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scheinung steht das persönliche Verhalten der Samoaner
im Verkehr untereinander, wie mit den Fremden. Die
Tugend der Gastfreundschaft ist besonders eutwickelt;
sie geht so weit, daß nicht selten Samoaner sich in
Schulden stürzen, um ihre Gäste würdig zu bewirten.
Nicht nur, daß die- Eingeboren#e sich ünkereinander
bewirten — die Sitte, daß größere Reisegesellschaften
zu wochenlangem Besuch ihre Freunde und Verwandten
überfielen, hat bisweilen zu direkten wirtschaftlichen
Schädigungen der Beglückten geführt —, sondern auch
dem weißen Manne wird in liebenswürdiger Weise
Gastfreundschaft gewährt. Hierbei wie überhaupt bei
allen Vorgängen, bei denen der samoanische Häuptling
oder auch nur das einzelne Familienhaupt in die
Erscheinung tritt, wird ein gewisses Zeremoniell inne-
gehalten. Höfliche Begrüßungen und Becher des
landesüblichen Getränkes, der Kawa, werden gewechselt
und bei allen nur denkbaren Anlässen blumenreiche
Reden gehalten. Die materielle Kultur der Samoaner
steht allerdings nicht auf einer diesen höflichen Formen
entsprechenden Höhe. Zwar wohnt der Eingeborene in
verhältnismäßig gut gebauten Hütten, doch beschränkt
sich sein Hausrat meist nur auf wenige Gefäße und
Werkzeuge. Beim Verzehren der Speisen werden, wie
zu Vorväter-geiten, lediglich die Finger benutzt. Diese
geringe materielle Entwicklung der Samoaner beruht
wohl zum Teil darauf, daß die Natur ihm in ver-
schwenderischer Fülle das gibt, was er zur Befriedigung
seiner geringen Bedürfnisse benötigt. Ein paar Kokos-
nüsse, Bananen und Taro, die er sich mit Aufwendung
geringer Arbeit verschaffen kann, sind für ihn genügend.
Fische bietet das Meer in reicher Fülle; zudem werden
Schweine und Hühner von den meisten Samoanern
gehalten. Zum Teil ist die Ursache der wirtschaftlichen
Rückständigkeit aber wohl der Kommunismus, der
überall herrscht. Alles, was er besitzt oder erwirbt,
vom Hüfttuch, das er als Kleidung trägt, bis zu dem
Geld, welches er durch Arbeit bei den weißen Pflanzern
verdient, ist der Samoaner durch die ungeschriebenen
Gesetze seines Landes gezwungen, mit seiner Familie
und seinen Freunden zu teilen. Warum sollte ein
Mann sich durch Tage, Wochen und Monate abquälen,
wenn schließlich die Arbeit ihm selbst keinen besonderen
Vorteil bringt, und die anderen, die nichts getan
haben, ebenso die Früchte seiner Tätigkeit genießen!
Er zieht es vor, sich nicht zu überanstrengen und sich
lieber dem dolce far niente hinzugeben.
Doch in einer Beziehung sind die Samoaner weit
vorgeschritten; die Rhetorik ist bei ihnen zu einer
hohen Kunst entwickelt. Der samoanische „Sprecher“
kann bei dem geringsten Anlaß aus dem Stegreif
eine Rede halten, welche manchen geübten Parlamemts-
redner beschämen würde. Diese Sprecher (Tulafale)
haben oft einen bedeutenden Einfluß auf den Distrikt,
dem sie angehören, und darüber hinaus. Doch auch
abgesehen von den berufsmäßigen Sprechern ist die
Kunst der Reden weit verbreitet; der Sohn lernt sie
vom Vater, selbst junge Mädchen sind nicht in Verlegen-
heit, wenn es sich darum handelt, bei gegebenem Anlaß
eine wohlgesetzte Rede von sich zu geben. Lange und
phrasenreiche Reden werden bei Versammlungen, Be-
suchen usw. gehalten, ja man kann sagen, daß das
Redenhalten und -zanhören zu den im Lande der
Samoaner wichtigsten Dingen gehört. Bei dieser Rolle,
die dem Redenhalten zufällt, kann es nicht wunder-
nehmen, daß ein bedeutender Redner einen solchen
Einfluß im Lande gewinnt, wie der Sprecher Lauaki
von der Insel Sawaii, welcher die gegenwärtig viel
besprochenen Unruhen in Samoa hervorgerufen hat.
