Full text: Deutsches Kolonialblatt. VIII. Jahrgang, 1897. (8)

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umherstreiften. Damit war unser erster Schulversuch 
zu Ende. 
Gelegentlich sprachen wir mit dem alten Häupt- 
ling Sikiniassi von Mlalo, legten ihm den Werth 
des Lesens und Schreibens dar und forderten ihn 
auf, die Kinder zum Schulbesuch zu veranlassen. 
Aber es war ihm wohl schwer, die Wichtigkeit des 
Lesens einzusehen und sich für die Einrichtung einer 
Schule zu interessiren; andererseits fürchtete er auch, 
daß wir durch die Schule zu viel Einfluß auf die 
Jugend bekämen. So fanden wir bet. ihm keine 
Unterstützung; im Gegentheil, er drohte seinen Sklaven 
im Geheimen, jeder Junge, der zu den Lehrern 
ginge, würde getödtet. 
Zu Beginn des zweiten Jahres wurden zwei 
Kinder aus dem Volk auf die Station geführt. Der 
eine kam als Kranker mit einer schweren Beinwunde. 
ir nahmen ihn auf und pflegten ihm Der andere 
übernahm die Hausarbeit, da unser bisheriger Haus- 
lunge, ein Bursche von der Küste, von seinem Vater 
nach Sansibar gerufen worden war. Beide Jungen 
hatten nicht allzuviel zu thun. Wir glaubten, daß 
dadurch, daß zwei Kinder aus dem Volke sich enger 
an uns anschlossen, uns vielleicht ein neuer Weg ge- 
wiesen werde, die ersten Grundlagen für eine Schule 
zu legen, und fragten die beiden Jungen, ob sie ihre 
eie Zeit benutzen möchten, Lesen und Schreiben zu 
lernen. Sie meinten, das würden sie nicht können, 
das sei sehr schwer; aber zu einem Versuch ließen 
sie sich ermuntern. An unserem Wohnhaus war ein 
kleiner Raum, 2½m breit und 5 m lang; der wurde 
als erster Schulraum eingerichtet, vier niedrige Pfosten 
in die Erde geschlagen und ein Brett darauf, das 
gab die Bank, und vier längere Pfosten und ein Brett 
darüber, das gab den Tisch; an der Wand wurde 
ein Brett befestigt, das ersetzte die Wandtafel. Nun 
verfertigten wir uns noch lleine Blättchen, auf die 
wir Silben zeichneten; dann begann der Unterricht. 
Die Kinder hatten bald Freude am Lernen. Jeder 
bekam sein besonderes Büchlein, in das wir täglich 
die neuen Silben hineinmalen mußten, da es noch 
kein Buch in der Kischambaasprache gab. Der Eifer 
wuchs von Tag zu Tag. Oft saßen die Jungen in 
ihren freien Stunden auf der Bank vor der Küche, 
buchstabirten und lasen in ihren kleinen Büchern. 
Andere Jungen, die aus= und eingingen, merkten 
darauf, daß ihre Genossen Bücher hatten und daraus 
lasen; bald kam der eine und der andere und wollte 
auch ein Buch und Unterricht im Lesen. Manchmal 
war die kleine Schule gestopft voll. Zuweilen saßen 
die A-B.-C.Schützen auch noch vor der Thür und 
lernten. Dabei war natürlich noch viel kindliches 
Spiel. Jeder wollte in seinem Buch möglichst viel 
Papier und viele Silben haben. Wer nicht schnell 
vorwärts kam und an den Anfangsgründen hängen 
blieb, ließ das Begonnene liegen. Diese Anfangs- 
arbeit bedurfte großer Geduld, da die Schüler sehr 
unregelmäßig kamen. Vier Tage hatte fast jeder 
Junge abwechselnd zu weiden. Dazu kamen man- 
  
cherlei Gänge und Dienste für Vater und Mutter. 
Oft blieb der eine tagelang aus; der andere kam 
am Morgen, der andere am Mittag, der andere am 
Abend. Wir mußten diese Verhältnisse zunächst tragen 
und zu jeder Zeit bereit sein, um einzelne Begabtere 
schnell über die ermüdenden Anfangsgründe hinweg- 
zubringen. Diese Arbeit erforderte eine ganze Kraft. 
So schnell diese Wogen hochschlugen, so schnell fielen 
sie wieder. Der größte Theil der Schüler blieb bald 
auß; aber ein kleiner Rest hielt sich und lernte zu- 
sammenhängende Texte langsam lesen. Inzwischen 
hatten wir eine Fibel drucken lassen, die uns trotz 
vieler sich später herausstellender Mängel in der 
Anfangszeit bald eine wesentliche Hülfe wurde. Noch 
einmal mußten wir das Gewonnene aus der Hand 
geben. Zu unserem großen Schmerze kam unser 
hoffnungsvolles Häuflein nach längerer Zeit ins 
Wanken. Am Ende des zweiten Jahres glaubten wir 
wieder am Ende unserer Arbeit angelangt zu sein. 
Da öffnete sich zu unserer größten Ueberraschung 
ein neuer Weg. Einer unserer Schüler kam mit der 
Bitte, für die nächste Zeit auf der Station wohnen 
zu dürfen. Er hatte daheim keine Arbeit. Die 
Ziegen waren wegen der großen Dürre nach den 
fernen schönen Weidegebieten der Wambugu gebracht 
worden. Auf den Feldern gab es nichts zu thun. 
Bald kamen einige nach, durch verschledene äußere 
Gründe veranlaßt; bald waren neun Kinder auf der 
Station, unter ihnen mancher frühere Leseschüler. 
Mit ihnen konnte nun eine regelmäßige Schule ge- 
halten werden, zu der sich auch einzelne frühere 
Schüler aus der Umgegend mit größerer Regel- 
mäßigkeit einstellten. Aus dieser Zeit datirt unsere 
geordnete Schulthätigkeit. 
Als sich eine kleine Gemeinde um die Station 
sammelte, hielten wir besonders die jungen Christen 
zu regelmäßigem Schulbesuch an, und sind nun soweit 
geführt worden, daß die Christen von selbst den 
Schulbesuch als für Jeden, der noch lernen kann, 
obligatorisch ansehen. Es ist eine Freude, zu sehen, 
wie jetzt selbst die Erwachsenen Tag für Tag in der 
Schule sitzen und mit Eifer lesen und schreiben, un- 
berührt davon, daß sie zum Theil sich zu den Klein- 
sten gesellen müssen. Vor zwei Jahren stellten wir 
für die Schule eine Sammlung von Fabeln und 
Märchen aus dem Volksleben zusammen und ließen 
auch einen Theil alttestamentlicher Erzählungen drucken. 
Im vergangenen Jahre konnten wir unsere Bibliothek 
durch einen weiteren Band alttestamentlicher Erzäh- 
lungen und das Markus-Evangelium vermehren. 
Gegenwärtig arbeiten wir an einem umfangreicheren 
Lesebuch, zu dem wir aus deutschen Schulbüchern, 
christlichen Kalendern und Sonntagsblättern geeignete 
Erzählungen sammeln und übersetzen. 
Einen völlig anderen Weg sind wir auf unserer 
Außenstation Teus geführt worden. Dort fanden 
wir unter der Jugend ein lebhaftes Interesse, zu 
lernen, das von dem Häuptling sehr begünstigt wurde. 
Als wir im Herbst des vergangenen Jahres daselbst
	        
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