seinen Aufenthalt nimmt, ist er genöthigt, sich über
die wirthschafklichen Bedingungen des Lebens in der
näheren und weiteren Umgebung derselben aufs
Genaueste zu unterrichten. Er muf feststellen, wo er
Lebensmittel, Baumaterial, Trinkwasser u. s. w. am
besten erhält, welche Wege zu den Orten, wo er
dergleichen herbezieht, führen, welche Materialien für
ihn am besten und billigsten sind. Viele Missions-
stationen werden von seiten ihrer Gesellschaften darauf
angewiesen, sich ihren Bedarf wenigstens zum Theil
durch eigenen Landbau und Viehzucht zu beschaffen.
So wird festgestellt, welche europäischen und sonstigen
Kulturgewächse in der Umgebung der Station ge-
deihen und gebaut werden können. Kurz, die Missions-
stationen sind, durch das praktische Leben darauf
geführt, das, was man jetzt aus theoretischen Er-
wägungen heraus anzulegen beginnt, wirthschaftliche
Versuchsstationen. Durch das Beispiel der Missionare
werden aber auch die Eingeborenen mit landwirth-
schaftlichen und anderen Arbeiten und Kulturen be-
kannt, die ihnen vorher unbekannt waren, und es
entwickelt sich überhaupt eine lebhaftere wirthschaftliche
Thätigkeit, namentlich entstehen auch Märkte in der
Nachbarschaft. So scheint sich, um wieder Beispiele
aus der jüngsten Zeit anzuführen, in dem deutschen
Nyassagebiet ein wirthschaftliches Centrum um die
Niederlassungen der Mission Berlin I und der Brüder-
gemeinde zu bilden; so haben die Erfahrungen der
Missionare von Verlin III in Usambara auf die
Anlage von Kaffeeplantagen daselbst eingewirkt, ebenso
wie die Versuche der katholischen Mission in Usagara.
Ebenso haben die Leistungen der rheinischen Mission
in Südwestafrika die Möglichkeit des Anbaues euro-
päischer Kulturgewächse und damit die Möglichkeit
europäischer Besiedelung in dieser angeblichen „Sand-
büchse“ bewiesen. Es mag noch darauf hingewiesen
werden, daß viele Missionsgesellschaften durch die
Forderung der Bekleidung, namentlich ihrer weib-
lichen Zöglinge, direkt zur Förderung der Einfuhr
von Baumwollstoffen und überhaupt von Bekleidungs-
gegenständen beitragen.
RAus fremden Rolonien.
Expedition ins Dinterland von Lagos.
Die Expedition, welche der Gouverneur von Lagos
Sir Gilbert Carter zu Beginn des Jahres 1893
in das Hinterland der von ihm verwalteten Kolonie
unternommen hatte, ist bereits im letzten Jahrgang
des Kolonialblattes (S. 277) kurz besprochen worden.
Dem jetzt vorliegenden amtlichen Berichte über die-
selbe entnehmen wir noch folgendes Bemerkenswerthe:
1. Der Gonverneur hebt die große Fruchtbarkeit
vieler Striche des durchreisten Gebietes hervor. Schon
jetzt ist ein lebhafter Handel in Palmöl und Palm-
kernen; auch wird von den Eingeborenen vielfach
Baumwolle gebaut, Farmen dieser Nutzpflanze wurden
besonders auf dem Wege von Oyo nach Ogbomosso
290 —
angetroffen. Auch Indigo wird in bedeutenden
Mengen angepflanzt, auch für diese Kultur ist Ogbo-
mosso der Hauptplatz. Die Zubereitung dieses Er-
zeugnisses für den Handel ist eine sehr einfache. Die
Blätter werden in einem Holzmörser zerstoßen; die
Masse wird dann zu runden Bällen geknetet, welche
man trocknen läßt.
In offenen Gegenden traf man — zum ersten
Male weit ab von der Küste in der Nähe
von Eruwa — den shea butter tree an. Der
Baum wird als unserer Eiche ähnelnd beschrieben,
hat jedoch weit größere Blätter. Die Blüthen sind
klein, von gelblicher Farbe. Die Rinde ist in langen
Streifen am Stamm gespalten. Der Baum wird
bis zu 50 Fuß hoch. Das aus dem Samen zu
gewinnende Fett, welches anderwärts einen Ausfuhr-
artikel bildet, scheint hier nur zu Haushaltungs-
zwecken Verwendung zu finden.
Der Bericht drückt die Ansicht aus, daß die
Eingeborenen, je mehr die Verhältnisse sich beruhigen
und die Sklavenraubzüge in Wegfall kommen, sich
umsomehr der Bebauung des Bodens widmen und
Kulturen von Kaffee, Kakao, Baumwolle und Indigo
entstehen bezw. sich ausdehnen werden. Dann werde
der Bau einer schmalspurigen Eisenbahn von Lagos
über Abeokuta, Iwo, Ogbomosso und Ilorin ein
unabweisbares Bedürfniß werden und bei vorliegen-
den günstigen Verhältnissen mit verhältnißmäßig
geringen Kosten auszuführen sein.
Die beruhigende Wirkung der Expedition hat sich
in einer bedeutenden Hebung des Handels von Lagos
bereits zu erkennen gegeben.
2. Der Bericht spricht sich auch über die Thätig-
keit der Missionen aus. Es sind vier Gesellschaften
thätig: die church missionary) society, die Wes-
leyaner, die Baptisten und die römisch-katholische.
Missionsstationen wurden in Otta, Abeokuta, Iseyin
und Oyo angetroffen; am weitesten haben die Bap-
tisten ihre Posten vorgeschoben, indem ein enropischer
Baptistenmissionar in Ogbomosso wirkt.
Die Erfolge der christlichen Missionen werden
als sehr geringfügig und mit den großen Opfern an
Menschenleben und Geld in keinem Verhältniß
stehend hingestellt. Das sei insbesondere dem
Mohammedanismus zuzuschreiben, welcher in der
Bevölkerung tiefe Wurzeln geschlagen habe. So
berichtet der Gouverneur, daß der Alafin (King)
von Oyo, wenngleich er an höflichem Entgegenkommen
nichts zu wünschen übrig liest, durchaus nicht die an
den vorbesuchten Plätßen angetroffene Herzlichkeit
gezeigt habe. Es stellte sich heraus, daß dem Alafin
zugetragen war, der Zweck des Besuches des Gou-
verneurs sei einzig der, die Sklaverei abzuschaffen
und das Christenthum, insbesondere dessen Vorschrift,
daß Jedermann nur eine Frau haben solle, einzu-
führen. Dies hatte den King dermaßen verstimmt,
daß er seinem Fetisch ein Menschenopfer dargebracht
hatte, um den bevorstehenden Besuch des Gouverneurs
abzuwenden.