Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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von der Tauwarenindustrie sehr geschätzt wird. 
Die plantagenmäßige Produktion von Kautschuk, 
den die elektrische, die Maschinen-, die Antomobil= 
Industrie in wachsenden Mengen gebraucht, greift in 
den regenreichen Gebieten, in Neu-Guinea, Samoa, 
Kamerun, Teilen von Ostafrika, rasch um sich 
und ersetzt allmählich die raubbaumäßige Ge- 
winnung durch die Eingeborenen. 
Ol= und Fettpflanzen verschiedener Art wachsen 
ziemlich überall. Etwa 5 Prozent unseres be- 
trächtlichen Netto-Imports kommen aus unseren 
Kolonien. 
Durch die Arbeiten des Kolonial-Wirtschaft- 
lichen Komitces ist festgestellt, daß die Baumwolle 
in Togo, in den höheren Lagen von Kamerun, 
besonders aber im Süden von Ostafrika, und 
zwar dort die hochwertige egyptische Baumwolle 
gedeiht. Heute erscheint die Erwartung begründet, 
daß Afrika dereinst das nordamerikanische Mono- 
pol brechen wird, und wir selbst einen Einfluß 
auf die Preisbildung dieses so wichtigen Roh- 
stoffes gewinnen werden. Dieselbe Hoffnung be- 
gründen für Kupfer die reichen Erzlager in 
Südwestafrikan. Nimmt man hinzu, daß in 
Kamerun Kakao, in Usambara Kaffec aus- 
gedehnten Anbau finden, wenn sie auch unter 
Schädlingen und niedrigen Preisen zu leiden 
haben, daß Mais und Reis in Massen von 
den Eingeboren gewonnen werden, in Süd- 
west die Wollschafzucht sich vor dem Aufstand in 
bester Blüte befand, und wir in den Waldbeständen 
der Tropen ein großes Exportmaterial besitzen, so 
wird man sagen müssen: es lohnt sich, diese 
Kolonien zu entwickeln. Sie sind in der Tat ge- 
eignet, unser Volk für wichtige Rohstoffe unab- 
hängiger zu stellen, sie bedenten eine wesentliche 
Vermehrung der natürlichen Reichtümer, die 
unserem Volke zur Verfügung gestellt sind, alles 
in allem eine großartige Erweiterung unseres 
national gesicherten Arbeitsfeldes. 
Aber es ist noch sehr wenig geschehen, um 
diese Reichtümer zu heben. Ich sehe dabei von 
der erfreulichen Entwicklung Kiantschous ab, das 
wir als Eingangstor für die nordchinesischen 
Märkte vor neun Jahren erwarben. Im übrigen 
haben wir uns in den ersten zehn Jahren unserer 
Kolonialtätigkeit wesentlich darauf beschränkt, eine 
minimale Verwaltung einzurichten und kleinere 
Expeditionen in das Innere zu schicken. In den 
letzten zehn Jahren hat sich das Interesse für die 
Kolonien zwar mehr und mehr belebt, es sind 
zahlreiche Plantagengesellschaften und Einzelunter- 
nehmungen begründet, in den Tropenkolonien mit 
Einschluß der Südseeinseln 183 Millionen Mark 
investiert worden; dazu kommen etwa 31 Millionen 
Kapitalanlagen des Reichsfiskus. So ist die Aus- 
fuhr der drei wichtigsten, der afrikanischen Tropen- 
  
kolonien in den letzten zehn Jahren auf das 
2½ fache von 9,7 auf 23 Millionen Mark ge- 
wachsen. Doch im Vergleich mit der großen 
Ansdehnung und Ergiebigkeit der verfügbaren 
Flächen sind dies alles sehr kleine Summen. 
Obwohl von den landwirtschaftlichen Exporten 
der afrikanischen Tropenkolonien etwa #/: Kulturen 
der Eingeborenen entstammen, ist deren große 
Masse vom Verkehr noch fast unberührt und lebt 
in vollständiger Naturalwirtschaft. Von den 
400 000 bis 500 000 exportierten Doppelzentnern 
mußte das allermeiste noch auf Negerköpfen mehrere 
Tagereisen, wertvolle Waren mußten in Märschen 
von 30 bis 60 Tagen nach der Küste geschafft 
werden. Es fehlt also an Verkehrsmitteln, an 
Eisenbahnen. Bisher sind glücklich drei kurze 
Stichbahnen von 100 bis 200 km Länge, davon 
zwei aus Reichsmitteln für das 995 000 qkm große 
Deutsch-Ostafrika, eine in Togo — hier bekanntlich 
unter Zinsgarantie der Kolonie, die bereits finan- 
zielle Uberschüsse abwirft — gebaut worden. 
An der so unzulänglichen Ausstattung trägt 
aber nicht bloß der Reichstag, sondern ebenso der 
Bundesrat und die bisherige Kolonialverwaltung, 
man kann sagen das ganze Volk die Schuld; 
denn das Verständnis für die Größe der zu lösenden 
Aufgabe ist noch wenig verbreitet. 
Vergegenwärtigen wir uns das weltwirtschaft- 
liche Problem, an dem mitzuarbeiten wir berufen 
sind. Zwei Perioden der Kolonialgeschichte sind 
ohne unsere direkte Beteiligung vorübergegangen. 
In der ersten, die fast bis in die Mitte des 
19. Jahrhunderts dauerte, griff die intensivere 
Nutzbarmachung der obkkupierten Gebiete für die 
europäische Kultur nur entlang den großen Strömen 
weit über die Küstenränder hinaus. Der Einfluß 
des kolonialen Handels auf das Wirtschaftsleben 
von Europa — wenigstens des Festlandes — 
blieb deshalb, vom Edelmetallhandel abgesehen, 
verhältnismäßig gering. Die zweite Hälfte des 
19. Jahrhunderts brachte mit den Eisenbahnen: 
die Emanzipation von den Wasserstraßen, die Auf- 
schließung und Besiedlung der Bezirke von ge- 
mäßigtem und subtropischem Klima im Innern 
der Kontinente, und daraus erwuchs ebenso die 
schwere Konkurrenz für die Landwirtschaft, wie die 
fast sprunghafte Industrieentwicklung der letzten 
Jahrzehnte in Westeuropa, besonders auch in 
Deutschland. Aber die Kolonialgebiete der ge- 
mäßigten Zone werden selbst mit großer Raschheit 
zu Industrieländern, und es ist, von aller Handels- 
politik abgesehen, nicht darauf zu rechnen, daß 
unser Absatz dorthin sich in dem Tempo der Be- 
siedlungszeit weiter entwickeln wird. Auch haben 
alle jene Siedelungsgebiete die Tendenz, zu selb- 
ständigen Staaten zu werden, soweit sie es noch 
nicht sind.
	        
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