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Ein schmaler Streifen zwischen dem linken Flußufer
und dem Fels ermöglicht es, bis zur Absturzstelle
vorzudringen, wo sich auch der schmale Pfad in dem
jähen Abgrund verliert. In zwei kleineren Fällen
erprobt der Fluß hier zuerst seinen Muth und seine
Kraft und wirft dann mit einem Male seine ganze
Wasserfülle thurmhoch in die gähnende Tiefe.
stand wohl eine halbe Stunde und lauschte dem stets
sich erneuernden Tosen und schaute in das Spiel der
blinkenden, schäumenden Fluthen — es war das
Schönste, was ich bis dahin in Afrika gesehen hatte,
und doch mischten sich trübe Gedanken in den Genuß.
Dieses leidenschaftliche, kühne, gewaltige Vorwärts-
streben, womit der Fluß seiner poetischen Bergheimath
entflüchtet, um sich in die Ebene zu werfen, und die
klägliche Rolle, die er unten spielt, wo er bald durch
den Sand gebändigt, reizlos eine trübe Fluth durchs
Land wälzt und die Kähne der Eingeborenen auf
seinem Rücken trägt — ist es nicht ein Bild von so
manchem jungen Menschen, der mit ungestümer Hast
der strengen Zucht und damit dem Glücke seiner
Jugend entflieht und sich voll Begeisterung und
Hoffnung ins Leben stürzt, in dem er sich nur zu
bald, gebändigt von der Alltäglichkeit und selten un-
beschmutzt, verliert?
Ungern riß ich mich von dem wundersamen Platze
los und folgte wortlos meinem Begleiter zur Kara-
wane nach. Der Weg führte meist die Hänge des
Kihansithales entlang, überschritt manchmal einen
Höhenzug, den der Fluß in weitem Bogen umfloß.
oder bog an einer Stelle, wo der Abfall zum Flusse
zu steil war, seitlich ab, um den Fluß nach einigen
Umwegen weiter oben wieder zu erreichen. Als wir
gegen Mittag wieder eine Höhe erstiegen, sahen wir
zu unseren Füßen einen großen, dichtbewachsenen
el, der auf unserer Seite ziemlich steilrandig war,
während er auf der gegenüberliegenden Seite sachte
anstieg; ein schimmernder Streifen in der Tiefe er-
innerte an einen kleinen See, wie man sie häufig in
den Alpen sieht. Es war aber kein stehendes Ge-
wässer, sondern der Kihansi, der durch einen schmalen
gewundenen Eingang sich hier eingeschlichen und auf
ebensolchem Wege den Kessel wieder verläßt. Jenseits
des Flusses stand in einer verwilderten, von üppigen
Farnen überwucherten Schamba eine verfallene Hütte,
bei der das Lager geschlagen wurde. Hinter der-
selben rankte ein dichtes Gehege von Brombeersträu-
chern, übersät mit Blüthen, mit grünen und halbreifen
Beeren, vollreife waren leider nicht zu entdecken.
Dafür sprach der bloße Strauch so heimathlich an,
daß man ihn lieb haben mußte. Ueberhaupt erinnert
die ganze Pflanzenwelt des Randgebirges und des
Hochlandes lebhaft an die Heimath, und ein guter
Theil der Begeisterung, mit welcher diejenigen, welche
Uhehe bereisen, seiner gedenken, mag darauf zurückzu-
führen sein. Das meterhohe Büschelgras der Ebene
ist verschwunden und hat kurzen Gräsern Platz ge-
macht, deren beständiges Grün selbst in den trocken-
sten Monaten das Auge erfreut; ja man sieht wieder
wahrhaftige Wiesen wie in Deutschland, denen selbst
die Blumen nicht fehlen, und in dem dichten Gebüsch
leuchtet eine Mannigfaltigkeit blauer, gelber und
hranatrother Blüthen. In dieser anmuthigen Um-
hebung, in stiller Waldes= und Bergeinsamkeit lager-
ten wir diesen Tag. Leider fiel in der Nacht ein
heftiger Regen, der einen unangenehmen Marsch auf
den schlüpfrigen Bergpfaden und durchs nasse Gesträuch
in Aussicht stellte; denn die Sonne mußte schon hoch
gestiegen sein, bis sie in die tiefeingeschnittenen Thäler
einen Blick thun konnte, und oft war der Pfad von
schattigen Bäumen und Büschen derart überwachsen,
daß es auch dem neugierigsten Sonnenstrahl nicht
gelang, einzudringen.
Der Weg führte wieder bergauf, bergab über
zahllose Thäler und Thälchen, oft versumpft und mit
hohem Schilfgras bewachsen, welche alle bei ent-
sprechender Behandlung hohe Fruchtbarkeit versprechen.
Auf freien Kuppen und Kämmen zeigten sich Gehöfte
der Eingeborenen von kleinen Schamben umgeben;
die Leute hatten jedoch ihre Wohnungen und Felder
aus Kriegsfurcht verlassen, so daß die dringend noth-
wendige Auffüllung unserer Vorräthe aus den Ba-
tatenpflanzungen gratis geschehen mußte. Die Hütten
zeigten durchweg einen rechteckigen Grundriß, waren
nur 3 bis 4 m breit, aber bis zu 20 m und darüber
lang und standen vereinzelt. In ihrer Nähe waren
gewöhnlich Bataten, Bohnen, Erbsen (genau so wie
unsere europäischen) und Tabak angebaut. In den
Thälern fand sich Mais und Mtama. An diesem
Tage habe ich noch einige Bananen in einem Seiten-
thälchen gesehen, von da an habe ich sie in ganz
Uhehe nicht mehr zu Gesicht bekommen. Das Gebiet
heißt Uchungwe und die Bewohner also Wachungwe
und gehören zu den Wahehe.
Um 10 Uhr vormittags hatten wir die Höhe
einer mächtigen Bergkette erreicht, die eine weite
Rundsicht gestattete. Als der Kirangosi oben ange-
kommen war, verkündete er sofort mit schallender
Stimme: „boma“; das Ziel war in Sicht. Vor
uns lag ein etwas niedrigerer Bergzug, der mit dem
unseren in gleicher Richtung verlief, aber durch ein
tiefeingefurchtes Thal davon getrennt war. Auch
jenseits desselben floß in gleicher Tiefe ein kleiner Bach,
der sich kurz unterhalb mit dem eben genannten ver-
einigte und so den Bergzug jäh unterbrach. Auf der
äußersten Spitze nun, wo dieser nach drei Seiten
steil abfiel, stand ein verhältnißmäßig hohes, ziegel-
rothes Gebäude, das man aus der Ferne für einen
unbeworfenen Bahnhof hätte halten können. Die
deutsche Flagge, wie der hohe Auslug auf dem Hause
bestätigten den Ausruf des Führers, es war eine
Boma, eine kleine Feste. Auf demselben Wege war
nämlich wenige Wochen zuvor Kompagnieführer Prince
nach Iringa gezogen und hatte an drei Stellen un-
terwegs befestigte Magazine gebaut, um die Verbin-
dung mit Irondo herzustellen und den sicheren Trans-
port der mehr als tausend Lasten zu ermöglichen.
Das Magazin war ziemlich klein, viereckig, aus Pfahl-