Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Ferdinand Tönntes, Bürgerliche und politische Freiheit. 243 
  
Rechtes der Selbsthilfe, des freien Gebrauches der eigenen Zwangsmittel). Da aber der 
Hauptzweck des Staates sei, Rechte zu schützen, so habe es keinen Sinn, sich solcher Rechte 
zu entäussern, zu deren Schutz eben der Staat errichtet wird. Diese Rechte müssen die 
Menschen sich vorbehalten, sie sind „unveräusserlich“, es sind die „Menschenrechte“, die 
im Staate als „Bürgerrechte“ beharren. Man will, dass sie auch für die Staatsgewalt 
unantastbar seien. In diesem Sinne lässt Montesquieu politische Freiheit (er meint 
bürgerliche) in der Sicherheit „oder wenigstens in der Meinung (dem Bewusstsein) der 
eigenen Sicherheit” bestehen. Und in diesem Sinne gilt als eine Schutzwehr der bürger- 
lichen 'Freiheit gegen die Staatsübermacht die Teilung der Gewalten, namentlich die 
Trennung von Justiz und Verwaltung mit dem Übergewicht der Justiz durch Einrichtun 
der Verwaltungsgerichtst ‚ die als Kriterium des „Rechtsstaates* hingestellt wir 
(Gneist). Die allgemeinen Grundsätze, die aus dieser Idee für alle bürgerliche Freiheit 
abgeleitet werden, sind: 1. Ausschliessung jeder privaten Gewalt, jedes unautorisierten 
Zwanges, jeder persönlichen Willkür, oder: Verneinung jeder Art von Herrschaft einer 
Person über die andere, ausser der rechtmässigen Ausübung des Staatswillens, die durch 
das Gesetz gebunden ist, und das Gesetz ist nur rechtmässig, wenn es gemäss dem Ver- 
fassungsrecht entstanden ist. 2. Einschränkung des gesetzlichen Zwanges auf das unerlässlich 
notwendige Mass; Rechtsschutz gegen Missbrauch der Gewalt und gegen Überschreitung der 
Grenzen, innerhalb deren die Beamten des Staates ihre Macht geltend machen sollen und 
dürfen. — Besondere Bedeutung haben diese Grundsätze in Anwendung auf die Rechts- 
pflege, zumal auf Strafprozess und Strafrecht. Sie wehren aller administrativen Justiz, und 
wollen auch die Gewalt, deren der Staat zur Verfolgung gesetzmässiger Justiz bedarf, so- 
weit einschränken, dass die bürgerliche Freiheit sich damit vereinigen lasse. Daher die 
Forderung, dass jedermanns Haus „seine Burg“ sei, es dürfe nicht gewaltsam geöffnet, auf 
Person oder Habe kein Arrest gelegt werden, es sei denn, dass ein schweres Verbrechen 
vorliege, und auch dann müsse der Beamte den Haftbefehl vorweisen und bleibe verant- 
wortlich für Überschreitung seiner Machtbefugnisse.?2) Überhaupt beziehen sich die Postulate 
der bürgerlichen Freiheit hauptsächlich auf den Prozess: Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Un- 
mittelbarkeit des Verfahrens; Ankiageprozess anstatt des Inquisitionsprozesses in Strafsachen; 
daher das Recht zu leugnen und das Recht auf ungehemmte Verteidigung, die auch für die 
Untersuchung in Anspruch genommen wird, gegebenen Fal'es amtlich zu bestellen ist; Regel, dass 
jeder für unschuldig zu erachten, bis seine Schuld erwiesen sei, und andere Normen zum Schutze 
des Verdächtigen, des Angeklagten, zur Entschädigung der ohne Grund Verhafteten oder 
sogar unschuldig Verurteilten. Dahin gehört endlich ein Stück politischer Freiheit: die Be- 
teiligung von Laien an der Rechtsprechung, also die Forderung der Jury, insbesondere in 
politischen Prozessen, überhaupt bei Vergehen durch die ‚Presse. — In bezug auf das 
materielle Strafrecht macht das Verlangen nach bürgerlicher Freiheit wesentlich als Ver- 
werfung der qualifizierten Leibes- und Lebenstrafen, oft der Todesstrafe überhaupt, sich 
geltend. Im bürgerlichen Recht hängt sie mit der Freiheit der ökonomischen Betätigung 
eng zusammen. 
2. Die Freiheit der ökonomischen Betätigung bedeutet: a) freie Verfügung über die 
eigene Person und ihre Arbeitskraft, also freie Berufswahl und freie Vertragschliessung, 
b) Freiheit des Eigentums, d. i. des Erwerbes und des Gebrauches von Eigentumsrechten; 
daher auch der Veräusserung, Verpfändung und Vererbung von Sachgütern jeder Art. Die 
Etablierung dieser Freiheiten bedeutet eine ausgleichende Tendenz in bezug auf Personen 
und in bezug auf Sachen. Praktische Bedeutung hat sie namentlich A) als Gewerbefreiheit 
gegen den Zunftzwang und als Prinzip der Gleichberechtigung von Unternehmern 
und Arbeitern gegenüber der sonst auch rechtlich normierten Abhängigkeit dieser von jenen, 
B) als Aufhebung der Unterschiede von Kapital und Grundeigentum, Mobilisierung 
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%) „Und wenn es eine strohgedeckte Hütte ist — Regen und Wind mögen Zutritt haben. der König 
bet ihn nicht‘ verkündete die Rhetorik Pitt’s d, Ae, 
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