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der Gewinnanteil (Dividende) geschmälert wird, obgleich es
schon sein in Form von Dividenden u. dgl. bezogenes Einkom-
men zu versteuern hat. Diese Doppelbesteuerung des einzel-
nen Mitglieds — so argumentiert man — lasse sich nicht da-
durch rechtfertigen, daß juristisch jene Gesellschaften selb-
ständige Rechtssubjekte seien und infolgedessen eine Besteue-
rung derselben nichts mit der Besteuerung der einzelnen Mit-
glieder gemein habe. Denn hiergegen lasse sich einwenden,
daß der rechtsfähige Personenverein nur eine juristische Fik-
tion bedeutet, daß wirtschaftlich doch das Vermögen und die
Einkünfte der Aktiengesellschaft den Aktionären gehören und
diesen allein der Gewinn und Verlust der Gesellschaft wirt-
schaftlich zukommt. ‚Die Vielheit der Mitglieder einer Ge-
sellschaft“ — so führte die sächsische Staatsregierung aus —
„zu einer Personeneinheit zusammenzufassen, ist lediglich ein
Bedürfnis des Rechtsverkehrs, nicht ein Postulat des Wirt-
schaftslebens. Darum trifft eine Besteuerung der Gesellschaft
juristisch zwar die letztere, wirtschaftlich aber die einzelnen
Mitglieder.“!) Ä
Zunächst drängt sich die Frage auf, ob es nicht möglich
ist, jene vermeintlich ungerechte Doppelbesteuerung rationell
zu verhindern. Zur Erreichung dieses Zieles kämen namentlich
zwei Wege in Frage: einmal könnte man nur das Einkommen
der Aktiengesellschaften u. dgl. belasten, während den Aktio-
nären bei ihrem eigenen Einkommen der Abzug der Dividenden
und Zinsen von Aktien inländischer Gesellschaften in demjeni-
gen Verhältnis, nach welchem deren Überschüsse bereits der
Einkommensteuer unterworfen sind, gestattet würde. Zwei-
tens könnte man jene Gesellschaften von der Besteuerung ganz
frei lassen und statt dessen nur die Mitglieder (Aktionäre)
für ihre bezogenen Dividenden und Zinsen belasten. Indessen
ist der erstere Weg — soviel dem Verfasser bekannt ist —
nur in Hessen?) befolgt worden, dagegen der letztere über-
haupt nicht in Deutschland. Und dies hat seinen guten Grund.
Denn das erstere Verfahren hat den steuertechnischen Übel-
stand, daß leicht Steuerdefraude herbeigeführt werden kön-
nen, und das letztere den Nachteil, daß der Staat die in seinem
Gebiete erwachsenden Steuerkräfte nicht ausreichend zu er-
fassen vermag, da in sehr vielen Fällen die Aktionäre außer-
halb des bezüglichen Staates wohnen. So läßt sich also die
Doppelbesteuerung bei den Erwerbsgesellschaften nur sehr
Schwer umgehen.
1) S. Schluß-Bericht der außerordentlichen Deputation vom 23. ‚Jan.
1902, S. 6 ff.
2) Vgl. Art. 4, 19 des Einkommensteuergesetzes vom 8. Juli 1884, des
späteren Einkommensteuergesetzes vom 25. Juni 1895 und des neuesten Ge-
setzes vom 12. August 1899. Auch G. Schanz’ Darstellung im Fin.-Arch. II
(1885) S. 236 ff.
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