540 Paul Heilborn.
I. Die Nationalität. Der Staat schützt regelmäßig die Sachen als solche nicht,
sondern nur seine und seiner Untertanen Rechte an ihnen. Die Rechte an einem Seeschiff
aber bedürfen einheitlichen Schutzes, auch wenn sie Angehörigen verschiedener Staaten zu-
stehen. Nach modernem Völkerrecht ist jeder Staat berechtigt, alle Rechte an einem Schiff ohne
Rücksicht auf die Nationalität der Berechtigten seinem Schutz zu unterstellen, sofern er damit
nicht in die Rechtssphäre anderer Staaten eingreift. Die Unterstellung unter staatlichen Schutz-
geschieht durch Verleihung der Nationalität an das Schiff. Mit dieser grundlegenden Tatsache
— üUbernahme des Schutzes der am Schiff begründeten Privatrechte — verbinden sich aber nach
Völkerrecht gewichtige Folgen für Schiffsbesatzung und Reisende:
a) Solange sie auf dem Schiff verweilen bzw. im öffentlich-rechtlichen Schiffsverband.
stehen, sind sie persönlich der Herrschaft und dem Schutz des Flaggenstaats unterworfen, teils
ausschließlich, teils neben der Herrschaft eines anderen Staats;
b) der Flaggenstaat ist anderen Staaten für ihre Handlungen verantwortlich, soweit er-
die Betätigung einer fremden Staatsgewalt untersagen darf.
In heimischen Gewässern ist das Schiff in heimischem Staatsgebiet. Die Menschen auf
dem Schiff sind der Staatsgewalt des Flaggenstaats ebenso unterworfen wie auf dessen Land-
gebiet. Besonderer Betrachtung bedarf nur das Schiff auf offenem Meer und in fremden
Gewässern.
Die Bedingungen für die Verleihung der Nationalität werden in der staatlichen Gesetz-
gebung geregelt. Am meisten Anklang hat das englische System gefunden: die Nationalität
wird nur demjenigen Schiffe verliehen, welches ausschließlich im Eigentum von Staatsangehörigen
steht. So auch das deutsche Gesetz, betreffend das Flaggenrecht der Kauffahrteischiffe vom.
22. Juni 1899 (Rel. 319); vgl. dazu das Gesetz vom 29. Mai 1901 (RBl. 184).
Das Nationalschiff führt die Flagge des Heimatstaats. Die Berechtigung hierzu wie auch
die Nationalität selbst wird durch die Schiffspapiere nachgewiesen; sie sind öffentliche, von der
zuständigen Behörde des Flaggenstaats ausgestellte Urkunden. Das Schiff muß sie bei sich führen.
Den Kauffahrteischiffen stehen andere Privatschiffe, insbesondere Lustjachten, gleich, wenn
sie nach der heimischen Gesetzgebung zur Führung der Nationalflagge berechtigt sind.
II. Schiffe auf offenem Meer. Die hohe See gehört keinem Staat; es darf
auf ihr aber keine Anarchie herrschen. Eine jederzeitige Kontrolle ist nicht möglich; auch die
Selbsthilfe muß jedoch im Interesse der Ordnung grundsätzlich ausgeschlossen sein. Schiffe auf
offenem Meer unterstehen deshalb der Herrschaft des Flaggenstaats; er trägt insoweit auch
die Verantwortung für die Rechtsverletzungen auf dem Schiff und von ihm aus; er ist zur Be-
strafung der Schuldigen verpflichtet. Fremden Staaten und ihren Schiffen ist im Frieden jede
Anhaltung und Durchsuchung, jede Wegnahme von Personen und Güterm, allgemein jede Selbst-
hilfe verboten, solange das Schiff in friedlicher Seefahrt begriffen ist. Nach herrschender Lehre
soll das Schiff auf offenem Meer deshalb Teil des Staatsgebiets, schwimmender Gebietsteil
sein. Diese Ansicht ist aus zwei Gründen zu verwerfen:
1. Während ihres Aufenthalts in fremden Eigengewässerm sollen die Schiffe nicht als-
Staatsgebiet betrachtet werden. Sie können diese Eigenschaft aber nicht beständig verlieren
und wieder erwerben; insbesondere ist nicht einzusehen, wie das Schiff durch Verlassen eines.
fremden Hafens zum Staatsgebiet werden soll. Die Besatzung und die Reisenden unterstehen
immer dem Flaggenstaat. Seine Rechte sind auf offenem Meer durch kein anderes Recht, in
fremden Eigengewässern aber durch die Territorialhoheit des Uferstaats eingeschränkt. Hierin
und nicht im Gebietscharakter des Schiffs besteht der Unterschied in der Stellung auf offenem
Meer und in fremden Gewässem.
2. Auch auf offenem Meer versagt der Schutz der angeblichen Gebietshoheit, wenn das
Schiff zu nicht friedlicher Seefahrt benutzt wird: zum Seeraub, zur Zuführung von Kriegs-
konterbande (§ 73), zum Blockadebruch (§F 75). Das feindliche Verhalten nicht des Flaggenstaats,
sondern der Privatpersonen läßt also das Schutzrecht hinwegfallen. Das ist mit dem Begriff
der Gebietshoheit nicht vereinbar, wohl aber mit dem Schutz der friedlichen Seefahrt.
Regelmäßig darf allerdings nur der Flaggenstaat Hoheitsakte auf dem Schiffe auf offenem
Meer vomehmen. Er übt seine Staatsgewalt unmittelbar mit Hilfe visitierender Kriegsschiffe