Full text: Deutsches Kolonialblatt. XX. Jahrgang, 1909. (20)

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Existenz dieser Werte ist deshalb für die Gegenwart 
ohne Bedeutung. 
Die Eisenbahnen sind zum Teil im Besitz der 
Einzelstaaten, zum Teil in privater Verwaltung. 
Bei den staatlichen Linien wirkt der Reichtum an 
gut befoldeten Beamten, deren Unerläßlichkeit 
einem an europäische Verwaltungsmethoden gewöhnten 
Menschen nicht sofort einleuchtet, sowie auch die aus 
gewissen Gründen erklärliche Verteuerung bei Ma- 
terialeinkäufen auf den Eisenbahnetat ebenso steigernd, 
wie die brasilianische Sonnenglut auf das Oueck- 
silber des Thermometers. Die Verwaltungen der 
Privatbahnen dagegen müssen Summen aufbringen, 
die gleiche Unternehmungen in anderen Ländern 
nicht kennen. Hohe Transportraten sind dann die 
Folge. Die Privatbahnen haben nicht allein die 
Verpflichtung, für das bei ihnen investierte, meist 
ausländische Kapital hohe Dividenden herauszuwirt- 
schaften, weil sonst kein Kapital für Anlagen in 
Brasilien zu haben wäre, sie haben auch die recht 
beträchtlichen Summen aufszubringen, die nach Landes- 
brauch ein besonderes Geheimkonto an Geschäfts- 
unkosten ausmachen: zunächst, um überhaupt nur die 
Betriebskonzession zu erhalten, und vor allen Dingen 
später, um die erworbene Konzession unbehelligt 
ausüben zu können. 
Von Frachttarifen möchte ich nur erwähnen, 
daß z. B. die Great-Western Railways Comp. (im 
Staate Pernambuco) für Massentransporte von 
Zucker 125 Reis, d. h. etwa 17 Pf. per Kilometer- 
Tonne erhebt. In Sco Paulo kostet der Transport 
von Kaffee, ebenfalls Massentransport, per Ballen 
von 60 kg auf etwa 400 km Entfernung etwa 
6 Milreis, d. h. 7,80 M oder 32,3 Pf. per Kilo- 
meter-Tonne. Im Vergleich hierzu kostet in Deutsch- 
land die Kilometer-Tonne 2,7 bis 6,2 Pf. 
Außer den Eisenbahnen kommt die Schiffahrt 
für den Verkehr besonders in Frage. Das aus- 
gedehnte Gebiet der Ströme und Flüsse sowie die 
5000 km lange Küste bieten der Schiffahrt gute 
Gelegenheit zur Entwicklung. Sie bildet deshalb 
auch für den Waren= wie für den Personenverkehr 
in den meisten Staaten den Hauptfaktor. 
Unter den brasilianischen Schiffahrtsgesellschaften 
steht in erster Reihe der Lloyd Brasileiro mit einer 
zahlreichen Flotte. Zum Teil werden Schiffahrts- 
linien auch von den Staaten subventioniert oder 
unterhalten. Außer diesen sind ausländische Gesell- 
schaften, in erster Reihe englische, deutsche, fran- 
zösische, tätig. Dem Warenverkehr innerhalb des 
Landes dienen außer den Dampsschiffen eine sehr 
große Anzahl von Segelschiffen in den verschiedensten 
Modellen, bis mehrere 100 Tonnen fassend, außer- 
dem aber auch Ruderboote und Canves, die ofst bis 
100 Tonnen laden. 
Die ausländischen Schiffe dürsfen den Frachten- 
verkehr nur zwischen dem Auslande und Brasilien, 
nicht aber den Binnenverkehr vermitteln. Der Per- 
sonenverkehr ist ihnen auch zwischen den brasilianischen 
  
Landungsplätzen gestattet. Während man auf den 
ausländischen Schiffen im allgemeinen mit der Be- 
förderung, wie auch mit den Passage= und Fracht- 
raten zusrieden ist, wird auf den brasilianischen 
Schiffen über beides geklagt. Die Frachtraten und 
die Passagepreise sind hoch, die Begriffe über die 
Haltung von Fahrzeugen, insbesondere in bezug auf 
Sauberkeit, weisen so starke nationale Eigentünmlich- 
keiten auf, daß hierin große Meinungsverschieden- 
heiten zwischen der einheimischen Mannschaft und den 
ausländischen Gästen bestehen. Auch sind die letzteren 
von der brasilianischen Küche selten begeistert, am 
wenigsten aber auf den Schiffen. Der Zustand, in 
dem man auf brasilianischen Schiffen oftmals Deck 
und Kabinen, Baderäume und Toiletten, Speisen 
und Geschirre antrifft, sticht von demjenigen auf den 
englischen oder deutschen Dampfern so energisch ab, 
daß man vor der Widerstandsfähigkeit der brasi- 
lianischen Sinneswerkzeuge einen ordentlichen Respekt 
bekommt. 
Auf den weiten Strecken, die nicht von der 
Eisenbahn oder Schiffahrt berührt werden, ist der 
Verkehr auf Maulesel oder Pferde angewiesen. 
Besonders Warentransporte aus dem Innern 
werden auf dem Rücken dieser Tiere befördert, da 
Wagen nur in den seltensten Fällen benutzt werden 
können. In vielen Gegenden halten sich deshalb 
sowohl Geschäftshäuser für den Aufkauf der Pro- 
dukte, wie auch Pflanzer ganze Herden von Maul- 
eseln, Troppas genannt, die sie oft auf wochen- 
und monatelange Reisen nach den Eisenbahn= und 
Dampfsschiffahrtsstationen senden. Vielfach werden 
diese Tiere im Innern gezogen und zum Verkauf 
nach den an den großen Verkehrswegen gelegenen 
Städten gebracht. Diese Gelegenheiten werden zu- 
gleich zum Warentransport benutzt; jedes Tier 
wird mit einer Last versehen. Solche Herden 
sieht man oft auf den Wegen. 
1. * 
* 
Seit mit dem Ende des Kaiserreichs die 
Sklaverei aufgehoben worden ist, sind die Ar- 
beiterverhältnisse in Brasilien auf eine voll- 
ständig andere Grundlage gestellt. Die Folgen 
dieser Anderungen sind auch heute, nach zwanzig 
Jahren, noch nicht überwunden. Während früher 
der Neger auf den Plantagen ein billiger Arbeiter 
war, ist er heute nur soweit zur Arbeit zu be- 
kommen, als ihn die Not, den dürftigsten Lebens- 
unterhalt zu decken, dazu zwingt. Sowohl die 
Plantagen, wie alle anderen Unternehmungen sind 
heute darauf angewiesen, eingewanderte Arbeiter. 
besonders solche aus Italien, Portugal und Spanien, 
zu beschäftigen. Die hohen Eingangszölle machen 
die Lebenshaltung in allen Teilen Brasiliens sehr 
teuer; dazu kommt aber noch, daß in vielen Be- 
zirken selbst die notwendigsten Nahrungsmittel nicht 
am Orte produziert werden, sondern oft die Kosten 
weiter Transporte und den Preisausschlag mehr-
	        
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