Full text: Deutsches Kolonialblatt. V. Jahrgang, 1894. (5)

vorüberwandeln, dann setze auch ich mich wieder in 
Bewegung. Wir gelangen bald an eine Stelle, wo 
der Weg über einen 2 Meter breiten, 6 Meter 
tiefen, nach unten ganz spitz zulaufenden Graben ge- 
leitet ist. Derartige Gräben, die ich mich nicht er- 
innere in irgend einer Landschaft des Ostens gesehen 
zu haben, sind im Westen eine ganz gewöhnliche Er- 
scheinung, da sie, oft zu mehreren hintereinander, 
nicht nur zur Vertheidigung der Grenzen, sondern auch 
zum besonderen Schutz der Häuptlingsbomen her- 
gestellt werden. Ueberall fiel mir auf, daß von 
einem zugehörigen Wall, der ja aus der aus- 
geworfenen Erde von selbst entsteht, nichts zu be- 
merken war. Erst durch Sina erfuhr ich die Ur- 
soche. Die Gräben werden mit Zuhülfenahme einer 
energischen Wasserspülung gebaut: man zieht zunächst 
eine Leitung, und nachdem diese sich selbstthätig 
genügend vertieft hat, bleibt man so lange dabei, 
das Bett ständig mit Hacken aufzulockern, bis das 
Wasser, das alle Erde fortträgt, sich genügend weit 
in den Grund hineingearbeitet hat. In Kirna diente 
der Graben, der übrigens bei uns zu Hause auch 
von einem mäßigen Turner mit Leichtigkeit über- 
sprungen werden würde, nur zur Sicherung des 
bewohnten Gebiettheils, nicht der eigentlichen Grenze, 
Diese, in Gestalt der wirklich prächtigen Nanga- 
schlucht, that sich erst vor uns auf, als wir einen 
ziemlich breiten, wüstliegenden, mit dichtem Gestrüpp 
bestandenen Landstreifen passirt hatten. Solche sind 
vielfach zwischen die Landschaften eingeschaltet, um 
ebenfalls eine Wehr gegen plöpliche Ueberfälle ab- 
zugeben. 
Die Nangaschlucht hat an Großartigkeit inner- 
halb der Kulturregion am Berge nicht ihres Gleichen. 
Wohl an 400 Meter senkt sie sich herab, was um 
so mehr verwundert, als am Grunde ein verhältniß- 
mäßig nur kleiner Bach verläuft. Aber wir haben 
es hier nicht mit Lava zu thun, die nur da und 
dort in schwarzen, bandartigen, basaltischen Massen 
zwischengelagert erscheint, sondern mit Tufsfgestein, 
das der nagenden Thätigkeit des Wassers nur ge- 
ringen Widerstand entgegensehbt. Das geht auch aus 
dem Pflanzenwuchs hervor. Während sonst die 
Schluchten mit hochragenden Bäumen, darunter der 
wilden Dattelpalme, erfüllt sind, sehen wir hier nur 
Gras, stellenweise mit etwas Gebüsch untermischt, 
die Hänge überziehen. Trotzdem lommt ein schönes 
Gesammtbild heraus; unverhüllt bieten sich zu beiden 
Seiten die runden, sanft geschwungenen Linien des 
Absturzes unserem Auge dar und weithin lassen sich 
die Schlangenwindungen des Baches verfolgen. Von 
dem Wege, der sich zu unseren Füßen abwärts senkt, 
vermögen wir immer nur kurze, abgerissene Strecken 
zu überblicken; aber drüben, wo er sich wieder zu 
luftiger Höhe emporwindet, sehen wir ihn als schmales 
Band an der steilen Böschung entlang laufen, bald 
an vorstehenden Felsen vorbei, bald über seitliche 
Einbrüche fort, immer auswärtks, bis er ganz zur 
Linken hinter einer Kuppe verschwindet. Jetzt nur 
314 
  
noch das Geläut an den Hängen weidender Rinder, 
dort unten eine Sennhütte — und wir würden 
meinen, nicht in das ferne Afrika, sondern in irgend 
einen traulichen Gebirgswinkel der Schweiz versetzt 
zu sein. Nicht ohne Schwierigkeit bewerkstelligen 
meine Träger den Abstieg, um dann um so bequemer, 
nachdem der Bach dicht oberhalb eines kleinen Wasser- 
falls überschritten ist, an der anderen Seite wieder 
in die Höhe zu wandern. Der Weg ist ein nach- 
ahmenswerthes Muster dafür, was Eingeborene zu 
leisten vermögen, wenn sie von sachverständigen 
Europäern geleitet werden. Und gerade darin, im 
Wegebau, ist bisher in Ostafrika so unendlich viel 
noch zu thun. Wo man auch eine Küstenstadt, eine 
Station im Innern verläßt, überall, sowie man das 
letzte Haus hinter sich hat, nichts als abscheuliche 
Negerpsade. Wie leicht aber wären, wenn die Mittel 
da wären, im Allgemeinen gute Verbindungsstraßen zu 
schaffen, wie leicht auch, wenn man sich nicht scheuen 
müßte, einen Druck auf die Bevölkerung auszuüben, 
sie dauernd in gutem Zustand zu halten. Als wir auf 
der Kuppe sind, wo der Weg sich etwas nach rechts 
herumwirft, liegt die Landschaft Moschi vor uns 
ausgebreitet. Mit einem Blick erkennt man, daß 
hier andere Bedingungen herrschen müssen als in 
Marangu, Muika, Msai, wie späterhin auch in Ki- 
boscho, Madschame und Schira. Nirgends zeigt sich 
ebenes Land von größerer Ausdehnung, überall 
Terrainwellen, Hügel, Mulden und Thäler. Wenig 
Gebüsch, noch weniger Baumwuchs, dafür eine ge- 
schlossene Narbe langhalmiger Gräser bedeckt den un- 
bebauten Boden; die Bananenhaine, selbst die Colo- 
casienfelder ziehen sich an den Berglehnen hinauf, 
Uimbi und Bohnen, die einen ebenen, anderwärts 
vielsach durch Terrassirung gewonnenen Ackergrund 
verlangen, fehlen so gut wie ganz. Erst weit unten 
nach der Steppe zu leuchten größere, zusammen- 
hängende Kulturareale herauf, offenbar mit Mais 
bestanden, der hier die Hauptnahrung der Bewohner 
auszumachen scheint. Wiederum sind es geologische 
Ursachen, die die Eigenart des Gebiets begründen. 
Moschi ist die ausgesprochenste Tufflandschaft am 
ganzen Kilimandjaro. Auf Schritt und Tritt lommt 
mir das zum Bewußtsein, wie ich, kaum auf den 
oberen Rand der Nangaschlucht gelangt, herab und 
herauf und abermals herab, über zwei Bäche fort- 
steigen muß, um endlich an dem tiefen Thal des 
Sangatschi einen Halt zu machen. Klar erkenne ich, 
von der Lichtfülle einer heißen Mittagssonne über- 
strahlt, am jenseitigen Ufer das Ziel vor mir, dem 
ich für heute zusteuere, die im Entstehen begriffene 
Militärstation. Während die frühere auf Veranlassung 
des Reichskommissars Dr. Peters aufgegebene sich 
gleich zur Linken meines Standpunkts in etwa 
1450 Meter Meereshöhe befand, hat man jetzt einen 
viel tiefer, bei 1160 Meter gelegenen Plaß erwählt, 
aus Gründen, deren Sachlichkeit sich meiner Be- 
urtheilung entzieht. Jedenfalls gewann ich von hier 
oben den Eindruck, als ob die neue Zwingburg sich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.