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Unklaren darüber sein, daß es geradezu eine
Lebensfrage für weite Zweige unserer Industrie,
vor allem für unsere Textilindustrie, und zwar
für Arbeitgeber ebenso wie für Arbeitnehmer, ist,
daß wir unsere Rohmaterialien aus den Kolonien
beziehen und uns mehr und mehr von unkontrollier=
baren ausländischen Spekulationen und Monopol-
bestrebungen unabhängig machen. Immer mehr
dringt die Erkenntnis durch, daß mit den Jahren
ein großer Teil des deutschen Rohstoffbezuges aus
unseren Kolonien gedeckt werden kann und muß.
Ich betrachte es als eine der vornehmsten
Aufgaben der Kolonialverwaltung, auf dem be-
schrittenen Wege energisch weiterzugehen und
Hand in Hand mit den Interessenkreisen der
Heimat und mit den Siedlern und Pflanzern
drüben dem Notstande abzuhelfen, welcher heute
schon einzelne Zweige unserer Industrie bedroht,
andere zu bedrohen anfängt.
Im engen Zusammenhang mit der Erweiterung
der Absatzmärkte in unseren Kolonien und mit
dem Bezug von Rohprodukten steht das groß-
zügige, vorhin bereits von mir erwähnte Bahn-
programm meines Vorgängers, welches weiter
fortgeführt werden soll und muß.
Eine Reihe von Vorschlägen zur Hebung der
tropischen und subtropischen Landwirtschaft, welche
Ihnen im Etat 1911 vorgelegt werden, sollen
im Endziel demselben Zwecke dienen.
Es wird Ihnen noch vor der Budgetkommission
eine umfangreiche Baumwolldenkschrift vorgelegt
werden, durch welche untersucht werden soll, wie
der augenblicklichen Baumwollnot abgeholfen
werden kann.
Die Entwicklung der Schutzgebiete dürfte sich
nicht zum wenigsten widerspiegeln in dem Stande
der Finanzen. Es ist hier schon von verschiedenen
Vorrednern anerkannt worden, daß sich die Finanz-
lage der Schutzgebiete erheblich gebessert hat. Ich
glaube, ohne Übertreibung sagen zu können, daß
unsere Finanzlage auf einer soliden und gesunden
Basis beruht.
Um Ihnen das nachzuweisen, wird es not-
wendig sein, nicht nur auf das letzte Jahr, son-
dern auf die letzten drei bis vier Jahre zurück-
zugehen. Den gegebenen Ausgangspunkt bildet
das Jahr 1908. Bis zum Jahre 1907 sind die
Ausgaben für den Militäretat des südwestafri-
kanischen Schutzebiets noch aus Anleihen und
nicht aus den fortdauernden Einnahmen des
Schutzgebietes bestritten worden. Infolgedessen
kann auch das Jahr 1908 erst als einigermaßen
normal und vergleichsfähig herangezogen werden.
Nach der Veranschlagung des Etats für 1911
haben die eigenen Einnahmen der Schutzgebiete
um 7 200000 .X&x zugenommen, und zwar Südwest-
afrika um 5 Millionen, Ostafrika um 1 Million,
die beiden westafrikanischen Kolonien um je
400 000 , Neuguinea um 100 000 und Samoa
um 230 000 AM. Es handelt sich hier aber nicht
um eine einmalige Zunahme. Eine Vergleichung
zwischen den Jahren 1911 und 1908 ergibt eine
Zunahme in den vier Jahren von 20 Millionen
der eigenen Einnahmen, wovon 13 Millionen,
namentlich allerdings infolge der Diamantenfunde,
auf Deutsch-Südwestafrika, 3 Millionen auf Ost-
afrika, 1½ Millionen auf Kamerun fallen, wäh-
rend die übrigen sich auf die kleineren Schutz-
gebiete verteilen.
Naturgemäß sind mit der Zunahme der Ein-
nahmen und mit der ganzen Entwicklung unserer
Kolonien auch die fortdauernden Ausgaben ge-
stiegen. Trotzdem ist es möglich gewesen, in die
für die Kolonialanleihen bestimmten Ausgleichfonds
die Summe von 8 700 000 ( hineinzulegen, —
allerdings für die großen Ausgaben, welche hieraus
zu bestreiten sind, eine nicht allzu große Summe.
Es ist schon von verschiedenen der Herren
Vorredner hervorgehoben, daß die Belastung des
Reichs durch die Schutzgebiete in den letzten Jahren
erheblich zurückgegangen ist. Nach dem Etat für
1911 werden die Reichszuschüsse um 3200 000“
verringert. Es hat aber auch eine weitere Ent-
lastung des Reichs dadurch stattgefunden, daß
das Schutzgebiet Kamerun den Rest des Vor-
schusses, welchen das Reich seinerzeit gewährt
hatte, jetzt vollkommen zurückzahlen wird in Höhe
von 1 150 000 —, also 450 000 &¾ mehr als
im Vorjahre. Außerdem verzinst das südwest-
afrikanische Schutzgebiet mit dem 1. April 1911
zum erstenmal das Eisenbahndarlehn, welches ihm
seinerzeit für die Südbahn von dem Deutschen
Reich gegeben war, was eine weitere Entlastung
des Reichs von 1,4 Millionen Mark bedentet,
was allerdings nicht in dem Etat der Schutz-
gebiete, sondern in dem der Reichsschuld erscheint,
so daß im ganzen die Belastung des Reichs unter
den meiner Verwaltung unterstehenden Kolonien
um 5 Millionen zurückgegangen ist. Hierbei muß
ich allerdings erwähnen, daß dies nur dadurch
möglich gewesen ist, daß im Jahre 1911 eine
Ersparnis aus dem Militäretat des deutsch-
südwestafrikanischen Schutzgebiets von 1908 hier
zur Anrechnung gekommen ist. Ich halte es für
meine Pflicht, hierauf ausdrücklich hinzuweisen,
da es zweifelhaft ist, ob es möglich sein wird,
im nächsten Jahre ein gleich günstiges Ergebnis
zu erzielen.
Im südwestafrikanischen Schutzgebiet ist es
namentlich infolge der Diamanteinnahmen des
Fiskus möglich gewesen, die Ansgaben des Zivil-
etats vollkommen aus den fortdauernden Ein-
nahmen des Schutzgebiets zu decken und sogar
noch zu den werbenden Anlagen des Schutzgebiets