Trotz aller persönlichen Anmut und Liebens-
würdigkeit der Samoaner sind die paradiesischen
Eilande bis zu dem Zeitpunkte, an welchem die
deutsche Flagge über Samoa gehißt wurde, niemals
zur Ruhe gekommen. Erst wir haben ihnen in
den verflossenen zehn Jahren den Frieden ge-
geben, den sie früher nicht gekannt haben. So fähig
der Samoaner ist, Reden zu halten, ebenso unfähig ist
er, zu organisieren oder sich zu staatlichen Verbänden
zusammenzuschließen. Die ganze samoanische Geschichte,
soweit sie überhaupt rückwärts verfolgt werden kann,
bietet das Bild beständiger Wirrnisse und Kämpfe.
Allerdings sind die Kämpfe, von denen wir bistorisch
genau unterrichtet sind, fast nie sehr blutig gewesen.
Die Vorverhandlungen, die Vorbereitungen zum Kampf,
die Reden vor und nach der Schlacht, scheinen stets
einen breiteren Raum eingenommen und mehr Energie
verbraucht zu haben, als die Kämpfe selbst. Seine
Fähigkeit und Ausbildung im Reden stellt wohl eine
Art Sicherheitsventil für den Samoaner dar, welches
verhindert, daß sein Betätigungsdrang zu häufig einen
gefährlichen Ausweg sich sucht. Doch wenn auch die
Zahl der Toten, denen nach altem Brauch von den
Siegern die Köpse abgeschnitten wurden, meist nicht
groß war, und die Parteien sich oft wochen-, selbst
monatelang verschangt gegenüber lagen, ohne daß es
zu Kämpfen kam, so hat doch niemals danernder Friede
auf den Inseln geherrscht. In jedem einzelnen Dorfe
gab es Streitigkeiten innerhalb der Familien um die
Stellung und den Titel als Familienhaupt, mit welchem
u. a. das Recht der Verfügung über den Landbesitz der
Familie verbunden ist. Jeder Familienzweig hat regel-
mäßig seine eigene Darstellung der Familiengeschichte
und des Familienstammbaumes, nach der seine Rechte
begründet sind. Es gilt nach samoanischer Sitte ge-
radezu als Verbrechen, den Stammbaum anderer Fa-
milien öffentlich zu erörtern, da sich daraus stets
Streitigkeiten ergeben. Ferner gab es Streit um die
höheren Würden und Titel, welche nach Herkommen
von bestimmten Gemeinschaften von Häuptlingen oder
Sprechern verliehen werden konnten, und für welche
der Beliehene seinerseito das hochgeschänte Gut der
Samoaner, „feine Matten“, zu zahlen hatte. Endlich
aber waren stets mehrere Prätendenten auf die vier
höchsten Titel vorhanden, welche von bestimmten Vor-
orten der Hauptdistrikte übertragen wurden und zu-
sammen die höchsten Würden in Samoa, die des Tupu,
des sogenannten Königs, begründeten. Da nirgends
feste, anerkannte Gesetze bestanden, überall nur münd-
liche Uberlieferung vorbanden war, und es vor allem
an einer starken ausführenden Gewalt fehlte, so kann
man sich vorstellen, in welchem Zustand beständigen
Unfriedens sich das Land immer befunden hat. Eine
Partei, die sich in der Minorität befand, mochte es sich
nun um einen kleineren Zwist im Dorfe oder um einen
größeren im Distrikt handeln, verhielt sich vielleicht,
der Gewalt weichend, eine Weile ruhig, um jedoch so-
fort wieder mit ihren Ansprüchen hervorzutreten, so-
bald die Verhältnisse dies zulietßen. Die Anerkennung
eines Majoritätsbeschlusses als für die Minorität
bindend entspricht nicht der samoanischen Denkweise.
Die samoanischen Vororte oder genauer die Ge-
meinschaften der nach altem Herkommen berechtigten
Häuptlinge und Sprecher in bestimmten Dörfern, die
Tumua und Pule, stellten die höchste Macht in Samoa
dar. Doch leider waren die Tumua und Pule niemals
einig. So hörten zank und Streit in Samoa niemals
auf. Um die höchsten Titel konkurrierten regelmäßig
zwei oder selbst mehr Abkömmlinge der beiden be-
deutendsten Häuptliugsfamilien, der Tupna und Ma-
lieton, was durch längere Perioden hindurch zu einem
latenten Kriegszustand mit gelegentlichem Ausbruch von
Kämpfen führte.