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Am härtesten sind die Vereinigten Provinzen
Agra und Oudh von der Dürre betroffen. Hier
ist nun in den durch künstliche Bewässerung ge-
schützten Teilen die Herbsternte (Kharif) vor der
gänzlichen Vernichtung bewahrt worden. Was
das bedeutet, wird verständlich, wenn man be-
denkt, daß gerade die Kharifernte die billigeren
Früchte (Hirse, Reis) trägt, auf denen die Nah-
rung der Bevölkerung beruht. Für die Provinz,
als Ganzes genommen, schwankt der Ertrag der
hauptsächlichsten Nahrungsmittelfrüchte zwischen
einem Viertel und der Hälfte einer normalen
Ernte. Die Hälfte der Baumwollernte und
56 oder noch mehr von der Zuckerernte der
genannten Provinz ist zugrunde gegangen. Die
Fläche, die am schlimmsten daran ist, wird auf
51 000 Quadratmeilen mit einer Bevölkerung
von 21½ Millionen Seelen angegeben; etwas
weniger hart, aber immer noch ernstlich betroffen
ist ein weiteres Gebiet von 9000 Quadratmeilen
mit 5 Millionen Seelen. Diese Zahlen um-
fassen mehr als die Hälfte der Provinz. Der
Flächeninhalt der Vereinigten Provinzen Agra
und Oudh beläuft sich auf 107 164 Quadrat-
meilen (engl.), ihre Bevölkerung betrug bei dem
Zensus von 1901 147 Millionen. Das Schicksal
derselben wird nun im wesentlichen vom Ausfall
der Frühjahrsernte (Rabi) abhängen. Die
herrschende Hitze und Trockenheit war freilich der
Aussaat bisher ungünstig, auch ist die Aussaat
dadurch verzögert worden, daß die Bauern ihr
äußerstes getan haben, um die noch stehende
Kharifernte durch künstliche Bewässerung zu retten.
In anmtlichen Berichten wird nunmehr von
„heroischen Anstrengungen“ der Bauern ge-
sprochen, soviel Land als möglich für die Rabi-
ernte zu bestellen. Allein der Felder, deren
Bestellung ohne künstliche Bewässerung einiger-
maßen möglich ist, gibt es nicht viele, und selbst
bei solchem Boden ist es zweifelhaft, ob die
Keime sich gut entwickeln. Aber es gibt keinen
Bericht der einzelnen Bezirksbeamten, aus denen
diese allgemeine lbersicht zusammengestellt ist, der
nicht von dem mutigen Geist des Optimismus
Zeugnis ablegte, mit dem die Landbevölkerung
den nahenden schweren Tagen entgegenschaut.
Demjenigen, der in diesen Wochen diese Gebiete
auch nur mit der Eisenbahn durchfahren hat,
mußte es auffallen, wie verhältnismäßig viele
Felder Spuren der Bestellung zeigten. Aber es
war auch kein seltener Anblick, wie mühselig mit
der Schöpfkanne die Bauern versuchten, die für
das Aufkeimen der Saat nötige Feuchtigkeit dem
Feld aus einer vielleicht fern gelegenen Quelle
zuzuführen.
Die Regierung hat ihrerseits der Landwirt-
schaft weitgehende Hilfe angedeihen lassen. In
erster Linie hat sie das System der sogenannten
takavia-Anleihen in einer bisher noch nie ge-
übten Freigebigkeit benutzt, um die Bauern in-
standzusetzen, über die ärgsten Schwierigkeiten
hinwegzukommen. Die Regierung verleiht näm-
lich — und zwar auch unter normalen Ver-
hältnissen, um die Bauern aus der Gewalt des
Dorfwucherers zu befreien — in bestimmten
Grenzen das zur Finanzierung des landwirtschaft-
lichen Betriebes nötige Kapital selbst. Solche
Summen werden vorgestreckt zu einem Zins von
5 bis 6¼ v. H. gegen die 12 bis 24 v. H. und
noch mehr, die vom Dorfverleiher erpreßt werden.
Im allgemeinen hat diese Staatshilfe im land-
wirtschaftlichen Kreditwesen Indiens indessen keine
durchgreifende Anderung hervorgebracht, nicht nur
weil die Darlehen lediglich auf bestimmte Zwecke
(Meliorationen, Saat= und Viehankäufe, Zucht-
zwecke) ausgegeben werden, sondern auch weil
damit viel mehr Formalitäten verbunden sind
als mit den Abmachungen mit dem Dorfbaniah
und diese auch mit größerer Schärfe zurück-
gefordert werden als die Vorschüsse des letzteren.
Aber in Zeiten einer drohenden Hungersnot sind
derartige Regierungsanleihen von großem Nutzen
gewesen, denn auch der Dorfkredit versagt in
solchen Zeiten oder wird nur zu Bedingungen
gegeben, die seine Inanspruchnahme mit wirt-
schaftlichem Ruine gleichbedeutend erscheinen lassen.
Sobald die kritische Lage einigermaßen sich zeigte,
wurden in den Vereinigten Provinzen allein
14 Millionen Rupien an solchen Darlehen
verteilt, um die Bauern instand zu setzen, Saat
für die Rabikultur zu kaufen und Arbeiter für
die Ausgrabung von Waseerstellen zu dingen.
Der moralische Effekt dieser Maßregel scheint die
Freigebigkeit, mit der man dabei verfahren ist,
gerechtfertigt zu haben. Damit wurde auch für
eine Zeitlang noch der Bedarf an landwirtschaft-
lichen Arbeitern hochgehalten, was bei der im
Laufe der Jahre stetig fortschreitenden Bermehrung
der grundbesitzlosen landwirtschaftlichen Arbeiter-
klasse von besonderer Wichtigkeit ist. Diese Ver-
mehrung hat sich gerade in den von Teuerung
und Hungersnot am öftesten heimgesuchten Be-
zirken gezeigt und hat teils infolge von Gewohn-
heit, teils mit Rücksicht auf Kaste und Sprache
keinen Ausgleich durch Abwanderung in weniger
eng bevölkerte Gebiete gefunden. Dadurch, daß
diese Klasse jetzt für einige Zeit noch Beschäfti-
gung gefunden hat, scheint das Stadium, das
sich bei jeder Hungersnot in Indien zu zeigen
pflegt, das ziellose Umherwandern auf der Suche
nach Nahrungsgelegenheit, noch hinausgeschoben
zu sein.
Neben diesen takavi-Darlehen hilft die Re-
gierung noch mit Abgabennachlässen. Von den