578 IV. 8. Stille Jahre.
Durch diese an sich keineswegs unbilligen Forderungen wurde doch
das Dasein des Zollvereins selbst bedroht; denn erlangte ein Staat Vor—
zugsrechte, so konnten sie auch anderen nicht verweigert werden, und dann
ging die Grundlage dieses Handelsbundes, die Gleichberechtigung seiner
Mitglieder verloren. Alvensleben fühlte selbst, was auf dem Spiele stand,
er lud den Sachsen Zeschau und den Thüringer Gersdorff zu einer Unter—
redung ein, um mit ihnen über die mögliche Auflösung des Vereins zu
verhandeln. Da faßte sich Kühne ein Herz und widerlegte die Bedenken
der fiskalischen Sparer in einer beredten Denkschrift „über die bisherigen
Erträge und Erfolge des Zollvereins“. Zum Glück war soeben der Rech—
nungsabschluß für das Jahr 1838 erschienen, der zuerst wieder auch für
Preußen günstig lautete und zu der Hoffnung berechtigte, daß die Aus-
fälle der letzten Jahre binnen kurzem gedeckt sein würden. Da der Minister
den ersten Fachmann des Zollvereins neuerdings über Zollsachen gar nicht
mehr befragte, so beriet sich Kühne mit seinem Freunde Beuth und ließ,
allem bureaukratischen Brauche zuwider, seine Denkschriftveröffentlichen. Im
Mail840, kurz vor dem Tode des alten Königs, überreichte er sie dem Kron-
prinzen. Der aber sprach dem sonst wenig geliebten liberalen Geheimen
Rate seine herzliche Zustimmung aus: nimmermehr sollte dies Werk
langjähriger Kämpfe, der erste Anfang der praktischen deutschen Einheit,
die beginnende Blüte der nationalen Wirtschaft durch fiskalischen Klein-
sinn zerstört werden. Also ließ sich jetzt schon vorhersehen, daß der Zoll-
verein auch diese Krisis überstehen und der preußische Staat fortfahren
würde, der nationalen Handelspolitik schwere Opfer zu bringen. Auf den
Dank der Nation konnte er freilich nicht zählen. Die Zeitungen küm-
merten sich noch wenig um statistische Tabellen, und der liberale Philister
lebte nach wie vor des Glaubens, daß die pfiffigen Preußen vom Zoll-
vereine den Rahm abschöpften.
Trotz der großen Fortschritte dieser Jahre blieb Deutschland, den West-
mächten gegenüber, noch immer ein armes Land. Der Zinsfuß stand
hoch, auf 4½ bis 5 Prozent; größere Unternehmungen mußten ihre Kapi-
talien oft aus England entleihen, wo sie für 2½ bis 3 Prozent zu er-
langen waren. Die Berliner Börse war für das Ausland noch kaum
vorhanden; sie handelte fast ausschließlich mit inländischen Pfandbriefen,
nur mit den spanischen Papieren wurde zur Zeit des Karlistenkrieges eine
schwindelhafte Spekulation getrieben. Der gesamte Verkehr mit dem
Auslande, zumal der überseeische, hing noch, völlig ungeordnet, von tau-
send Zufällen ab. Wenn der alte Goethe seinem getreuen Carlyle ein
Kästchen mit Geschenken senden wollte, so mußte er oft monatelang warten,
bis ein befreundeter Hamburger Reeder ein Schiff nach Edinburgh ab-
gehen ließ; im Winter hörte dieser Verkehr gänzlich auf. Und dazu die
schlechthin unberechenbaren Kosten. Wer sich nicht vorsah, konnte Wunder
erleben. Im Jahre 1834 kaufte der sächsische Konsul zu Neuyork im Auf-