Weißer nicht betreten durfte, ohne sich seiner euro-
päischen Kleidung entledigt zu haben.
Die herbeigerufenen Aeltesten erklärten mir auf
meine Bitte um einen Führer für den anderen Tag,
der Sio sei von Lebbe aus noch niemals befahren
worden; dies sei auch unmöglich. Nach vielen
Palavern ließ sich endlich ein Jäger bereit finden,
uns als Führer zu dienen. Auf meine Frage, wann
wir im nächsten Dorse ankämen, erwiderte er: „Nicht
vor Sonnenuntergang, wenn es uns überhaupt ge-
länge, durchzukommen.“ Der Aufbruch am andern
Morgen verzögerte sich leider bis 10 Uhr, da uns
in der Nacht ein Kanu abhanden gekommen war.
Anfangs durchfuhren wir die überschwemmte Savanne,
da der Sio dicht hinter Lebbe so schmal ist, daß er
mit Kanus nicht befahren werden kann, sich auch
streckenweise in der sumpfigen Savanne verliert; um
12 Uhr 15 Min. erreichten wir ihn wieder. Die
Scenerie wurde von nun an entzückend schön und
zeigte während der ganzen Fahrt denselben Charakter.
Der Fluß ist wie mit einer Laube überdacht: an
den Ufern stehen kolossale Baumriesen, vermischt mit
Dattelpalmen, Farnkräutern und wundervollen
Schlinggewächsen. Das Wasser war von einer auf-
fallenden Klarheit und Kühle. Streckenweise wechselte
der 1 bis 2 Meter tiese Baumbestand mit Gras-
und Buschsavanne. Leider wurde uns die Freude
an dem schönen Landschaftsbild durch die zahlreichen
Hindernisse, die sich dem Vorwärtskommen entgegen-
stellten, stark getrübt. Mit Dornen durchwachsenes,
unmittelbar auf der Wasseroberfläche liegendes Ge-
strüp, das bei seiner Elastizität Messern und Beilen
einen großen Widerstand entgegensetzte, umgefallene
Bäume und über den Fluß gewachsene starke Zweige
versperrten fortwährend den Weg. Ganze Strecken
mußten wir uns liegend vorwärtsschieben; Ameisen
und aufgestörte Wespen verleideten uns und den
star ermüdeten Kanuleuten, die nur durch Inaus-
sichtstellen von Belohnungen und durch die Angst,
die Nacht auf dem Fluß verbleiben zu müssen, zum
Weiterarbeiten veranlaßt wurden, die Fahrt. Endlich
6½ Uhr abends trafen wir in Jagble, einem Platz
von vielleicht 500 Seelen, ein. Derselbe ist von
Lebbe über Land in 3 Stunden zu erreichen; der
Wasserweg hatte 8½ Stunden erfordert. Die Ein-
wohner von Jagble konnten sich nicht genug wun-
dem über die Weißen, die den unpassirbaren Wasser-
weg anstatt des bequemen Landweges gewählt hatten.
Die Verhandlungen mit dem Häuptling wegen eines
Führers für den weiteren Weg scheiterten, da alle
Leute behaupteten, es sei unmöglich, auf dem Sio
vorwärlszukommen. Endlich erhob sich ein älterer
Schworzer, der sich uns als Landsmann aus Klein-
Popo vorstellte und der aus reiner Menschenfreund-
lichteit bereit war, als Führer zu dienen. Leider
stellte sich am andern Tage heraus, daß dieser
Biedermamn den Sio ebenso wenig früher befahren
hate wie wir. Am andern Morgen 8 Uhr wurde
die Weiterreise angetreten. Die Scenerie war die-
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selbe, nur war der Baumbestand an den Ufern
streckenweise tiefer, und es zeigten sich häufiger in
vorzüglicher Kultur befindliche Oelpalmwaldungen;
die Fahrt war noch strapaziöser als am Tage vor-
her; mehrere Male, besonders an Stellen, wo der
Strom schwächer war, verloren wir uns in der
überschwemmten Savanne und fanden den Sio erst
mit vieler Mühe wieder. Auch Vögel zeigten sich
in größerer Menge, sowie mehrmals Affenherden
(Hundsaffen und Meerkatzen). Sonstiges Wild ließ
sich nicht blicken, obgleich die Gegend reich an Anti-
lopen und Leoparden sein soll. Auch Büffel sollen
vorkommen, doch glaubte ich in die Behauptung
unseres Führers, eine an den Fluß führende Fährte
sei eine Büffelfährte, starke Zweifel sezen zu müssen.
Dieselbe konnte ebenso gut von mehreren Menschen,
die an der Stelle den Fluß überschritten hatten, her-
rühren. An den Ufern sahen wir mehrere größere
überschwemmte und verlassene Farmen; die Dach-
spiten der zum Trocknen des geernteten Mais be-
nutzten kleinen Hütten waren häufig mit ausgestopften
Hundsaffen versehen. Zwei durch umgefallene Bäume
und Schlinggewächse gebildete, anscheinend allerdings
wenig benutzte Brücken schienen dem Verkehr nach
der Küste zu dienen. Um 3⅛ Uhr erreichten wir
das kleine, vielleicht 200 bis 300 Seelen zählende
Adido Dogbö, welches auf dem Landwege von Jayble
zwei Stunden entfernt ist. Die Auskunft, die mir
hier wurde, bewog mich, die Fahrt aufzugeben. Der
auf der Kiepertschen Karte als Togble (Dekplo?)
eingezeichnete Ort wurde von Adidô Doybölenten
Dekpo genannt, sollte ½2 Stunde vom Sio entfernt
liegen und von Adido Dogbo auf dem Landwege in
sechs Minuten, auf dem Wasserwege in frühestens
drei Tagen zu erreichen sein, wenn es überhaupt
Mmöglich sei, was von dem Häuptling bezweifelt wurde.
Zum Beweise für die Länge der Fahrt zeigte er den
sich in unendlichen Krümmungen hinziehenden Sio,
welcher sich durch die bewachsenen Ufer in der von
ihm durchlaufenen Savanne deutlich markirte. Die
bei Dekpo vorhandene Brücke ist eine natürliche.
Der Ort Adeti Koffi ist großer Marktplatz und soll
eine Tagereise, 6 bis 8 Stunden, von Adido Dogbô
entsernt sein. Der Weg dahin führt ununterbrochen
durch Oelpalmemwälder, wie mich die Eingeborenen
versicherten. Assomme, auf der Karte Asome ge-
nannk, soll in 1½ Tagen von Adido Dogbô zu er-
reichen sein und eine Stunde vom Sio entfernt
liegen. Der Name Sionn war den Leuten un-
bekannt; sie behaupteten aber, der Sio wäre nirgends
breiter als bei ihnen. Sie warnten mich, die Fahrt
fortzusetzen, da in wenigen Tagen rapides Fallen
des Sio zu erwarten sei und die Kanus an den
unter der Oberfläche des Wassers befindlichen Baum-
stämmen zerschellen würden. Als Woeckel einen Tag
später flußabwärts fuhr, war das Wasser schon um
1½ JupP gefallen.
Da unter diesen Umständen eine Fortsetzung der
Fahrt für die Interessen des Schutzgebietes wenig