vorüberwandeln, dann setze auch ich mich wieder in
Bewegung. Wir gelangen bald an eine Stelle, wo
der Weg über einen 2 Meter breiten, 6 Meter
tiefen, nach unten ganz spitz zulaufenden Graben ge-
leitet ist. Derartige Gräben, die ich mich nicht er-
innere in irgend einer Landschaft des Ostens gesehen
zu haben, sind im Westen eine ganz gewöhnliche Er-
scheinung, da sie, oft zu mehreren hintereinander,
nicht nur zur Vertheidigung der Grenzen, sondern auch
zum besonderen Schutz der Häuptlingsbomen her-
gestellt werden. Ueberall fiel mir auf, daß von
einem zugehörigen Wall, der ja aus der aus-
geworfenen Erde von selbst entsteht, nichts zu be-
merken war. Erst durch Sina erfuhr ich die Ur-
soche. Die Gräben werden mit Zuhülfenahme einer
energischen Wasserspülung gebaut: man zieht zunächst
eine Leitung, und nachdem diese sich selbstthätig
genügend vertieft hat, bleibt man so lange dabei,
das Bett ständig mit Hacken aufzulockern, bis das
Wasser, das alle Erde fortträgt, sich genügend weit
in den Grund hineingearbeitet hat. In Kirna diente
der Graben, der übrigens bei uns zu Hause auch
von einem mäßigen Turner mit Leichtigkeit über-
sprungen werden würde, nur zur Sicherung des
bewohnten Gebiettheils, nicht der eigentlichen Grenze,
Diese, in Gestalt der wirklich prächtigen Nanga-
schlucht, that sich erst vor uns auf, als wir einen
ziemlich breiten, wüstliegenden, mit dichtem Gestrüpp
bestandenen Landstreifen passirt hatten. Solche sind
vielfach zwischen die Landschaften eingeschaltet, um
ebenfalls eine Wehr gegen plöpliche Ueberfälle ab-
zugeben.
Die Nangaschlucht hat an Großartigkeit inner-
halb der Kulturregion am Berge nicht ihres Gleichen.
Wohl an 400 Meter senkt sie sich herab, was um
so mehr verwundert, als am Grunde ein verhältniß-
mäßig nur kleiner Bach verläuft. Aber wir haben
es hier nicht mit Lava zu thun, die nur da und
dort in schwarzen, bandartigen, basaltischen Massen
zwischengelagert erscheint, sondern mit Tufsfgestein,
das der nagenden Thätigkeit des Wassers nur ge-
ringen Widerstand entgegensehbt. Das geht auch aus
dem Pflanzenwuchs hervor. Während sonst die
Schluchten mit hochragenden Bäumen, darunter der
wilden Dattelpalme, erfüllt sind, sehen wir hier nur
Gras, stellenweise mit etwas Gebüsch untermischt,
die Hänge überziehen. Trotzdem lommt ein schönes
Gesammtbild heraus; unverhüllt bieten sich zu beiden
Seiten die runden, sanft geschwungenen Linien des
Absturzes unserem Auge dar und weithin lassen sich
die Schlangenwindungen des Baches verfolgen. Von
dem Wege, der sich zu unseren Füßen abwärts senkt,
vermögen wir immer nur kurze, abgerissene Strecken
zu überblicken; aber drüben, wo er sich wieder zu
luftiger Höhe emporwindet, sehen wir ihn als schmales
Band an der steilen Böschung entlang laufen, bald
an vorstehenden Felsen vorbei, bald über seitliche
Einbrüche fort, immer auswärtks, bis er ganz zur
Linken hinter einer Kuppe verschwindet. Jetzt nur
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noch das Geläut an den Hängen weidender Rinder,
dort unten eine Sennhütte — und wir würden
meinen, nicht in das ferne Afrika, sondern in irgend
einen traulichen Gebirgswinkel der Schweiz versetzt
zu sein. Nicht ohne Schwierigkeit bewerkstelligen
meine Träger den Abstieg, um dann um so bequemer,
nachdem der Bach dicht oberhalb eines kleinen Wasser-
falls überschritten ist, an der anderen Seite wieder
in die Höhe zu wandern. Der Weg ist ein nach-
ahmenswerthes Muster dafür, was Eingeborene zu
leisten vermögen, wenn sie von sachverständigen
Europäern geleitet werden. Und gerade darin, im
Wegebau, ist bisher in Ostafrika so unendlich viel
noch zu thun. Wo man auch eine Küstenstadt, eine
Station im Innern verläßt, überall, sowie man das
letzte Haus hinter sich hat, nichts als abscheuliche
Negerpsade. Wie leicht aber wären, wenn die Mittel
da wären, im Allgemeinen gute Verbindungsstraßen zu
schaffen, wie leicht auch, wenn man sich nicht scheuen
müßte, einen Druck auf die Bevölkerung auszuüben,
sie dauernd in gutem Zustand zu halten. Als wir auf
der Kuppe sind, wo der Weg sich etwas nach rechts
herumwirft, liegt die Landschaft Moschi vor uns
ausgebreitet. Mit einem Blick erkennt man, daß
hier andere Bedingungen herrschen müssen als in
Marangu, Muika, Msai, wie späterhin auch in Ki-
boscho, Madschame und Schira. Nirgends zeigt sich
ebenes Land von größerer Ausdehnung, überall
Terrainwellen, Hügel, Mulden und Thäler. Wenig
Gebüsch, noch weniger Baumwuchs, dafür eine ge-
schlossene Narbe langhalmiger Gräser bedeckt den un-
bebauten Boden; die Bananenhaine, selbst die Colo-
casienfelder ziehen sich an den Berglehnen hinauf,
Uimbi und Bohnen, die einen ebenen, anderwärts
vielsach durch Terrassirung gewonnenen Ackergrund
verlangen, fehlen so gut wie ganz. Erst weit unten
nach der Steppe zu leuchten größere, zusammen-
hängende Kulturareale herauf, offenbar mit Mais
bestanden, der hier die Hauptnahrung der Bewohner
auszumachen scheint. Wiederum sind es geologische
Ursachen, die die Eigenart des Gebiets begründen.
Moschi ist die ausgesprochenste Tufflandschaft am
ganzen Kilimandjaro. Auf Schritt und Tritt lommt
mir das zum Bewußtsein, wie ich, kaum auf den
oberen Rand der Nangaschlucht gelangt, herab und
herauf und abermals herab, über zwei Bäche fort-
steigen muß, um endlich an dem tiefen Thal des
Sangatschi einen Halt zu machen. Klar erkenne ich,
von der Lichtfülle einer heißen Mittagssonne über-
strahlt, am jenseitigen Ufer das Ziel vor mir, dem
ich für heute zusteuere, die im Entstehen begriffene
Militärstation. Während die frühere auf Veranlassung
des Reichskommissars Dr. Peters aufgegebene sich
gleich zur Linken meines Standpunkts in etwa
1450 Meter Meereshöhe befand, hat man jetzt einen
viel tiefer, bei 1160 Meter gelegenen Plaß erwählt,
aus Gründen, deren Sachlichkeit sich meiner Be-
urtheilung entzieht. Jedenfalls gewann ich von hier
oben den Eindruck, als ob die neue Zwingburg sich