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Existenz dieser Werte ist deshalb für die Gegenwart
ohne Bedeutung.
Die Eisenbahnen sind zum Teil im Besitz der
Einzelstaaten, zum Teil in privater Verwaltung.
Bei den staatlichen Linien wirkt der Reichtum an
gut befoldeten Beamten, deren Unerläßlichkeit
einem an europäische Verwaltungsmethoden gewöhnten
Menschen nicht sofort einleuchtet, sowie auch die aus
gewissen Gründen erklärliche Verteuerung bei Ma-
terialeinkäufen auf den Eisenbahnetat ebenso steigernd,
wie die brasilianische Sonnenglut auf das Oueck-
silber des Thermometers. Die Verwaltungen der
Privatbahnen dagegen müssen Summen aufbringen,
die gleiche Unternehmungen in anderen Ländern
nicht kennen. Hohe Transportraten sind dann die
Folge. Die Privatbahnen haben nicht allein die
Verpflichtung, für das bei ihnen investierte, meist
ausländische Kapital hohe Dividenden herauszuwirt-
schaften, weil sonst kein Kapital für Anlagen in
Brasilien zu haben wäre, sie haben auch die recht
beträchtlichen Summen aufszubringen, die nach Landes-
brauch ein besonderes Geheimkonto an Geschäfts-
unkosten ausmachen: zunächst, um überhaupt nur die
Betriebskonzession zu erhalten, und vor allen Dingen
später, um die erworbene Konzession unbehelligt
ausüben zu können.
Von Frachttarifen möchte ich nur erwähnen,
daß z. B. die Great-Western Railways Comp. (im
Staate Pernambuco) für Massentransporte von
Zucker 125 Reis, d. h. etwa 17 Pf. per Kilometer-
Tonne erhebt. In Sco Paulo kostet der Transport
von Kaffee, ebenfalls Massentransport, per Ballen
von 60 kg auf etwa 400 km Entfernung etwa
6 Milreis, d. h. 7,80 M oder 32,3 Pf. per Kilo-
meter-Tonne. Im Vergleich hierzu kostet in Deutsch-
land die Kilometer-Tonne 2,7 bis 6,2 Pf.
Außer den Eisenbahnen kommt die Schiffahrt
für den Verkehr besonders in Frage. Das aus-
gedehnte Gebiet der Ströme und Flüsse sowie die
5000 km lange Küste bieten der Schiffahrt gute
Gelegenheit zur Entwicklung. Sie bildet deshalb
auch für den Waren= wie für den Personenverkehr
in den meisten Staaten den Hauptfaktor.
Unter den brasilianischen Schiffahrtsgesellschaften
steht in erster Reihe der Lloyd Brasileiro mit einer
zahlreichen Flotte. Zum Teil werden Schiffahrts-
linien auch von den Staaten subventioniert oder
unterhalten. Außer diesen sind ausländische Gesell-
schaften, in erster Reihe englische, deutsche, fran-
zösische, tätig. Dem Warenverkehr innerhalb des
Landes dienen außer den Dampsschiffen eine sehr
große Anzahl von Segelschiffen in den verschiedensten
Modellen, bis mehrere 100 Tonnen fassend, außer-
dem aber auch Ruderboote und Canves, die ofst bis
100 Tonnen laden.
Die ausländischen Schiffe dürsfen den Frachten-
verkehr nur zwischen dem Auslande und Brasilien,
nicht aber den Binnenverkehr vermitteln. Der Per-
sonenverkehr ist ihnen auch zwischen den brasilianischen
Landungsplätzen gestattet. Während man auf den
ausländischen Schiffen im allgemeinen mit der Be-
förderung, wie auch mit den Passage= und Fracht-
raten zusrieden ist, wird auf den brasilianischen
Schiffen über beides geklagt. Die Frachtraten und
die Passagepreise sind hoch, die Begriffe über die
Haltung von Fahrzeugen, insbesondere in bezug auf
Sauberkeit, weisen so starke nationale Eigentünmlich-
keiten auf, daß hierin große Meinungsverschieden-
heiten zwischen der einheimischen Mannschaft und den
ausländischen Gästen bestehen. Auch sind die letzteren
von der brasilianischen Küche selten begeistert, am
wenigsten aber auf den Schiffen. Der Zustand, in
dem man auf brasilianischen Schiffen oftmals Deck
und Kabinen, Baderäume und Toiletten, Speisen
und Geschirre antrifft, sticht von demjenigen auf den
englischen oder deutschen Dampfern so energisch ab,
daß man vor der Widerstandsfähigkeit der brasi-
lianischen Sinneswerkzeuge einen ordentlichen Respekt
bekommt.
Auf den weiten Strecken, die nicht von der
Eisenbahn oder Schiffahrt berührt werden, ist der
Verkehr auf Maulesel oder Pferde angewiesen.
Besonders Warentransporte aus dem Innern
werden auf dem Rücken dieser Tiere befördert, da
Wagen nur in den seltensten Fällen benutzt werden
können. In vielen Gegenden halten sich deshalb
sowohl Geschäftshäuser für den Aufkauf der Pro-
dukte, wie auch Pflanzer ganze Herden von Maul-
eseln, Troppas genannt, die sie oft auf wochen-
und monatelange Reisen nach den Eisenbahn= und
Dampfsschiffahrtsstationen senden. Vielfach werden
diese Tiere im Innern gezogen und zum Verkauf
nach den an den großen Verkehrswegen gelegenen
Städten gebracht. Diese Gelegenheiten werden zu-
gleich zum Warentransport benutzt; jedes Tier
wird mit einer Last versehen. Solche Herden
sieht man oft auf den Wegen.
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Seit mit dem Ende des Kaiserreichs die
Sklaverei aufgehoben worden ist, sind die Ar-
beiterverhältnisse in Brasilien auf eine voll-
ständig andere Grundlage gestellt. Die Folgen
dieser Anderungen sind auch heute, nach zwanzig
Jahren, noch nicht überwunden. Während früher
der Neger auf den Plantagen ein billiger Arbeiter
war, ist er heute nur soweit zur Arbeit zu be-
kommen, als ihn die Not, den dürftigsten Lebens-
unterhalt zu decken, dazu zwingt. Sowohl die
Plantagen, wie alle anderen Unternehmungen sind
heute darauf angewiesen, eingewanderte Arbeiter.
besonders solche aus Italien, Portugal und Spanien,
zu beschäftigen. Die hohen Eingangszölle machen
die Lebenshaltung in allen Teilen Brasiliens sehr
teuer; dazu kommt aber noch, daß in vielen Be-
zirken selbst die notwendigsten Nahrungsmittel nicht
am Orte produziert werden, sondern oft die Kosten
weiter Transporte und den Preisausschlag mehr-