Full text: Deutsches Kolonialblatt. XIX. Jahrgang, 1908. (19)

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Am härtesten sind die Vereinigten Provinzen 
Agra und Oudh von der Dürre betroffen. Hier 
ist nun in den durch künstliche Bewässerung ge- 
schützten Teilen die Herbsternte (Kharif) vor der 
gänzlichen Vernichtung bewahrt worden. Was 
das bedeutet, wird verständlich, wenn man be- 
denkt, daß gerade die Kharifernte die billigeren 
Früchte (Hirse, Reis) trägt, auf denen die Nah- 
rung der Bevölkerung beruht. Für die Provinz, 
als Ganzes genommen, schwankt der Ertrag der 
hauptsächlichsten Nahrungsmittelfrüchte zwischen 
einem Viertel und der Hälfte einer normalen 
Ernte. Die Hälfte der Baumwollernte und 
56 oder noch mehr von der Zuckerernte der 
genannten Provinz ist zugrunde gegangen. Die 
Fläche, die am schlimmsten daran ist, wird auf 
51 000 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung 
von 21½ Millionen Seelen angegeben; etwas 
weniger hart, aber immer noch ernstlich betroffen 
ist ein weiteres Gebiet von 9000 Quadratmeilen 
mit 5 Millionen Seelen. Diese Zahlen um- 
fassen mehr als die Hälfte der Provinz. Der 
Flächeninhalt der Vereinigten Provinzen Agra 
und Oudh beläuft sich auf 107 164 Quadrat- 
meilen (engl.), ihre Bevölkerung betrug bei dem 
Zensus von 1901 147 Millionen. Das Schicksal 
derselben wird nun im wesentlichen vom Ausfall 
der Frühjahrsernte (Rabi) abhängen. Die 
herrschende Hitze und Trockenheit war freilich der 
Aussaat bisher ungünstig, auch ist die Aussaat 
dadurch verzögert worden, daß die Bauern ihr 
äußerstes getan haben, um die noch stehende 
Kharifernte durch künstliche Bewässerung zu retten. 
In anmtlichen Berichten wird nunmehr von 
„heroischen Anstrengungen“ der Bauern ge- 
sprochen, soviel Land als möglich für die Rabi- 
ernte zu bestellen. Allein der Felder, deren 
Bestellung ohne künstliche Bewässerung einiger- 
maßen möglich ist, gibt es nicht viele, und selbst 
bei solchem Boden ist es zweifelhaft, ob die 
Keime sich gut entwickeln. Aber es gibt keinen 
Bericht der einzelnen Bezirksbeamten, aus denen 
diese allgemeine lbersicht zusammengestellt ist, der 
nicht von dem mutigen Geist des Optimismus 
Zeugnis ablegte, mit dem die Landbevölkerung 
den nahenden schweren Tagen entgegenschaut. 
Demjenigen, der in diesen Wochen diese Gebiete 
auch nur mit der Eisenbahn durchfahren hat, 
mußte es auffallen, wie verhältnismäßig viele 
Felder Spuren der Bestellung zeigten. Aber es 
war auch kein seltener Anblick, wie mühselig mit 
der Schöpfkanne die Bauern versuchten, die für 
das Aufkeimen der Saat nötige Feuchtigkeit dem 
Feld aus einer vielleicht fern gelegenen Quelle 
zuzuführen. 
Die Regierung hat ihrerseits der Landwirt- 
schaft weitgehende Hilfe angedeihen lassen. In 
  
erster Linie hat sie das System der sogenannten 
takavia-Anleihen in einer bisher noch nie ge- 
übten Freigebigkeit benutzt, um die Bauern in- 
standzusetzen, über die ärgsten Schwierigkeiten 
hinwegzukommen. Die Regierung verleiht näm- 
lich — und zwar auch unter normalen Ver- 
hältnissen, um die Bauern aus der Gewalt des 
Dorfwucherers zu befreien — in bestimmten 
Grenzen das zur Finanzierung des landwirtschaft- 
lichen Betriebes nötige Kapital selbst. Solche 
Summen werden vorgestreckt zu einem Zins von 
5 bis 6¼ v. H. gegen die 12 bis 24 v. H. und 
noch mehr, die vom Dorfverleiher erpreßt werden. 
Im allgemeinen hat diese Staatshilfe im land- 
wirtschaftlichen Kreditwesen Indiens indessen keine 
durchgreifende Anderung hervorgebracht, nicht nur 
weil die Darlehen lediglich auf bestimmte Zwecke 
(Meliorationen, Saat= und Viehankäufe, Zucht- 
zwecke) ausgegeben werden, sondern auch weil 
damit viel mehr Formalitäten verbunden sind 
als mit den Abmachungen mit dem Dorfbaniah 
und diese auch mit größerer Schärfe zurück- 
gefordert werden als die Vorschüsse des letzteren. 
Aber in Zeiten einer drohenden Hungersnot sind 
derartige Regierungsanleihen von großem Nutzen 
gewesen, denn auch der Dorfkredit versagt in 
solchen Zeiten oder wird nur zu Bedingungen 
gegeben, die seine Inanspruchnahme mit wirt- 
schaftlichem Ruine gleichbedeutend erscheinen lassen. 
Sobald die kritische Lage einigermaßen sich zeigte, 
wurden in den Vereinigten Provinzen allein 
14 Millionen Rupien an solchen Darlehen 
verteilt, um die Bauern instand zu setzen, Saat 
für die Rabikultur zu kaufen und Arbeiter für 
die Ausgrabung von Waseerstellen zu dingen. 
Der moralische Effekt dieser Maßregel scheint die 
Freigebigkeit, mit der man dabei verfahren ist, 
gerechtfertigt zu haben. Damit wurde auch für 
eine Zeitlang noch der Bedarf an landwirtschaft- 
lichen Arbeitern hochgehalten, was bei der im 
Laufe der Jahre stetig fortschreitenden Bermehrung 
der grundbesitzlosen landwirtschaftlichen Arbeiter- 
klasse von besonderer Wichtigkeit ist. Diese Ver- 
mehrung hat sich gerade in den von Teuerung 
und Hungersnot am öftesten heimgesuchten Be- 
zirken gezeigt und hat teils infolge von Gewohn- 
heit, teils mit Rücksicht auf Kaste und Sprache 
keinen Ausgleich durch Abwanderung in weniger 
eng bevölkerte Gebiete gefunden. Dadurch, daß 
diese Klasse jetzt für einige Zeit noch Beschäfti- 
gung gefunden hat, scheint das Stadium, das 
sich bei jeder Hungersnot in Indien zu zeigen 
pflegt, das ziellose Umherwandern auf der Suche 
nach Nahrungsgelegenheit, noch hinausgeschoben 
zu sein. 
Neben diesen takavi-Darlehen hilft die Re- 
gierung noch mit Abgabennachlässen. Von den
	        
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