Full text: Deutsches Kolonialblatt. V. Jahrgang, 1894. (5)

werbung der für die Expedition bestimmten Träger 
und Soldaten begangenen schweren Misßgrisse be- 
raubien auch dieses Unternehmen der gehofften Erfolge: 
Der Nachsolger des Freiherrn v. Gravenreuth, der 
in Oslafrika bewährte Kompagnieführer in der dortigen 
Schutztruppe, Ramsay, vermochte mit den sehr ge- 
schwächten Mitteln der Expedition und den größten- 
theils sehr wenig brauchbaren Trägern nicht über 
Balinga und Yainde vorzudringen. 
Im Hinblick auf die immer näher rückende Ge- 
sahr, durch die englischen und französischen Be- 
strebungen das Schußgebiet Kamernn im Nordosten 
von seiner Verbindung mit dem Tschadsee und dem 
Shari abgeschnitten zu sehen, entschloß sich die 
Kaiserliche Regierung, unter Aufsbietung der noch 
übrig gebliebenen Mittel noch einen letzten Versuch 
zu machen, um durch die Entsendung einer neuen 
Expedition von Balinga nach Nordosten gegen Yola- 
den drohenden Verlust abzuwenden. Sie beauftragte 
im November 1892 den Gonverneur in Kamerun 
mit dem für andere Zwecke im Schutzgebiet ver- 
wendeten jetzigen Ritlmeister v. Stetten wegen 
Uebernahme dieser neuen Expedition unter Benußung 
der von den früheren Unternehmungen noch vor- 
handenen Vorrälhe in Verbindung zu treten. Im 
Februar 1893 war v. Stelten bereits nach Balinga 
unterwegs. Er gerieth bei seinem Weitermarsch nach 
Nordosten auf dem Morgenschen Wege in die gleiche 
Zwangslage wie sein Vorgänger, den Herrscher von 
Tibati in seinem Kriegslager aufsuchen zu müssen, 
so daß er infolge dessen von dem Marsch nach 
Ngaundere weiter gegen Norden abgelenkt wurde. 
Wegen der höchst zweidentigen, ja verrätherischen 
Haltung des Tibati-Sultans der Expedition gegen- 
über konnte v. Stetten nur durch einen kühnen, 
das Schicksal der Expedition aufs Spiel setzenden 
Handstreich sich der Gewalt dieses Herrschers ent- 
ziehen und Yola noch kurz vor Eintreffen der den 
Bennk heraufkommenden französischen Expedition des 
Schifislicutenants Mizon erreichen. Sein Ge- 
sundheitszustand und die durch die Vorgänge in 
Tibati bewirkle wesentliche Herabminderung seiner 
Mittel gestatteten ihm nicht, von Yola aus weiter 
nach Osten vorzudringen. Er mußte über den Benne 
und Niger zur Küste zurückkehren. Unterwegs be- 
gegnete ihm die von dem 1892 angesichts der 
immer bedrohlicher sich gestaltenden Verhälmmisse im 
Kamerunhinterland ins Leben getretenen Deutschen 
Kamerunkomité ausgerüsiete v. Uechtrißsche Ex- 
pedition, welche dank der Empfehlungen und Nach- 
richten, welche sie durch die v. Stettensche 
Expedition erhielt, in Yola einc freundlichere Auf- 
nahme fand. 
Mitte des Jahres 1893 war die Sachlage die, 
daß troß aller im Vorstehenden kurz geschilderten 
Anstrengungen der Kaiserlichen Regierung, trotz Auf- 
wendung von sehr erheblichen Beträgen und troß 
der schmerzlichsten Verluste an Menschenleben keine 
einzige deutsche Expedition außer der ihr für die Er- 
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forschung des unmittelbaren Hinterlandes gestellten 
Aufgabe die weitere auf die Vergrößerung der 
deutschen Interessensphäre gerichtete gelöst hatte. Im 
Süden war keine über 12° 30“ ö. L. vorgedrungen, 
und auch im Norden war das seit 1886 im eng- 
lischen Besitz befindliche Yola der äußerste nach 
Osten zu erreichte Punkt geblieben; der 15.Ü° ö. Gr. 
war nicht berührt, geschweige denn überschritten 
worden. 
Von deutschen Privatunternehmern war in dieser 
siebenjährigen Periode, abgesehen von der in zwölfter 
Stunde entsandten Expedition v. Uechtritz, über- 
haupt nichts geschehen. Jede von der Regierung 
gegebene Anregung war gescheitert. Handelszüge 
waren zu gefahrvoll und boten nicht den ent- 
sprechenden Gewinn, der zu den Aufwendungen im 
Verhältniß gestanden hätte. Die in Kamerun am 
meisten betheiligten Hamburger Kaufleute verhielten 
sich aus den bereits erörterten Gründen und ihrem 
von Anfang an in dieser Frage eingenommenen 
Standpunkt entsprechend, seit Jahren, wie noch heute 
gegen alle auf das ferne Hinterland von Kamerun 
bezüglichen Pläne vollständig ablehnend. Die öffent- 
liche Meinung im Reiche war nicht so mächtig, um, 
wie in ähnlichen Fällen in Frankreich nach dem 
Untergange der Crampelschen Expedition, un- 
verzüglich aufs Neuc weitere gleiche Unternehmungen 
zu Stande zu bringen. Im Gegentheil ist die 
Bildung der Uechtritschen Expedition, die in 
richtiger Erlenntuiß und in kluger Benutzung der 
gemachten Erfahrungen nur mit Unterstützung der 
Royal-Niger-Company zu einem Ergebniß gelangen 
konnte, in dem Schoße der maßgebenden lolonialen 
Kreise aus diesem Grunde auf den erheblichsten Wider- 
stand gesloßen. In diesen wollte man Unternehmungen 
zur Sicherung des Hinterlandes überhaupt nicht mehr 
machen und Geldmittel nur noch zu einer wissen- 
schastlich planmäßigen Erforschung des Schutzgebiels 
selbst bewilligen. 
Die von englischer Seite her drohende Ueber- 
flügelung und Abschneidung vom Tschadsee war zwar 
durch das Abkommen vom 15. November 1893 
beseitigt. Es muß hervorgehoben werden, daß das 
hierdurch für Deutschland erzielte günstige Ergebniß 
ausschließlich die Frucht diplomatischer Verhandlungen 
war, welche die der Noyal-Niger-Company durch die 
Expedition Mizon drohenden Gefahren zu beuußen 
verstanden. Denn während diese Gesellschaft Jahre 
lang von Station zu Station vorgedrungen war 
und unter Aufwendung der erheblichsten Kosten bis 
nach Bornu hinein festen Fuß gefaßt hatte, konnte 
die deutsche Regierung sich weder auf Erwerbstitel 
irgend welcher Art, noch auf deulsche Unternehmungen 
berufen. Daß das mit England geschlossene Ab- 
kommen Ansprüche Frankreichs hervorrufen müßte 
und würde, war nicht einen Augenblick zweifelhaft. 
Dieser Gesichtspunkt ist ost genug, in kolonialen 
Versammlungen wie in förmlichen Beschlüssen des 
Kolonialraths zum Ausdruck gelangt. Denn die
	        
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