Full text: Deutsches Kolonialblatt. XVIII. Jahrgang, 1907. (18)

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hierfür aufgewendete Zeit viel zu kurz war. Ob- 
gleich ich vom Süden, von Tuticorin bis zum 
25. Breitengrade, bis Delhi gekommen bin, war 
es mir doch nur möglich, einen ganz oberfläch- 
lichen Eindruck von dem gesamten Wirtschafts- 
leben mitzunehmen. Man muß bedenken, daß 
die 13 Millionen englische Quadratmeilen be- 
tragende Fläche, mit ihren etva 295 Millionen 
Einwohnern, in den verschiedenen Teilen oft ein 
grundverschiedenes Gepräge hat und daß das 
Wirtschaftsleben auf ganz verschiedenen Grund- 
lagen ansgebaut ist. Während im Süden tropische 
Glut vorherrscht, findet man im Norden ein 
unserer gemäßigten Zone ähnliches Klima; auch 
der Regenfall ist von großer Verschiedenheit. 
Während unn in einzelnen Teilen reichlicher, in 
anderen normaler Regenfall eintritt, gibt es 
Zonen, z. B. in der Gegend von Jaipur, wo 
schon jahrelang kein Regen mehr gefallen ist. 
Ebenso verschieden wie Temperatur und Regen- 
fall, ist die Formation. Weite Strecken flachen 
Landes werden von Gebirgszügen unterbrochen 
und nach tagelanger ermüdender Fahrt durch 
ebene Flächen, die dem Auge nichts bieten, 
kommt man ##eine wohltnende Abwechslung — 
in Gebirge, die sich, wie z. B. die Nilgiris, bis 
auf 8600 Fuß erheben. Im Norden ragt das 
Gebiet des Himalaja, schon auf indischem Boden, 
bis zu 13 000 Fuß empor. 
In der großen Masse von 295 Millionen 
Menschen sind fast alle Religionen der Welt ver- 
treten, Hindus, Mohammedaner, Buddhisten, 
Sikhs, Jains, Zaroastras, Juden und Christen. 
Mit den Rassen ist es ebenso. Aber im Verhältnis 
äu der großen Zahl derer, die anderen Rassen 
angehören, sind nur sehr wenige, etwa 170 000, 
Curopäer vorhanden, hauptsächlich Engländer, 
darunter etwa 80 000 Militärs. 
Bevölkerung. 
Der allergrößte Teil der Bevölkerung — weit 
über 200 Millionen — besteht aus Hindus. 
Bei diesen ist das Kastenwesen, welches die Ar- 
beitsleistung auf bestimmte Gebiete beschränkt, von 
großem Einfluß für das ganze Wirtschaftsleben. 
Ebenso bilden die Religionsgebräuche der Hindus 
ein schweres Hindernis für die Entwicklung, wie 
sie auf Grund der zahlreichen Arbeitskräfte und 
der heute erreichten Technik auch in Indien ein- 
geführt werden könnte. Der Ackerbau, die Haupt- 
erwerbsquelle, wird trotz Jahrtausende alter Ubung 
noch unglaublich primitiv betrieben. Die be- 
stehende Industrie beruht auf Handarbeit, welche 
sich in der Kaste durch Generationen bis heute 
unverändert erhalten hat. Nach den Hindus 
stellen das größte Kontingent die Mohammedaner 
mit etwa 63 Millionen Einwohner, besonders 
  
stark sind sie in dem nördlichen Teil Indiens ver- 
treten und an manchen Plätzen geben sie dem 
ganzen Leben das Gepräge. 
Die etwa zehn Millionen Buddhisten leben 
zum größten Teil in Birma. Unter den das 
wirtschaftliche Leben weniger einengenden Satzun- 
gen des Buddhismus und unter der modernen 
onglischen Regierung tritt dort angenscheinlich ein 
Aufblühen von Landwirtschaft, Industrie und 
Handel ein. 
Wenn man von Ceylon nach Indien kommt, 
ist man überrascht, mit wieviel größerer Unter- 
würfigkeit der Eingeborene dem Europäer gegen- 
über tritt. Während der Singhalese auf Ceylon 
ein verhältnismäßig freies und selbstbewußtes 
Wesen zur Schau trägt, zeigt sich der Inder dem 
Europäer immer als der ganz devote Diener. 
Man fühlt dort gewissermaßen sofort das Prinzip 
der Engländer, den Europäer in jedem Falle als 
den Herrn gegenüber dem Eingeborenen zur 
Anerkennung zu bringen. Das geht auch aus 
den Ehrenbezengungen hervor, die seitens der 
eingeborenen Polizeibeamten und Militärs dem 
Europäer erwiesen werden und die, wie mir ge- 
sagt worden ist, auf Anordnung der britischen 
Behörden erfolgen. Hierzu kommt, daß dort 
kein Europäer schwere körperliche Arbeit verrichtet; 
diese Arbeit wird dem gering bezahlten Ein- 
geborenen überlassen, so daß der Eingeborene gar 
keine Gelegenheit hat, den Europäer auch in 
dienender Position kennen zu lernen. Diese 
Überlegenheit der Weißen wie der zwischen den 
verschiedenen Religionsgemeinschaften und Rassen 
seit undenklichen Zeiten bestehende Haß geben die 
Erklärung dafür, daß dieses weite Land und diese 
kolossale Volksmasse von einer verhältnismäßig 
kleinen Macht beherrscht werden kann. 
Trotzdem sind aber auch in letzter Zeit wieder 
Anzeichen hervorgetreten, welche für die englische 
Herrschaft nicht ganz unbeachtlich erscheinen. So 
ist z. B. ink Frühjahr vorigen Jahres unter der 
Devise „Indien den Indern“ der Versuch gemacht 
worden, den Eingang fremder Waren zu verhin- 
dern, indem die Bevölkerung europäische Waren 
für eine Zeit boykottierte; ebenso hört man viel 
von dem Bestreben, höhere Beamtenstellen statt 
mit Europäern mit Indern zu besetzen. 
Die Arbeitslöhne sind in Indien sehr niedrig; 
abgesehen von Birma, wo höhere Löhne gezahlt 
werden, wird ein Cooly für den Tag mit etwa 
3½ Anna (16 Anng = 1 Rupie = 1,35 Mk.) 
bezählt. Oder (wie dort meist engagiert wird) 
für den Monat mit 5½ bis 7 Rupie, und eine 
Frau monatlich mit 4 bis 4½ Rupie. Die Ar- 
beitszeit wechselt je nach den verschiedenen Tempe- 
raturen; sie dauert im Tieflande bis zu acht 
Stunden, während sie im Gebirge, so z. B. im
	        
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