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dessen höchste Erhebung in diesem Teil, der Lürun.
Seine Besteigung wurde von Herrn Krämer rasch
ausgeführt, als gerade die Sonne auf einige
Stunden zu scheinen versprach; vorher hatte man
den Aberglauben der Eingeborenen durch List be-
schwichtigt. Es war eine schlimme Kletterpartie,
von Baum zu Baum, über Felsentreppen hinweg
und lehmige Schleifen, bis der schmale Kamm
erreicht war, dessen höchster Punkt annähernd
1250 m (nach Messung) hoch zu sein scheint —
wahrscheinlich die größte bis jetzt im Bismarck-
archipel erreichte Höhhe. Auch das etwa 5 km
südlich von Lembin gelegene Lenkämen wurde
zu einer Festbeobachtung besucht, wobei je
acht Täler auf fürchterlichen Wegen zu passieren
waren. Alles war jungfräuliches Gebiet, wie die
Eingeborenen wiederholt versicherten, noch von
keines Weißen Fuß betreten; nur am Westrande
des Plateaus scheinen einige Regierungsbeamte
und Professor Sapper den Dorfbereich bei Durch-
querungen der Insel berührt zu haben. Zu den
örtlichen Schwierigkeiten gesellt sich eine unfreund-
liche Natur. In dem Kammwinkel, in dem Lelet
eingebettet liegt, fangen sich die Wolken, so daß
es sehr häufig regnet. Man kann von Glück
sagen, wenn vormittags einige Stunden die Sonne
scheint. Deshalb sind auch die Hütten der Ein-
geborenen klein und haben niedrige Eingänge;
die Dachbedeckung reicht bis auf den Boden herab.
Das leichte Zelt, das die Reisenden von Sydney
mitgebracht hatten und das dem Leben der Minen-
arbeiter im trockenen Australien angepaßt war,
begann nach fünftägigem Aufenthalt zu modern
und wirkte in seiner steten Feuchtigkeit recht nach-
teilig auf die Aimungsorgane. Das Mißverhältnis
zwischen Regen und Sonnenschein drückt sich auch
darin aus, daß die Leute von Lelet nicht wie
allenthalben an der Küste „Regen zu machen“,
sondern im Gegenteil die Sonne zu rufen suchen,
indem sie Feuer unter einem Schädelhaus an-
zünden. Die Geister der Verstorbenen werden
dann aufgefordert, sich hinaufzuschwingen und die
Wolken zu zerteilen. Gewitter sind häufig, aber
man erinnert sich nicht, daß je ein Blitz ein-
geschlagen hätte. Endlich ist in Lelet die eigen-
artige Schleiftrommel beheimatet, die den Gesang
eines Vogels nachahmt und bei bestimmten Toten-
festlichkeiten gebraucht wird, worüber es gelang
nähere Nachrichten zu sammeln.
So war der Aufenthalt in Lelet, nach dem
der Gebirgsstock Leletgebirge genannt zu werden
verdient, recht lohnend, wenn auch teuer erkauft.
Hätte Krämer auf der Höhe des Lurun am
28. April einen Aushau nach Nordwest herzu-
stellen vermocht, so hätte er sehen können, daß
die „Langeoog“ vor Lamasong acht Tage zu
früh eingetroffen war. So stiegen die beiden
Wanderer wieder hinab, über Levinko nach
Kandan, um nach zweitägigem Marsche in La-
masong das Nest leer zu finden. Schilling
hatte gemäß Anordnung das Lager mit Hilfe
der „Langeoog“ nach Fesoa verlegt. Nun fehlte
es am nötigsten, und man war doch der Ruhe
so bedürftig. Ein Schiff war in absehbarer Zeit
an der Ostküste nicht mehr zu erwarten, und nur
in dem 150 km närdlich gelegenen Kävieng,
dem Sitz der Regierung, pflegt sich hin und
wieder Gelegenheit zu bieten, nach Simpsonhafen
zu kommen. Da Anfang Mai noch mehrere
Festlichkeiten im Umkreis von 20 km von
Lamasong stattfanden, die zu letzter Vervollstän-
digung der Studien Gelegenheit boten, wurde
der Abmarsch nach Norden auf den 14. Mai
festgesetzt und Kävieng am 19. Mai erreicht; auf
dem zweiten Wegteil von Fesoa ab, wo die Pflan-
zungen der Weißen beginnen, streckenweise auf
den zur Verfügung gestellten Wagen der Herren
Miesterfeldt und Macco.
Walden und Schilling wurden in Fesoa
angetroffen, wo sic in dem vortrefflichen Rasthaus
des Stationschefs Boluminski herrlich unter-
gebracht waren.
Walden langte nach seinem zweimonatigen
Aufenthalt auf Täbar (Gardner= und Fisher-
Inseln) mit dem Dampfer der Neu-Guinea-Kom-
pagnie) „Star“ Anfang März in Kävieng an
und hatte seine umfangreichen, zum Teil nur
lose zusammengepackten Sammlungen und Aus-
rüstungsgegenstände dank dem Entgegenkommen
des Schiffskapitäns alle nach dem von Verkehr
und Hilfsmitteln weniger abgeschnittenen Neu-
Mecklenburg in Sicherheit bringen können. Zu-
dem wurden die Aufnahmen der Eingeborenen-
sprache, der Sagen und Mythen, Tanzlieder,
Kultgebräuche, Sitten, der Lebens= und Siedlungs-
weise, die eine Fixierung der Stellung Täbars
zur Hauptinsel ermöglichen, in Sicherheit gebracht.
Von Kävieng aus, wo eine Reihe von Tagen
zum Ordnen der Sammlungen und Notizen auf-
gewendet werden mußte, besuchte dann Walden
im Boote die Inseln des Nusa-Fahrwassers und
die Dorfschaften der Ostküste Neu-Mecklenburgs
bis Fesoa hinab, zum Zwecke allgemeiner Stu-
dien vornehmlich in Anthropogeographie. Nach
Kävieng zurückgekehrt, brach er am 12. April
wiederum im Boot nach der Westküste der Insel
auf, um die Ortschaften bis nach Lamusmus
hinab zu besuchen, gleichfalls vornehmlich die
Siedlungsart verfolgend.
Von Lamusmus führt ein breiter, in steilen
Windungen die Höhe des Schleinitzgebirges ge-
winnender Weg ins Gebiet der in einzelne Haus-
gruppen im Bergland zerstreuten Waldgemeinde
Panemafai. Eine breite, verhältnismäßig ebene,