Full text: Deutsches Kolonialblatt. VII. Jahrgang, 1896. (7)

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der Höhe eines Gebirgsrückens und am ganzen niichsten 
Tage konnte nur das Thal erreicht werden, um das 
nächste Nachtlager dort aufzuschlagen. 
Die Träger, schutzlos dem strömenden Regen aus- 
gesetzt, konnten nicht liegen und schlafen, sondern 
hockten jeder an einer möglichst geschützten Stelle 
nieder und versuchten in solcher Stellung wenigstens 
zu ruhen. 
Nach viertägigem Marsch wurde in einem Thale 
wieder ein nach Osten fließender Fluß durch Schwimmen 
passirt und nach weiteren drei Tagen war ein dritter 
größerer, ebenso fließender Fluß zu überschreiten. 
Schon gleich nach Abgang von dem oben er- 
wähnten Dorfe trat die Plage der Blutegel ungemein 
lästig auf. Die Schwarzen mit ihren nackten Leibern 
waren ihnen schuplos überliefert, während die beiden 
Europäer in der ersten Zeit etwas günstiger gestellt 
waren, wenn auch die Kleidung ihnen keinen unbe- 
dingten Schutz gegen diese Quälgeister gab. Die 
liejen Bißwunden dieser Thierc bluteten nach Abreißen 
derselben noch sehr lange nach und heilten, immer 
wieder aufgerissen durch das Durchzwingen der Körper 
durch den dichten Busch, fast gar nicht. Dazu kam 
vielfach fast undurchdringliches Dickicht von Rottang, 
dessen kleine Dornen die nackten Körper der Schwarzen 
blutig kratzten und den Europäern die Kleidung förm- 
lich vom Leibe rissen. 
Der mächtige Hochwald mit seinen riesigen Stämmen 
und himmelhohen Baumkronen war tief schweigend, 
kein Vogel ließ seine Stimme hören, und auch der 
niedere Busch beherbergte kein jagdbares Thier. 
Obgleich Ehlers sowohl wie die Schwarzen 
auf das Emsigste suchten, ob nicht irgend ein Vogel 
oder ein anderes jagdbares Thier für die Jagdflinten 
erreichbar war, um den mitgeführten Proviant zu 
ergänzen, so war Alles vergebens, nur das feierlichste 
Schweigen umgab sie bei Tag und bei Nacht, höch- 
stens durch den auf die Blätter der Bäume klatschen- 
den Regen in sehr trübseliger Weise unterbrochen. 
Unter diesen Beschwerden waren nach Verlassen 
des gastlichen Dorses etwa 24 Tage verflossen, da 
trat das schreckliche Gespenst des Nahrungsmangels 
an die Expedition heran. Immer noch waren die 
Beschwerden des Weges dieselben und schienen kein 
Ende zu nehmen und immer noch strömte der Regen 
herab, nur zeitweise durch feuchte Nebel unterbrochen. 
Ehlers sprach seinen Leuten Muth ein und 
vertröstete sie darauf, daß nothwendigerweise in 
wenigen Tagen ein großer Fluß erreicht werden 
müsse und daß dort viele Dörfer liegen, in denen 
man Essen genügend vorfinden werde. Ehlers 
lebte sicherlich auch dieser Hoffnung, und diese Hoff- 
nung hat ihn augenscheinlich noch wenige Tage vor 
dem wirklichen Erreichen des erwarteten Flusses, der 
die Expedition leider auch in der Hoffnung auf be- 
wohnte Gegend tänschen sollte, nicht verlassen. 
Mittlerweile war der Nahrungsmangel vollständig 
geworden, der Hunger plagte die Leute sehr und 
zusammen mit den äußerlichen Leiden, welche durch 
  
die Bisse der Blutegel verursacht waren und noch 
immer weiter verursacht wurden, zeigte die Expedition 
bald ein sehr trauriges Bild körperlicher Schwäche 
und moralischer Niedergeschlagenheit. Auch die Euro- 
päer hatten nun noch kaum über Kleider zu verfügen, 
der Nässe, den Dornen des Busches und den vielen 
fast fortwährend zu überkletternden Felsen hatten sie 
nicht Stand halten können. Immer noch thürmte 
sich ein Waldgebirgszug nach dem anderen vor der 
ermatteten Expedition auf, die kaum mehr den An- 
strengungen gewachsen war. 
Eine neue sehr böse Plage hatte sich nun all- 
mählich eingestellt, die, verbunden mit Hunger, mangel- 
hafter und schließlich schlechter Nahrung, das Unglück 
der Expedition voll machte. In die durch die Blut- 
egel gebissenen Wunden hatten Insekten Eier gelegt, 
aus denen röthliche kleine Maden ausgekrochen waren; 
die Wunden gingen in Eiterung über und aus ihnen 
floß sehr bald ein übelriechender Eiter heraus, der 
nicht nur physisch recht lästig war, sondern besonders 
auch die moralische Kraft ungemein lähmte. So 
waren die Körper nicht nur der Schwarzen, sondern 
besonders auch der beiden Weißen bald vollkommen 
durch diese eiterigen Geschwüre bedeckt und Alles litt 
auch unter dieser schrecklichen Plage furchtbar. 
Die einzige Nahrung, welche nur genossen werden 
konnte, war Gras oder die Blätter der Bäumc des 
Waldes. Wenn es Ehlers und Piering auch 
in der ersten Zeit meist gelang, das Gras oder 
die Baumblätter zu kochen, so konnten die Schwarzen 
der großen Nässe wegen kein Feuer bekommen und 
aßen Gras und Blätter roh. 
Zwei Leute hatten Früchte gefunden und aßen sie 
gierig vor Hunger, doch müssen diese Früchte giftig 
gewesen sein, denn nach wenigen Stunden traten böse 
Vergiftungserscheinungen ein und sie starben unter 
großen Schmerzen. 
Nach etwa fünf Tagen der nahrungslosen Zeit 
wurde eines Morgens entdeckt, daß drei Leute — 
Neu-Mecklenburger aus Potmilac — an der Ostküste 
von Neu-Mecklenburg — desertirt waren unter Mit- 
nahme eines kleinen Stahlkoffers. In demselben 
hatte sich an Nahrungsmitteln nur ein wenig Mehl 
und ein Stückchen Mehlkuchen befunden, sonst 
waren Teller, Messer und Gabeln sein Inhalt. 
Jedenfalls sind diese Leute im Busch irgendwo ge- 
storben, da die Möglichkeit, sie könnten bewohnte 
Gegenden erreicht haben, nahezu ausgeschlossen er- 
scheinen muß. 
Die Gras= und Blätternahrung hatte auf Alle 
die Wirkung, daß sich ernste Darmleiden neben son- 
stigen Erscheinungen des Verhungerlseins entwickelten. 
„Die blutigen Erscheinungen der rothen Ruhr (Dys- 
enterie) waren fast überall aufgetreten“ — einige 
Schwarze starben auch sehr bald daran. Besonders 
Ehlers schien sehr zu leiden und seine Kräfte 
nahmen sichtbar ab. 
Nach acht Tagen der nahrungslosen Zeit war die 
allgemeine Schwäche so groß geworden, daß das
	        
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