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des deutschen Bedarfs in den Kolonien, und zwar
zu einem verständigen Nutzen lassenden Preise zu
gewinnen. In ÖOstafrika sind heute schon 1½ bis
2 Millionen Kautschukbäume gepflanzt, und wie
sehr diese Produktion lohnt, die ja an Stelle des
Raubbaues erst vor ganz kurzer Zeit getreten ist,
beweist der Kongostaat, in welchem bereits
12½ Millionen Kautschukbäume gepflanzt sind.
Ebenso wird von den Franzosen in Französisch-
Kongo und Indo-China eifrigst gepflanzt, von den
Engländern in Ceylon usw. Alle Industriestaaten
suchen sich in der Weltproduktion, die heute etwa
500 Millionen Mark beträgt, und auf welche die
Nordamerikaner mit monopolistischen Tendenzen
einwirken, unabhängig zu machen.
Ich komme nunmehr auf den Hanf. Die Hanf-
kultur in den Philippinen ist durch die allgemeine
Stockung, die die Folge der Okkupation der Ameri-
kaner war, stark zurückgegangen. Gleichzeitig hat
man angefangen, in Togo und in Kamerun, auch in
Südwestafrika, besonders aber in Ostafrika zwei
Agavensorten, die Mauritius-Agave, welche gerin-
gere Resultate gibt, dann aber eine mexikanische
Agave, die Sisal-Agave, in Millionen von Exem-
plaren anzupflanzen. In Ostafrika wird sich der
Export mit dem Anwachsen der bereits bepflanzten
Plantagen ganz außerordentlich steigern. Auch hier
kann man nicht sagen, daß das Gebiet, für welches
sich die Pflanzen eignen, ein limitiertes sei. Deutsch-
land braucht bis jetzt noch verhältnismäßig wenig
Sisalhanf, nämlich etwa 10 000 Tonnen, weil es
noch den teuren russischen und italienischen Hanf
bearbeitet. Nordamerika verbraucht schon über
100 000 Tonnen; aus ucatan, das gewiß kein
besseres Klima hat als unsere Kolonien, werden
jährlich für 300 Millionen Sisalhanf exportiert.
Wir können schon nach Prof. Paasche in Bälde eine
Ausfuhr von 20 000 bis 30 000 Tonnen Sisalhanf
im Wert von 16 bis 24 Millionen Mark aus Ost-
afrika erwarten, während jetzt die Ausfuhr erst
1 Million Mark beträgt. An dem Sisalhanf sind
nicht bloß die Seilereiindustrie, sondern auch die
Papierindustrie und das Tapeziergewerbe inter-
essiert.
Eine ganze Menge anderer Produkte für unsere
Volksernährung und industrielle Produktion kommt
noch in Betracht. «
Kaffee konsumierte Deutschland im Jahre 1905
180 000 Tonnen für 170 Millionen Mark, während
es im Jahre 1908 für 181 000 Tonnen nur 145 Mil-
lionen Mark zahlte. Die daraus sich ergebende
Preissteigerung läßt hoffen, daß auch die Kaffee-
pflan zungen besonders in Ostafrika, die bei dem
Tiefstande der Preise in den Jahren 1902 und 1903
unrentabel geworden waren, wieder an Bedeutung
gewinnen, besonders, nachdem man jetzt auch mit
anderen Qualitäten Versuche macht. Am Rufidji
in Ostafrika wächst ein ausgezeichneter Reis, der
höher als der indische bezahlt wird. Guano wird
in Südwestafrika gewonnen, und ein neuerdings
entdecktes bedeutendes Lager in den Marschallinseln
scheint gute Aussichten zu haben. Steinnüsse für
das Drechslergewerbe und Stoffe für die Papier-
und Zellulosefabrikation, auch Bast kommen hinzu.
An tropischen Nutzhölzern bezieht Deutschland für
9 Millionen Mark, die es nach dem übereinstim-
menden Urteil von Sachverständigen, denen sich
auch Paasche in seiner Reisebeschreibung anschließt,
zum größten Teile seinen Kolonien zuwenden könnte.
Der beträchtliche Export der englischen Goldküsten-
kolonie an Holz kommt zum Teil jetzt schon aus dem
Hinterlande von Togo. In Ostafrika sind allein
250 000 Hektar Hochwald, in Küstennähe u. a. mit
Zedernholz und Mahagoni, durchsetzt, und 1 bis 2
Millionen Hektar solchen Waldes 50 Kilometer land-
einwärts nach dem Gutachten der Forstverwaltung
vorhanden. Ein Unternehmer in Ostafrika, Klemens
Denhard, der heute schon 1600 Mann in der Holz-
produktion beschäftigt, schätzt die in Ostafrika und
Kamerun vorhandenen Mangrovenbestände auf
mindestens 120 000 Hektar und glaubt, bei dem
heutigen Preis die Quanlität der in diesen Wäldern
vorhandenen Gerbstoffe auf mindestens 850 Millio-
neu Mark schätzen zu dürfen. Abgesehen davon, daß
Deutschland selbst jährlich für viele Millionen Mark
an Gerbstoffen bezieht, würde es durch die Aus-
beutung seiner Wälder in Ostafrika und Kamerun,
welche sehr große Mangrovenbestände haben, die
Kontrolle über den Baumrindenmarkt gewinnen,
während zur Zeit die Quebrachorinde von Argen-
tinien den Markt beherrscht, der überdies durch die
monopolistischen Tendenzen der Nordamerikaner
in diesem Produktionszweige mit steigenden Preisen
zu rechnen hat. Hierher gehört auch die Kultur der
Gerberakazie, die besonders für Ostafrika in Be-
tracht kommt. Bei allen diesen Artikeln handelt es
sich fast ausschließlich um eine Transportfrage.
Kakao gehört zu den tropischen Nahrungsmitteln,
von welchen wir große Mengen importieren. Die
deutschen Kolonien, insbesondere Kamerun und
Samoa, liesern bis jetzt erst für 1,3 Millionen Mark
für den sehr bedeutenden deutschen Bedarf.
Daß die wirtschaftliche Erschließung unserer
Kolonien in der Hauptsache lediglich eine Verkehrs-
frage ist, wurde schon mehrfach gestreift. Der bis-
herige Export aus unseren Kolonien wird auf den
Köpfen von etwa 2 Millionen Negern in 4 bis 5
Tagereisen, bei wertvollen Gütern auch 40 bis 50
Tagereisen an die Küste gebracht. Aus dem Innern
des Landes können bisher überhaupt nur wertvolle,
durch Okkupation gewonnene Güter, wie Kautschuk,
Elsenbein, Wachs usw., gebracht werden, und gerade
im Innern des Landes befindet sich zumeist die Ein-
geborenenkultur, und sind die für Olfrüchte, Baum-