Full text: Deutsches Kolonialblatt. IX. Jahrgang, 1898. (9)

Die Bewohner der Küste von Ostafrika waren 
Unterthanen der Dynastie Ja rub. Soweit wir 
wissen, haben sie nie andere Muslims als Ibaditen, 
ihre Glaubensgenossen, zu Beamten oder Richtern 
gemacht, denn das entgegengesetzte Verfahren wäre 1 
ein Verstoß gegen die Grundlehren ihrer Sekte, so- 
wie jeder anderen Sekte des Islams gewesen, wie 
wir oben ausgeführt haben. Nachdem dann die 
Herrschaft von den Jarrub auf unsere jetzigen Fürsten, 
die Sajjids, übergegangen war, handelten sie ver- 
muthlich aus politischen Rücksichten für ihre Unter- 
thanen, indem sie?) ihnen schafltische Richter gaben, 
da die Zahl der in Ostafrika wohnenden Schafiiten 
größer ist als diejenige der Ibaditen. Dabei ist 
aber zu beachten, daß die Herrschaft der Sajjids 
von Anfang an eine unbestrittene war (soll wohl 
heißen: daß sie die Macht gehabt hätten, ihr iba- 
ditisches Recht ihren Unterthanen zu octroyiren) und 
daß sie, indem sie ihren Unterthanen eine Konzession 
machten, dies lediglich aus Rücksicht, Milde und 
Edelmuth thaten. 
Die angesehensten ibaditischen Religions= und 
Rechtsbücher, nach denen Du gefragt hast, sind sehr 
zahlreich, ja unzählbar. Ich will Dir nur die be- 
kanntesten nennen: 
1. Bajan-alsar, mehr als 70 Bände, verfaßt 
von Muhammed Ibn Ibrahim Ibn Sulaimänk?). 
2. Almusannaf, mehr als 40 Bände, von Ahmad 
Ibn Müsa'"). Diese beiden Verfasser sind Kinda- 
Araber, und ihre beiden Werke genießen unter den 
Ibaditen in Oman wie anderswo unbedingtes Ver- 
trauen. 
,3. Kitäb-alistikama und Almu 'tabar von Abu- 
Said Muhammed Ibn Sa'id. Diese beiden Werke 
handeln von den Prinzipien der Rechtsbildung und 
sind in ihrer Art ohne gleichen. 
Die späteren Gelehrtengenerationen haben viele 
weitere Werke verfaßt. Um 1240 oder 1260 d. Fl. 
erstand dann ein kenntnißreicher Mann, der den 
Inhalt des Bajän-alsar und des Almusannaf sowie 
der späteren Litteratur zu einem großen Bande 
unter dem Titel 
4. Kämüs-alsar##a vereinigte. Es ist ein ge- 
waltiges Werk von 90 Bänden, das in der Gegen- 
wart allgemeines Vertrauen genießt. 
5. Lubäb-aläthär an-al'ulama’' al'akhjär, vier 
storle Theile, dessen Inhalt zum größten Theil der 
späteren Litteratur entnommen ist. 
6. Kitab gawäbät (— Liber responsorum) 
von Alkhalili, ein Werk, dessen Inhalt (d. i. die von 
dem Verfasser ertheilten Rechtsgutachten) von ver- 
Hüdenen Seiten her zusammengebracht wurde, vier 
e. 
— 
  
Siehe weiter unten. 
Lne ) Gestorben A. H. 508 nach dem Kasf-alghumma, 
izneine Abhandlung über eine arabische Chronik aus San- 
si vv. Studien 1898, S. 15). 
*) Gestorben 557. 
409 
  
Dies sind die Rechtsbücher der östlichen Iba- 
diten. Die Bücher unserer westlichen Glaubens- 
genossen (in Nordafrika), die ebenfalls zahlreich sind, 
führen wir nicht an. 
Was die angesehene schafütische Rechtslitteratur 
betrifft, so sind die folgenden Werke zu neunen: 
1. Alminhäg, von geringem Umfang, aber sehr 
gefeiert, von Alnawawi, dem Kommentator des 
großen Traditionswerkes von Muslim. 
Kommentare dieses Werkes sind: 
2. Altuhfa von Ibn Hagar in zwei oder mehr 
Bänden, sehr angesehen im Higäz, in Hadramaut 
und in Ostafrika; und 
3. Alnihäja, 8 Theile in 6 Bänden, von 
Alramli, sehr angesehen bei den Schafiiten Aegyptens. 
Es giebt außerdem viele andere Werke, von deren 
Aufzählung ich absehe, damit dies Schreiben nicht zu 
lang wird. Dies ist die Antwort, die ich Dir auf 
Deine Fragen zu geben hatte, die ich Dir präsentire 
in der Hoffnung, daß sie Dir wenigstens für den 
Anfang nütze. Ist Dir darin etwas unklar, so gieb 
mir Nachricht, und ich werde Dir in deutlichen 
Worten antworten. 
Eigenhändig von dem gottesbedürftigen 
Jahjä Ibn Khalfän 
Ibn Abi Nabhän Alkharüft.“ 
Geheimer Rath Sachau bemerkt hierzu: 
Diese Darlegung des Schaichs Jahjä bedarf 
keines Kommentars. Sein Hinweis auf den Sultan 
der Türkei ist materiell richtig; der Satz aber, den 
dies Beispiel beweisen soll, daß nämlich das moham- 
medanische Staatsoberhaupt secundum regulam 
nur Mitglieder seiner Sekte zu Richtern ernennen 
kann, gilt zwar für die Ibaditen, indessen für die 
Orthodoxen oder Sunniten nur in beschränktem 
Maße. Es entspricht dem intransigenten Charakter 
des ibaditischen Islams, daß für ihn ein jeder 
Richter, der über die Grundprinzipien des Rechts 
(und des ganzen Islams) andere als ibaditische 
UAnsichten hat. eine absolute Unmöglichkeit ist. Anders 
innerhalb des orthodoxen oder sunnitischen Islams. 
Er hat kein Gesetz, das einen hanefitischen Landes- 
herrn verhindert, z. B. einen malikitischen Richter 
anzustellen, wie thatsächlich die Khedive von Aegypten, 
die als Türken dem Ursprunge nach der Lehre Abü 
Hanifas folgen, stets sowohl schafiitische wie mali- 
kitische Richter angestellt haben. Insofern aber sind 
die Sunniten nicht minder rigoros als die Ibaditen, 
als die Ernennung eines Richters, der außerhalb des 
orthodoxen Islams steht, z. B. eines Schiiten, auch 
für sie eine gesetzliche Unmöglichkeit ist. 
Für eine etwas ausführlichere Mittheilung über 
die schafiitische Rechtslitteratur, auch diejenige, die 
besonders in Ostafrika verbreitet ist, verweise ich auf 
das Vorwort zu meinem „Mohammedanischen Recht“ 
(Lehrbücher des Seminars, Band XVII) S. XIX ff. 
Die Angaben des Schaichs Jahsä sind durch die 
Antworten der auf dem deutsch-ostafrikanischen Fest-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.