Metadata: Europäischer Geschichtskalender. Chronik und geschichtlicher Überblick der denkwürdigen Jahre 1870 und 1871. Zweiter Band. (11a)

264 Oesterreich-Angarn. 
20. Febr. (Oesterreich.) Reichsrath, Abg.-Haus: Hohenwart stellt dem- 
selben das neue Ministerium mit folgender Programmrede vor: 
„Das Ministerium hat bereits bei seinem Amtsantritte die Grundsätze ver- 
öffentlicht, von welchen wir uns bei unserer Thätigkeit leiten lassen werden. 
Die Wiederherstellung des allgemein ersehnten innern Friedens ist das hohe 
Ziel, welches uns unser allergnädigster Kaiser und Herr vorgezeichnet hat, 
und das zu erreichen uns keine Anstrengung, keine Aufopferung zu groß sein 
wird. Liegt ja doch hierin die sicherste Garantie unseres gesammten Ver- 
fassungslebens, die Grundbedingung der allgemeinen Wohlfahrt und ihrer 
stetigen Fortentwicklung. Nicht auf Umwegen, sondern auf dem ge- 
raden Wege der Verfassung, die wir beschworen haben, werden wir 
dieses Ziel anstreben. Wir können und werden den Boden nicht verlassen, den 
uns Se. Maj. selbst in dem an mich gerichteten allergnädigsten Handschreiben 
vom 4. d. M. neuerdings angewiesen hat. Wir werden dagegen gern bereit 
sein, mitzuwirken zur verfassungsmäßigen Aenderung jener Einrichtungen, 
welche die Autonomie der einzelnen Länder in höherem Grade beschränken, als 
es die Interessen der Gesammtheit erfordern. Ja, wir werden hiezu selbst 
in zweifacher Richtung durch Vorlagen an den hohen Reichsrath die Initiative 
ergreifen, und zwar in legislativer und administrativer Beziehung. 
In ersterer glauben wir, daß es, anstatt einer weiteren Beschränkung der dem 
Reichsrath in § 11 seines Grundgesetzes eingeräumten Kompetenz, vielmehr 
angemessen sein dürfte, den Landtagen auch in jenen Angelegenheiten, welche 
dem Reichsrathe vorbehalten sind, eine Gesetzgebungsinitiative einzuräumen, 
welche denselben die Möglichkeit gewährt, die Eigenthümlichkeiten und speziellen 
Bedürfnisse der Länder zur vollsten Geltung zu bringen, dagegen dem Reichs- 
rathe das Recht wahrt, die Vereinbarlichkeit solcher Gesetze mit den Interessen 
der Gesammtheit zu prüfen und darüber zu entscheiden. In administrativer 
Beziehung beabsichtigen wir, dem hohen Reichsrathe Vorlagen zu machen, 
welche eine autonomere Gestaltung des Verwaltungsorganismus, eine mehrere 
Betheiligung der Bevölkerung an demselben bei gleichzeitiger Beseitigung der 
so überaus nachtheiligen Doppelverwaltung der staatlichen Organe einerseits, 
der autonomen Organe andererseits bezwecken. Wir glauben, daß hiedurch 
gleichzeitig den verschiedenen Nationalitäten ein neues Bollwerk gegeben wird, 
das sie vor jeder Vergewaltigung vollkommen sicherstellt. Im Uebrigen gehen 
wir von der Ueberzeugung aus, daß zwar jedes Gesetz abgeändert werden könne, 
daß es jedoch befolgt werden müsse, so lange es besteht. Es wird daher unsere 
erste Sorge sein, dem Gesetze seine volle Autorität, seine nach allen Seiten 
gleichmäßig strenge Handhabung zu sichern. Die freiheitlichen Institutionen 
werden wir im Geiste wahren Fortschrittes auszubilden und zu beleben, die 
geistigen und materiellen Interessen der Gesammtheit wie der einzelnen Theile 
sorgfältigst zu fördern bestrebt sein. Ebenso wird die Regierund den auf 
kirchlichem Gebiete noch schwebenden Fragen die ihnen gebührende vollste Auf- 
merksamkeit zuwenden und bemüht sein, sie einer allseitig gerechten Lösung 
zuzuführen. Wir kennen vollkommen die Schwierigkeiten unserer Aufgabe, sie 
werden uns ein Sporn sein, unsere ganze durch die gleichen Prinzipien ge- 
einigte Kraft für das große Werk einzusetzen; sie werden uns aber die frohe 
Hoffnung nicht rauben, daß wir unter dem mächtigen Schutze unseres aller- 
gnädigsten kaiserlichen Herrn das ersehnte Ziel erreichen werden, wenn es uns 
gelingt, unserer Thätigkeit das Vertrauen und die Mitwirkung des hohen 
Hauses zu erwerben. Auf diese Mitwirkung — ich erlaube es mir schon 
heute auszusprechen — hoffen wir mit aller Zuversicht. Nicht aus persönlichen 
Mitteln schöpfen wir, die wir, mit Ausnahme des Herrn Finanzministers, 
dem hohen Hause bisher fremd waren, diese Zuversicht; wir schöpfen sie aus 
dem eigenen redlichen Bewußtsein, wir schöpfen sie aus dem Patriotismus, 
welcher die Reichsvertretung beseelt, wir schöpfen sie endlich aus der Ueber-
	        
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