Anrechnung der Untersuchungshaft. 117
Inquisitionsprozesse und absolutistischen Regimente. In der verschiedenen rechtlichen
Lage des Beschuldigten in dem inquisitorischen und akkusatorischen Strafprozesse
spiegeln sich die verschiedenen Subjektionsverhältnisse der Unterthanen in dem abso-
lutistischen Polizeiregimente und in dem konstitutionellen Rechtsstaate. Ersteres hat
den Unterthan zum bloßen Objekt des staatlichen Herrschaftsrechts, der Inquisitions-
prozeß den Beschuldigten zum bloßen Untersuchungsobjekte gemacht. Damit im Zu-
sammenhange stand die finstere Tradition einer Zwangspflicht des Inquisiten, zur
eigenen Ueberweisung mitzuwirken, sowie die Regel der Untersuchungshaft. Nach
dem Vorgange des Code pénal hat noch das Preuß. Strafgesetz von 1851 die Ab-
rechnung der Untersuchungshaft todtgeschwiegen, während die gemeinrechtliche Doktrin
wenigstens grundsätzlich diese bei einer unverschuldeten oder rechtswidrig erlittenen
Untersuchungshaft anerkannt hatte, so buntscheckig auch die partikularistische Durch-
führung dieses Prinzipes und so kleinlich motivirt die Beschränkungen desselben
waren. Aeltere Landesstrafgesetze, wie das Oesterreichische von 1803, das Bayerische
von 1813, stellten diese vergütungsweise Abrechnung der Untersuchungshaft unter
die Milderungsgründe, obgleich diese weder Strafmilderung, noch gnadenweise Straf-
nachsicht, noch Kompensation, vielmehr nur Vergütung eines in der Regel ohne
prozessualische Schuld erlittenen Uebels und nur der Wirkung nach ein mildernder
Strafabzug ist. — Noch das Bayerische Strafgesetz von 1861 hielt an dem Dogma
der unverschuldeten Untersuchungshaft fest, bezeichnete jedoch einen Fortschritt durch
die Bestimmung, daß eine mehr als einmonatliche Untersuchungshaft bei zeitlichen
Zuchthausstrafen, Gefängniß- und Geldstrafen in der Art zu berücksichtigen sei, daß
zwar im Erkenntnisse die verwirkte ordentliche Strafe ausgesprochen, hiervon aber
soviel als die Dauer der unverschuldet erlittenen Haft beträgt, für bereits getilgt
erklärt wird.
Die Konsequenz hinsichtlich einer Todesstrafe wurde nicht gezogen. Andere
Strafgesetzbücher waren noch engherziger. Mit Recht wurde eine A. d. U. aus-
geschlossen, wenn der Beschuldigte dieselbe schon vor der Verübung derzjenigen straf-
baren Handlung erlitten hat, für welche er jetzt abzuurtheilen ist, weil sonst in
einem solchen Falle, wie Rosenkrantz in der Zeitschr. f. G. u. R. in Bayern, XIII.
Abth. Strafr. S. 219, 406, bemerkte, dem Untersuchungsgefangenen gewissermaßen ein
Freibrief zur Begehung jeder strafbaren Handlung gegeben würde, deren Strafe
nicht die von ihm bereits erduldete Haft übersteigt. Vgl. die Erörterung in
Dollmann's Bayer. Straf GCB., 1862, S. 628, 629; insbesondere betreffend
die problematische Unterscheidung von unverschuldeter und verschuldeter Haft,
S. 631—638, 645, welche auch nach Erscheinen des erläuternden Bayer. Gesetzes
vom 16. Mai 1868 für Kriminalisten beachtenswerth bleibt.
Das Deutsche Straf GB. bestimmt nun in § 60, daß eine erlittene Unter-
suchungshaft bei Fällung des Urtheils auf die erkannte Strafe ganz oder theilweise
angerechnet werden könne. Das Erforderniß der unverschuldeten Untersuchungshaft ist
weggefallen. Die A. ist nur bei untheilbaren Strafen ausgeschlossen. Streitig ist,
ob diese auf bloße Nebenstrafen Anwendung finde; ob bei der A. d. U. die gesetzlichen
Minima der Strafarten maßgebend seien. Berner, Rüdorff sprechen für eine Ver-
wandlung der Zuchthausstrafe in eine andere Strafart, wenn der Richter bei der
Strafberechnung der verwirkten Zuchthausstrafe unter ein Jahr herabgehen müßte.
Die Zuchthausstrafe könne nicht unter einen Monat hinabgehen, vielmehr müßte
sonst die Strafe für völlig verbüßt erkannt werden. Hugo Meyer, Schütze meinen,
bei erkannter Zuchthausstrafe fallen die Schranken der gesetzlichen Minima, weil
das richterliche Ermessen hier ungebunden sein soll. Die Anrechnung der von einem
Sträflinge in Folge einer Krankheit außerhalb der Strafanstalt zugebrachten Zeit
ist nach § 493 der StrafP O. in die Strafzeit einzurechnen. Ist eine Todesstrafe
im Gnadenwege in eine zeitliche Freiheitsstrafe abgeändert worden, so ist die
Haftzeit in die Strafzeit einzurechnen. Die A. d. U. kann stattfinden, auch wenn