Süden vom Nyassa bis Kilwa ziemlich eingehend
kennen gelernt, so daß ich mich nunmehr berechtigt
glaube, über den Werth dieser Kolonie ein der Be-
achtung nicht ganz unwerthes Urtheil zu fällen.
Meine Werthschätzung der hiesigen Kolonie war,
als ich herauskam, in Anbetracht der vielen darüber
verlautbarten ungünstigen Urtheile, keine sehr hohe.
Wenn ich diese meine geringe Meinung hervor-
hebe, so thue ich es, weil ich glaube, dadurch meiner
nachfolgenden Werthbemessung eine um so größere
Bedeutung beizulegen und mich gegen den Vorwurf
des Optimismus zu schützen.
Soweit ich die Kolonie jetzt kenne, und nach
Angabe anderer Angestellter und Reisender treffen
diese Schilderungen im Ganzen auch auf die anderen
mir noch unbekannten Gebiete zu, ist eine ganz be-
stimmte Scheidung zu machen zwischen den niedrig
gelegenen Steppengebieten, welche sich von der Küste
mehr oder weniger weit in das Innere erstrecken,
und den Gebirgen und Hochländern, welche den
größeren Theil der ganzen Kolonie ausmachen
dürften.
Die niederen Steppengebiete sind besonders,
soweit sie außerhalb größerer Flußgebiete liegen,
vorläufig für die weitere Entwickelung im Interesse
Deutschlands werthlos. An sich jedoch keinesfalls,
denn der Boden ist überwiegend nicht unfruchtbar,
und wo augenblicklich Wassermangel herrscht, ist in
späteren Zeiten durch Brunnenanlagen u. s. w. Ab-
hülfe zu schaffen, da in der That Wasser in geringer
Tiese fast überall vorhanden ist. Eine Kultur ein-
heimischer Produkte, welche ausfuhrfähig sind, durch
Eingeborene ist an den meisten Stellen möglich, so
daß eine Steigerung der Produktionskraft auch des
Steppengebiets bei zunehmender Bevölkerung, größerer
Seßhaftigkeit derselben und genügender Anleitung zu
erwarten ist.
Es liegt der augenblickliche Werth der Kolonie
für Deutschland hauptsächlich in den Gebirgen und
Hochländern, und es ist meine feste Ueberzeugung,
daß hier ein Schaß für das Vaterland vorhanden
ist, der bei genügender Entwickelung gar nicht hoch
genug zu schähen ist.
Es ist nicht nur ein Areal für Plantagenanlagen
vorhanden, welche durch ihre Erzeugnisse das Mutter-
land von allen fremden Kolonien in Bezug auf
Kolonialprodukte unabhängig machen können, sondern
es giebt auch Hochländer, welche jebt schon die Be-
dingungen bieten für ein sorgenfreies Leben von
Ackerbau und Viehzucht treibenden deutschen Bauern,
und welche dereinst bei Schaffung genügender Absatz-
wege auch den Unternehmern reichen Gewinn ab-
wersen müssen. Das Usambara-, Pare= und Kilima-
ndjarogebirge im Norden, Ulugurn im Centrum,
die Perle des Kondehochlands am Nyassa eignen sich
vermöge ihrer verschiedenen Höhenlagen, ihrer Boden-
qualität und ihres Wasserreichthums zur Anlage von
231
Plantagen für alle Kolonialprodukte. Die Hoch-
plateaus von Usambara und Pare sowie das boße
Hochplateau, welches sich vom Ulanga, Ruaha bis
zum Nyassa-, Rikwa= und Tanganyikasee erstreckt,
eignen sich nach ihrer Bodenbeschaffenheit sowie nach
ihrem Klima zur Ansiedelung deutscher Bauern,
welche selbstthätig dort Ackerbau und Viehzucht
treiben können. Wenn auch in der Mittagszeit hin
und wieder die Temperatur etwas über diejenige
des deutschen Sommers steigt, so sind Morgen und
Abend kühl — nachts sinkt das Thermometer öfter
bis 6°% Celsius —, so daß eine reichliche Arbeitszeit
bleibt. Der Boden ist von vorzüglicher Beschaffen-
heit, Wasser stets vorhanden, Schwierigkeiten mit
Urbarmachung sind namentlich im Hochplateau zwischen
Nuaha und den Seen nicht vorhanden, da das Land
überwiegend eine mit kleineren Buschparzellen durch-
sprengte, leicht wellige Wiesenfläche ist. Während die
niedere Steppe in ihrer Flora hohe, stroh= und schilf-
öähnliche Gräser hervorbringt, gleicht das Hochplateau
einer deutschen Wiesenflur, auf der heute schon viele
Tausende von Rindern und Schafen Nahrung
fänden. 3
Die Flora gleicht sehr der heimischen, man glaubt
viele deutsche Gräser und Wiesenblumen wiederzu-
erkennen, Gemüse gedeihen vortrefflich, in der That
wird von den Eingeborenen unter anderen die ge-
wöhnliche weiße Bohne und die europäische Erbse
angebaut; der Brombeerstrauch gedeiht hier wie am
Kilimandjaro wild. Wo es troß des sehr reichlichen
Regenfalls noch nöthig sein sollte, ist mittelst der
stets wasserführenden Bäche und Flüsse leicht eine
Bewässerung einzuführen. Die Oberfläche ist leicht
gewellt, so daß bei einer Beackerung keine Schwierig-
keiten entstehen, der Boden tiefgründig, von schwerem
Lehm= und Humusboden bis zu leichteren Mischungen
wechselnd.
Wie schon gesagt, gedeihen alle Gemüsearten vor-
züglich, desgleichen die afrikanischen Getreidesorten.
Meines Erachtens wird auch der Anbau von Weizen
in entsprechenden Höhenlagen gelingen, sobald die
geeignete Sorte, welche eine gleichmäßige Reife garan-
tirt, gesunden oder gezüchtet ist.
Augemblicklich bietet die unglaubliche Triebkraft
des Bodens, welche aus einem Korn immer wieder
neue Halme sprießen läßt, für die gleichmäßige Reife
und somit auch für die Ernte eine Schwierigkeit.
Rindvieh, Schafe und Ziegen gedeihen vortrefflich.
Die nach der Seuche noch gebliebenen Reste der
ersteren Gattung und die der Einwohnerzahl ent-
sprechend vorhandenen Herden der Leßteren beweisen
es. Es bedürfen jedoch die Rassen einer Verbesserung
in Milch-, Fleisch= und Wollproduktion. Bemerken
hierbei möchte ich, daß der Vermögensverlust der
Kolonie durch die Rinderseuche sich auf viele Millionen
belaufen dürste, so hat beispielsweise der jetzt ver-
storbene Sultan Merere über 30 000 Stück Rind-
vieh besessen, heute beträgt diese Herde 2c. 3000 Stück.