Full text: Deutsches Kolonialblatt. V. Jahrgang, 1894. (5)

Weißer nicht betreten durfte, ohne sich seiner euro- 
päischen Kleidung entledigt zu haben. 
Die herbeigerufenen Aeltesten erklärten mir auf 
meine Bitte um einen Führer für den anderen Tag, 
der Sio sei von Lebbe aus noch niemals befahren 
worden; dies sei auch unmöglich. Nach vielen 
Palavern ließ sich endlich ein Jäger bereit finden, 
uns als Führer zu dienen. Auf meine Frage, wann 
wir im nächsten Dorse ankämen, erwiderte er: „Nicht 
vor Sonnenuntergang, wenn es uns überhaupt ge- 
länge, durchzukommen.“ Der Aufbruch am andern 
Morgen verzögerte sich leider bis 10 Uhr, da uns 
in der Nacht ein Kanu abhanden gekommen war. 
Anfangs durchfuhren wir die überschwemmte Savanne, 
da der Sio dicht hinter Lebbe so schmal ist, daß er 
mit Kanus nicht befahren werden kann, sich auch 
streckenweise in der sumpfigen Savanne verliert; um 
12 Uhr 15 Min. erreichten wir ihn wieder. Die 
Scenerie wurde von nun an entzückend schön und 
zeigte während der ganzen Fahrt denselben Charakter. 
Der Fluß ist wie mit einer Laube überdacht: an 
den Ufern stehen kolossale Baumriesen, vermischt mit 
Dattelpalmen, Farnkräutern und wundervollen 
Schlinggewächsen. Das Wasser war von einer auf- 
fallenden Klarheit und Kühle. Streckenweise wechselte 
der 1 bis 2 Meter tiese Baumbestand mit Gras- 
und Buschsavanne. Leider wurde uns die Freude 
an dem schönen Landschaftsbild durch die zahlreichen 
Hindernisse, die sich dem Vorwärtskommen entgegen- 
stellten, stark getrübt. Mit Dornen durchwachsenes, 
unmittelbar auf der Wasseroberfläche liegendes Ge- 
strüp, das bei seiner Elastizität Messern und Beilen 
einen großen Widerstand entgegensetzte, umgefallene 
Bäume und über den Fluß gewachsene starke Zweige 
versperrten fortwährend den Weg. Ganze Strecken 
mußten wir uns liegend vorwärtsschieben; Ameisen 
und aufgestörte Wespen verleideten uns und den 
star ermüdeten Kanuleuten, die nur durch Inaus- 
sichtstellen von Belohnungen und durch die Angst, 
die Nacht auf dem Fluß verbleiben zu müssen, zum 
Weiterarbeiten veranlaßt wurden, die Fahrt. Endlich 
6½ Uhr abends trafen wir in Jagble, einem Platz 
von vielleicht 500 Seelen, ein. Derselbe ist von 
Lebbe über Land in 3 Stunden zu erreichen; der 
Wasserweg hatte 8½ Stunden erfordert. Die Ein- 
wohner von Jagble konnten sich nicht genug wun- 
dem über die Weißen, die den unpassirbaren Wasser- 
weg anstatt des bequemen Landweges gewählt hatten. 
Die Verhandlungen mit dem Häuptling wegen eines 
Führers für den weiteren Weg scheiterten, da alle 
Leute behaupteten, es sei unmöglich, auf dem Sio 
vorwärlszukommen. Endlich erhob sich ein älterer 
Schworzer, der sich uns als Landsmann aus Klein- 
Popo vorstellte und der aus reiner Menschenfreund- 
lichteit bereit war, als Führer zu dienen. Leider 
stellte sich am andern Tage heraus, daß dieser 
Biedermamn den Sio ebenso wenig früher befahren 
hate wie wir. Am andern Morgen 8 Uhr wurde 
die Weiterreise angetreten. Die Scenerie war die- 
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selbe, nur war der Baumbestand an den Ufern 
streckenweise tiefer, und es zeigten sich häufiger in 
vorzüglicher Kultur befindliche Oelpalmwaldungen; 
die Fahrt war noch strapaziöser als am Tage vor- 
her; mehrere Male, besonders an Stellen, wo der 
Strom schwächer war, verloren wir uns in der 
überschwemmten Savanne und fanden den Sio erst 
mit vieler Mühe wieder. Auch Vögel zeigten sich 
in größerer Menge, sowie mehrmals Affenherden 
(Hundsaffen und Meerkatzen). Sonstiges Wild ließ 
sich nicht blicken, obgleich die Gegend reich an Anti- 
lopen und Leoparden sein soll. Auch Büffel sollen 
vorkommen, doch glaubte ich in die Behauptung 
unseres Führers, eine an den Fluß führende Fährte 
sei eine Büffelfährte, starke Zweifel sezen zu müssen. 
Dieselbe konnte ebenso gut von mehreren Menschen, 
die an der Stelle den Fluß überschritten hatten, her- 
rühren. An den Ufern sahen wir mehrere größere 
überschwemmte und verlassene Farmen; die Dach- 
spiten der zum Trocknen des geernteten Mais be- 
nutzten kleinen Hütten waren häufig mit ausgestopften 
Hundsaffen versehen. Zwei durch umgefallene Bäume 
und Schlinggewächse gebildete, anscheinend allerdings 
wenig benutzte Brücken schienen dem Verkehr nach 
der Küste zu dienen. Um 3⅛ Uhr erreichten wir 
das kleine, vielleicht 200 bis 300 Seelen zählende 
Adido Dogbö, welches auf dem Landwege von Jayble 
zwei Stunden entfernt ist. Die Auskunft, die mir 
hier wurde, bewog mich, die Fahrt aufzugeben. Der 
auf der Kiepertschen Karte als Togble (Dekplo?) 
eingezeichnete Ort wurde von Adidô Doybölenten 
Dekpo genannt, sollte ½2 Stunde vom Sio entfernt 
liegen und von Adido Dogbo auf dem Landwege in 
sechs Minuten, auf dem Wasserwege in frühestens 
drei Tagen zu erreichen sein, wenn es überhaupt 
Mmöglich sei, was von dem Häuptling bezweifelt wurde. 
Zum Beweise für die Länge der Fahrt zeigte er den 
sich in unendlichen Krümmungen hinziehenden Sio, 
welcher sich durch die bewachsenen Ufer in der von 
ihm durchlaufenen Savanne deutlich markirte. Die 
bei Dekpo vorhandene Brücke ist eine natürliche. 
Der Ort Adeti Koffi ist großer Marktplatz und soll 
eine Tagereise, 6 bis 8 Stunden, von Adido Dogbô 
entsernt sein. Der Weg dahin führt ununterbrochen 
durch Oelpalmemwälder, wie mich die Eingeborenen 
versicherten. Assomme, auf der Karte Asome ge- 
nannk, soll in 1½ Tagen von Adido Dogbô zu er- 
reichen sein und eine Stunde vom Sio entfernt 
liegen. Der Name Sionn war den Leuten un- 
bekannt; sie behaupteten aber, der Sio wäre nirgends 
breiter als bei ihnen. Sie warnten mich, die Fahrt 
fortzusetzen, da in wenigen Tagen rapides Fallen 
des Sio zu erwarten sei und die Kanus an den 
unter der Oberfläche des Wassers befindlichen Baum- 
stämmen zerschellen würden. Als Woeckel einen Tag 
später flußabwärts fuhr, war das Wasser schon um 
1½ JupP gefallen. 
Da unter diesen Umständen eine Fortsetzung der 
Fahrt für die Interessen des Schutzgebietes wenig
	        
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