Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXII. Jahrgang, 1911. (22)

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Fabrikanten zu Hause verarbeiteten sie fast nur 
zu Watte und Verbandstoffen. Zum Spinnen war 
ihr Stapel zu kurz und zu rauh. 
Das starke Steigen der amerikanischen Baum- 
wollpreise Ende 1908 lenkte das Interesse in 
höherem Maße anderen Baumwollbezugsquellen 
zu. Auf dem chinesischen Markte waren derzeit 
Schanghai und Hankau die Hauptlieferanten. Die 
dortige Ware ging aber, soweit sie nicht von 
Schanghai-Spinnereien konsumiert wurde, größten- 
teils nach Japan. Ihre Preislage war außerdem 
für den Export im allgemeinen zu hoch, um so 
mehr, als sich die Qualität andauernd verschlech- 
terte. Allein der Wassergehalt stieg auf durch- 
schnittlich 20 bis 25 v. H. 
Demgegenüber hatte sich in Tientsin die Qualität 
allmählich im ganzen gebessert. Die Baumwolle 
wurde von den Bauern besser gepflegt und mit 
Maschinen japanischen Modells besser als früher 
gereinigt. Das sich dorthin wendende Interesse 
begegnete 1909 gerade einer ausnehmend reichen 
und guten Ernte, welche die Hauptvorzüge des 
Tientsiner Produkts, geringen Wassergehalt, weiße 
Farbe und gleichmäßigen Ausfall, besonders her- 
vortreten ließ. Damit war dieser Ware eine gute 
Aufnahme gesichert, nachdem sich besonders die 
Spinnereien zu Hause auch auf die Verarbeitung 
eines kurzstapeligen Produkts eingerichtet hatten. 
Die Ausfuhr nahm einen schnellen Aufschwung, 
wie die nachstehenden Zahlen zeigen: 
1905 1906 1907 1908 
Pikuls 11649 10634 7933 3824 
Taels 189 887 212 680 150 727 68 832 
1909 1910 
Pikuls .--x* 145 627 
Taels. . 489 740 etwa 2 600 000 
Im Jahre 1911 sind in den ersten fünf 
Wochen bereits 50000 Pikuls exportiert worden. 
Bis zum Ende dieser Saison werden aus der 
vorigen Ernte noch mindestens 50 000 Pikuls 
hinzukommen. Der bedeutend größere Anbau der 
kommenden Saison wird voraussichtlich auch grö- 
ßere Quantitäten dem Markte zuführen, so daß 
das Jahr 1911 die Vorjahre noch bedeutend 
überflügeln wird. 
Die auf dem Tientsiner Markte gehandelte 
Baumwolle kommt vornehmlich aus der Gegend 
von Paoting und Cheng ting (Südwest-Chili) bis 
nach der Grenze von Honan hin. Ein weiteres 
Produktionsgebiet ist die Gegend von Techou und 
Lienchen an der Tientsin— Pukow Bahn, nahe der 
Shantung-Chili-Grenze gelegen. Im Vergleiche 
zu der Paotingware ist die dort gezogene Baum- 
wolle besser in der Farbe sowie weicher und seidiger 
anzufassen. Ein bedeutend kleineres Produktions- 
gebiet, das erst in diesem Jahre für den Export 
hervorgetreten ist, ist die Gegend um Tongshan. 
  
Die dortige Baumwolle wird scheinbar in der 
Pflanze sehr gut behandelt, ist von sehr schöner 
weißer Farbe, seidigem „touch“ und Aussehen, 
sowie längerem, aber etwa „mosigem“ Stapel. 
Die Baumwolle wird aus einheimischen Samen 
gezogen. Die in der Techougegend wie überhaupt 
in der Shantungprovinz gemachten Versuche mit 
amerikanischer Saat haben sich nicht bewährt. 
Die amerikanische Pflanze verliert durch Akklima- 
tisierung schon nach wenigen Saisons ihre charak- 
teristischen Eigenschaften, besonders ihren langen 
tapel. 
Sehr förderlich sind dem Export die für die 
Produktionsgebiete günstigen Eisenbahnverbindun- 
gen gewesen. Hervorzuheben ist besonders die 
Tientsin—#Pukow-Bahn, die dem bisherigen Wasser- 
verkehr auf dem Kaiserkanal einen nennenswerten 
Teil des Baumwollentransports bereits entzogen 
hat. Der Wettbewerb von Tsingtau ist für den 
Handel Tientsins noch wenig fühlbar gewesen, 
wenn auch die Bahnverbindung an sich einen 
solchen Wettbewerb nur natürlich erscheinen ließe- 
Tsingtau bleibt aber zunächst noch dadurch be- 
nachteiligt, daß dort keine Pressen existieren und 
deshalb die höheren Frachten nach Schanghai ins 
Gewicht fallen. 
Von der Tientsiner Pröduktion wird ein ver- 
hältnismäßig geringer Teil im Großbetriebe ver- 
arbeitet. Die einzige Fabrik der nördlichen Pro- 
vinzen ist die Kuang yih-Spinnerei in Chang te 
fu (Honan). Sie arbeitet mit einem nominellen 
Kapital von 1 200 000 Taels, wovon 800 000 
Taels durch Ausgabe von Aktien à 100 Taels 
aufgebracht sind. Mit 25000 Spindeln produziert 
sie täglich bei 20 stündiger Arbeitszeit etwa 70 Ballen 
à 320 Kätties. Bei rund 300 Arbeitstagen be- 
läuft sich also die Jahresproduktion auf 21 000 
Ballen. Der Herstellungspreis pro Ballen beträgt 
etwa 68 Taels, während der übliche Verkaufs- 
preis sich auf wenigstens 90 bis 100 Taels stellt. 
Es werden 1200 Arbeiter beschäftigt. Die Ma- 
schinen sind von Brooks und Doxey, Manchester. 
Die Fabrikate finden schlanken Absatz. Die Nach- 
frage wird kaum gedeckt. Zur Erweiterung fehlt 
es an Betriebskapital. Man versucht fremde 
Geldgeber heranzuziehen. Bis jetzt hat die Banque 
de l'Indo Chine verschiedentlich Geld vorgeschossen. 
Die Aussichten des Unternehmens erscheinen günstig. 
Das Hauptabsatzgebiet der Tientsiner Baum- 
wolle ist der europäische Kontinent, an erster Stelle 
Deutschland. Besonders in den Spinnereien 
des Königreichs Sachsen wird sie in größeren 
Mengen verarbeitet. Sonst herrscht auch im 
Rheinland und in Westfalen Nachfrage danach. 
Ferner geht die Baumwolle nach Rußland, Ober- 
italien, Osterreich und Frankreich. Auch England 
konsumiert einen kleinen Teil, verlangt aber einen
	        
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