Full text: Deutsches Kolonialblatt. V. Jahrgang, 1894. (5)

Auch die weniger regenreichen Gegenden des engeren 
Tropengürtels bieten ihm zusagende Bedingungen, 
während feuchte Niederungen sein Verderb sind. 
Die verbreitete Ansicht, daß es das Gebirge der 
Ebene vorziehe, scheint irrig zu sein; die übrige 
Terrainbeschaffenheit ist ihm gleichgültig, wenn nur 
der Boden trocken ist. 
Es erhellt hieraus, daß die Ansprüche des Maul- 
thieres, welches in Bezug auf Futter außerordentlich 
genügsam ist, verhältmißmäßig lange ohne Wasser 
auskommen kann und erhebliche Hitzegrade verträgt, 
mit denen des Kameels sehr nahe zusammenfallen. 
Wenn wir früher dieses als einen aussichtsvollen 
Kulturpionier für Ostafrika bezeichnen durften, so 
können wir dieses Urtheil auch auf das Maulthier 
ausdehnen. Beide treten als Konkurrenten im Zukunfts- 
verkehr unseres steppenreichen Landes auf. 
Als Lastthier ist das Maulthier seinen Stamm- 
altern entschieden vorzuziehen: es ist leistungsfähiger 
als der Esel und stetiger als das Pferd. Es geht 
geduldig unter schwerem Gewicht und hat eine gegen 
Druckschäden, Sonnenstrahlen und Regen gleich 
unempfindliche Haut. Seine Schrittsicherheit im Ge- 
birge ist bekannt; dagegen erreicht es nie die Schnellig- 
keit eines Pferdes; bedächtig und gleichmäßig schreitet 
es in der Karawane voran. Die Tragkraft schwankt 
zwischen 50 und 150 kg, im Durchschnitt sind nicht 
über 100 kg anzunehmen (Alles einschließlich des 
Packsattels, der 12 bis 15 kg wiegt). Mit der 
üblichen Last, die sich nach den Terrainschwierigkeiten 
zu richten hat, legt es durchschnittlich 5 km pro Stunde 
zurück, bewegt sich also viel schneller als ein Pack- 
esel. Nordamerikanische Erfahrungen lehren, daß 
man auf längeren Reisen mit Maulthieren Tage- 
märsche bis 25 km ohne Nachtheil zurücklegen kann. 
In gewissen Gegenden des pacifischen Küstenlandes 
vermitteln Maulthierkarawanen noch heute den 
alleinigen regelmäßigen Verkehr. Dort, wo meistens 
gebirgiges Gelände zu passiren ist, tragen die Thiere 
200 engl. Pfund (90 kg). Sehr lehrreich sind die 
Erfahrungen, die der Oberverwalter der nordamerika- 
nischen Regierungsställe, welcher nach dem Bürger- 
kriege 74,000 Maoulthiere unter Aussicht hatte, hin- 
sichtlich ihrer Leistungsfähigkeit gemacht hat. Ich 
verweise dazu auf die Semlerschen Ausführungen und 
hebe als Gesammtresultat nur hervor, daß das Maul- 
thier einen monotonen Dienst liebt, den es in ruhiger 
gemessener Weise ausführen kann. Ganz besonders 
bewährt hat es sich in der Prairie, wo sich die 
kleineren stets ausdauernder erwiesen als die großen. 
In südenropäischen Staaten wird das Maulthier 
namentlich zu Gebirgstransporten verwendet. England, 
dessen klimatische Verhältnisse die Maulthierzucht im 
Mutterlande verhindern, verwerthet es in den Kolonien 
in ausgedehntestem Maße. Bei den Feldzügen in 
der Krim, in Indien, Abessinien, Südafrika und 
Aegypten hat man große Schaaren von Maulthieren 
mitgeführt. Für den Zug nach Abessinien kaufte die 
britische Regierung in Cypern, Brindisi, Malta, 
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Smyrna, Gibraltar, Alicante, Valencia und Beirut 
über 10 000 Maulthiere an. In Indien sind 
sowohl die regulären wie irregulären Truppen mit 
solchen ausgerüstet, die namentlich zum Transport von 
Gebirgsbatterien und Proviant dienen. Seitdem 
mit ihnen im asghanischen Feldzuge so gute Er- 
fahrungen gemacht wurden, betreibt die Regierung 
im Pandschabgebiet eine sorgfältige Zucht. Kapitin 
Wickham erklärt das Maulthier für das beste 
Transportthier. Auch dort hat man wie im Feld- 
zuge gegen die Sulus die südafrikanische Rasse als 
die ausdauerndste befunden; an sie reiht sich die süd- 
amerikanische. Im letztgenannten Kontinent, sowohl 
im ausgedehnten Flachlande wie in der Kordillere, 
findet das Maulthier seine hervorragendste Ver- 
wendung. Tschudi sagt, daß ohne dieses die Stufe 
der Bildung und Gesittung in einem großen Theile 
Südamerikas eine weit niedrigere wäre, als sie 
heutzutage ist. „Der brasilische Maulthiertreiber, 
Tropeiro genannt, bewerkstelligt mit seinen Maulthier= 
truppen den Waarenverkehr zwischen den verschicdenen 
Landestheilen. Er bringt aus den entferntesten 
Gegenden des Reiches die Erzeugnisse des Bodens 
und Gewerbfleißes nach der Küste und führt von 
hier aus Gegenstände des täglichen Bedarfs und des 
Luxus zurück, ist der Vermittler des Handels und 
Geldverkehrs und spielt daher im Staatshaushalt 
eine nicht unbedentende Rolle.“ Diese südamerika- 
nischen Verhältnisse sind besonders lehrreich, da das 
dorlige Flachland dem unseren sehr ähnliche Ver- 
hältnisse darbietet, und darum lohnt es sich, einen 
Augenblick bei der dortigen Betriebsart zu verweilen. 
Jede Maulthiertruppe, „Tropa“, zerfällt in 
kleinere Abtheilungen von 8 bis 12 Thieren unter 
je elnem Treiber. Diese Züge folgen einander in 
Abständen reihenweise; jedes einzelne Maulthier 
nimmt dabei regelmäßig denselben Plaß ein. Ein 
Leikthier, madrinha genannt, führt die ganze Tropa 
an. Die Tagereisen sind nur kurz, je nach Witterung 
und Beschaffenheit des Weges 14 bis 21 km, wozu 4 bis 
6 Stunden gebraucht werden. An den einzelnen 
Stationen befinden sich große, auf einer Seite offene 
Schuppen, „rancho“ genannt. Dort erhalten die 
Thiere Mais, den der vorauseilende Tropeiro aus 
einem benachbarten Verkaufsladen herbeischafft. Dann 
werden sie zum Tränken und zur Weide ausgetrieben 
und bleiben die Nacht im Freien. Im Morgen- 
grauen bringt man sie zum Rancho zurück; dort 
werden sie gefüttert, beladen, und dann geht es 
weiter. — Die Verwendung und Verbreitung der 
Maulthiere nimmt in Südamerika immer mehr zu. 
In Peru und Chile werden sie in großer Zahl ein- 
geführt und theuer bezahlt. Man benuutzt sie dort 
zum Reiten und Lastentragen. Das wichtigste Zucht- 
land scheint Argentinien zu sein, welches durch die 
Ausfuhr von Maulthieren erhebliche Einnahmen zu 
verzeichnen hat. 
Kehren wir zum Kilimandjaro zurück. 
Es ist für mich zweifellos, daß das ganze Zwischen-
	        
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