigung der Stände knüpfte, gleichzeitig aber dom Landesherrn — wenn auch ‚‚mit dem 
sehnlichen Wunsche, dass Wir nie in den Fall kommen werden, hiervon Gebrauch machen zu müssen“ — 
für den Fall des Nichtzustandekommens einer Steuervereinbarung das Recht der Forterhebung der alten Steuern 
vorbehielt.
	        
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