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II. Witu.
Die deutsche Schutzherrschaft in dem ostafrikanischen Küstengebret nördlich vom Tana
erstreckte sich von der Nordgrenze der noch zur englischen Interessensphäre gehörigen Ortschaften
Kipini und Kau am ltinken Ufer des Osi nordwärts bis zur Südgrenze der zu Sansibar ge-
hörigen Station Kismaju. Der südliche Theil dieser Küste untersteht dem Sultan von Witn.
Von den davor gelagerten Inseln gehört Lamu anerkanntermaßen dem Sultan von Sansibar.
Die Inseln Manda und Patta beansprucht er ebenfalls; sein Anspruch war aber bisher weder
von Deutschland noch von England anerkannt worden. Beide Mächte hatten sich vielmehr
hierüber weitere Verhandlungen vorbehalten. Das Gebiet, über welches der Sultan von Witn
thatsächlich die Herrschaft übbt, hat nach dem Innern zu nur eine mäßige Ausdehnung. Die
Grenzen sind nach dieser Seite hin nicht näher bestimmt, wie auch in dem nördlichen Theil
der unter deutschen Schutz gestellten Küste eine Abgrenzung des Schutzgebicts nach dem Innern
zu nicht stattgefunden hat. Bei Entgegennahme der Anzeige von der Uebernahme dieses Theils
der Küste in den deutschen Schutz hatte die großbritannische Regierung der Kaiserlichen Mit-
theilung von dem Bestehen zahlreicher älterer Verträge gemacht, welche die britisch-ostafrikanische
Gesellschaft mit Eingeborenen im Hinterlande abgeschlossen habe. Diese Verträge betreffen
namentlich Gebiete am linken Ufer des Mittellaufes des Tana.
Den Bitten um Gewährung des deutschen Schutzes, welche der Sultan von Witu und
andere benachbarte Häuptlinge an die Kaiserliche Regierung richteten, hatte diese sich im Hin-
blick auf die Möglichkeit einer glücklichen Entwickelung der dortigen deutschen Interessen nicht
wohl entziehen können. Die Aussichten auf eine solche Entwickelung aber waren von vornherein
davon abhängig — und darüber hat unter den deutschen Betheiligten von Anfang an kein
Zweifel bestanden —, daß die Ansprüche des Sultans von Witu auf die Inseln Manda und
Patta sich gegenüber denen des Sultans von Sansibar als besser begründet erweisen würden,
oder, wenn dies nicht der Fall, daß es dem hauptsächlich an der Erschließung des Witulandes
iutcressirten deutschen Unternehmen gelingen würde, von dem Sultan von Sansibar die Ver-
waltung der Inseln pachtweise zu erhalten. Keine dieser Voraussetzungen hat sich indessen
verwirklicht. Bei näherer Prüfung des Sach= und Rechtsverhältnisses bezüglich der vorgenannten
Inseln war die Ueberzeugung nicht abzuweisen, daß der über deren staatliche Zugehörigkeit pro-
vocirte Schiedsspruch ungünstig für den Sultan von Witu und somit für die deutschen Be-
theiligten ausfallen würde. In der Bewerbung um die Pacht der Zölle auf den Inselu kam
die britisch-ostafrikanische Gesellschaft in geschickter Benutzung der Verhältnisse dem deutschen
Unternehmen zuvor.
Dem deutschen Einfluß würde hiernach nur der Küstenstrich in der oben angegebenen
Begrenzung verblieben sein, ein Gebiet, welches inmitten einer fremden Interessensphäre und
abgeschnitten von dem Centrum der dentsch-ostafrikanischen Bewegung die Bedingungen einer selb-
ständigen politischen und wirthschaftlichen Entwickelung entbehrt.
Die Bevölkerung, vorwiegend vom Stamm der Sunaheli, hat ihre Interessen theils
auf den Inseln, theils auf dem Festlande. Auf dem letzteren fehlt es an einer von sämmt-
lichen dortigen Stämmen auerkannten einheimischen Aukorität, welche um so nöthiger wäre, als
das Andrängen der Somali von Norden ber eine stete Beunruhigung für die Küste bildet.
Zur Herstellung eines wirksamen Schutzes nach außen und geordneter Zustände im Innern
besitzt das Land nicht die ersorderlichen Einnahmeguellen, da die Bevölkerung wenig zahlreich
ist, die landwirthschaftliche Produktion nur den eignen Bedarf deckt und die Ausfuhrprodukte
des Hinterlandes im Wege der Jollerhebung zu diesem Zwecke nicht herangezogen werden
önnen, weil sie, um zur Küste zu gelangen, das fragliche Gebiet nicht berühren. Die Haupt-
vermisttler des Verkehrs zwischen dem Innern und der Küste sind die Wasserstraßen des Tana
und des Juba, die beide außerhalb des unter deutschem Schutz befindlich gewesenen Küsten-