Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXI. Jahrgang, 1910. (21)

W 217 20 
Anlage il 
1. In betreff der Auslegung, welche Wissenschaft und Praxis, insbesondere die Recht— 
sprechung des Oberverwaltungsgerichts, dem § 10 A. L. R. Teil II, Tit. 17 gegeben hat, ist 
folgendes hervorzuheben: 
Unter Anstalten sind Anordnungen, Vorkehrungen zu verstehen; sie müssen notwendig („nötig“) 
sein, es soll nicht mehr als notwendig vorgekehrt werden. Der Begriff „Ruhe“ hat keine selb- 
ständige Bedeutung, insbesondere nicht die des Fernhaltens von Lärm, wird vielmehr durch die 
Begriffe „Erhaltung der öffentlichen Sicherheit“ und „SErhaltung der öffentlichen Ordnung" mitgedeckt. 
Unter „öffentlicher Sicherheit“ ist das Fernsein von Gefahren für den Staat sowie für die bürger- 
liche Gesellschaft zu verstehen. „Offentliche Ordnung“ bedeutet etwas Tatsächliches, den Gegensatz 
zu Unordnung, wie auch etwas Rechtliches, die öffentliche Rechtsordnung. Die Polizei kann danach 
zum Schutze des öffentlichen Rechtes, insbesondere des Strafrechtes und des Verwaltungsrechtes, 
gleichviel ob dessen aufrechtzuerhaltende Norm zur Abwendung von Gefahren oder zur Förderung 
des allgemeinen Wohles aufgestellt ist, einschreiten; nicht aber zum Schutze des Privatrechts, es sei 
denn, daß private Rechte durch eine strafbare Handlung bedroht sind oder der Bedrohte die Gefahr 
zu vermeiden oder abzuwenden außerstande ist oder die Polizei durch besondere gesetzliche Vorschrift 
(z. B. Gesindeordnung) zur Tätigkeit berufen ist. „Gefahren“ sind Zustände, welche die Besorgnis 
begründen, daß sie einen Schaden herbeiführen werden. Bloße Nachteile, Störungen oder Be- 
lästigungen sind keine Gefahren im Sinne der Vorschrift. Nur erhebliche Gefahren erfordern ein 
volizeiliches Einschreiten. Sie müssen „bevorstehend“, d. h. nach verständigem Ermessen zu befürchten 
sein, und es reicht weder eine bloß mögliche, in weiter Ferne liegende Gefahr aus, noch ist eine 
unmittelbar bevorstehende Gefahr Voraussetzung. 
23. Sopweit die Polizei zum Schutze des Strafrechts mitberufen ist (s. Nr. 1), ist sie ein 
Hilfsorgan der Bezirksrichter, des Oberrichters und der Staatsanwaltschaft, bezw. der Militärgerichte 
und hat deren Ersuchen zu erledigen (vgl. §§ 2, 3, 6 Nr. 2 des Schutzgebietsgesetzes, § 56 des 
Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit, § 5 der Kaiserlichen Verordnung, betreffend die Rechts- 
verhältnisse in den deutschen Schutzgebieten, vom 9. November 1900, § 153 des Gerichtsverfassungs- 
gesetzes; ferner §§ 153 bis 155, 161 der Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898). 
Im einzelnen ergeben sich die Befugnisse und Obliegenheiten der Polizei auf dem Gebiete der 
Strafrechtspflege der ordentlichen Gerichte, namentlich hinsichtlich der Feststellung des Tatbestandes, 
der Befugnis zu Vernehmungen, Beschlagnahmen und Durchsuchungen, Verhaftungen und vorlänfigen 
Fesmahmen aus der Strafprozeßordnung (vgl. insbesondere §§ 156 ff., § 94, §§ 112 ff.), sowie 
aus den im Schutzgebiet eingeführten, dieselbe ergänzenden Gesetze (z. B. Preßgesetz vom 7. Mai 
1874, Reichs-Gesetzbl. S. 65). 
2b. Die Polizeibehörden sind ferner an der Strafrechtspflege insofern mitbeteiligt, als sie 
Ubertretungen gegen die Strafgesetze und Strafverordnungen im Wege polizeilicher Strafverfügungen 
ahnden, vorbehaltlich des Antrags des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung (für die Schutz- 
gebiete jetzt durch die §§ 23 bis 28 der Kaiserlichen Verordnung geregelt). 
Die polizeilichen Strafverfügungen unterscheiden sich einerseits von den Polizeiverfügungen 
dadurch, daß letztere erst Gebote und Verbote schaffen, die dann mit Zwangsmitteln, einschließlich 
Strafzwanges, durchgesetzt werden, anderseits von den im § 15 des Schutzgebietsgesetzes erwähnten 
„bolizeilichen und sonstigen die Verwaltung betreffenden Vorschriften“ dadurch, daß diese in Er- 
gänzung der bestehenden Gesetze neue Rechtsnormen schaffen, wogegen die polizeilichen Strafverfügungen 
die Nichtbefolgung vorhandener Rechtsnormen ahnden. 
Polizeiverfügungen und „polizgeiliche Vorschriften“ im Sinne des § 15 des Schutzgebiets- 
gesetzes unterscheiden sich ihrerseits dadurch, daß die ersteren konkrete Fälle regeln wollen, diese 
letzteren abstrakte, objektive Rechtsnormen schaffen (weshalb diese Befugnis auch lediglich dem Reichs- 
kanzler und den von ihm durch die Verfügung vom 27. September 1903, Kol. Bl. S. 509) er- 
mächtigten Beamten vorbehalten ist. 
3. Auch abgesehen von der Verfolgung strafbarer Handlungen (Nr. 2) ist die Polizei 
berechtigt, Personen in polizeiliche Verwahrung zu nehmen, sobald deren eigener Schutz oder die 
Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dies dringend erfordert (z. B. wenn ein 
Betrunkener auf der Straße selbst gofährdet erscheint oder andere gefährdet). In solchen Fällen 
muß jedoch spätestens im Laufe des folgenden Tages die Freilassung erfolgen, sofern nicht hinterher 
der Verdacht einer schweren Straftat sich herausstellt, deshalb eine weitere Festhaltung angezeigt 
erscheint und das zur Uberweisung an das Gericht Erforderliche veranlaßt wird.
	        
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