Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXIII. Jahrgang, 1912. (23)

W 438 2e. 
see zu sein. Wenn wir sicher sind, daß etwa neu 
sich bildende Schlafkrankheitsherde uns nicht lange 
verborgen bleiben, brauchen wir die Entstehung 
neuer Herde nicht allzusehr zu fürchten. Unsere 
bisherigen Erfahrungen lehren, daß die Tilgung 
eines erst kurze Zeit bestehenden Schlafkrankheits- 
herdes sicher und ohne allzu große Aufwendungen 
möglich ist. Die ständige Beaussichtigung der 
Bevölkerung in der Küstenzone des Viktoriasees 
kann aber mit anderen hygienischen Aufgaben 
(Pestschutzmaßnahmen, Tätigkeit der Physikats- 
ärzte) verbunden werden. 
Soweit ich aus eigener Ansicht urteilen kann, 
habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Pal- 
palisherde im deutschen Gebiet des Viktoriasees 
örtlich ziemlich beschränkt sind und in der Regel 
aus einer nicht übermäßig großen Zahl von 
Exemplaren bestehen. Oft finden sich an aus- 
gedehnten Uferstrecken, wo man sie nach den 
örtlichen Verhältnissen vermuten konnte, keine 
Fliegen. Es mag dies an dem Mangel an ge- 
eigneten Blutlieferanten liegen. Vielleicht findet 
sich die Fliege auch zu einer anderen Jahreszeit 
zahlreicher vor. Zur Zeit meiner Anwesenheit 
haben wir an verschiedenen Orten, wo früher 
Fliegen festgestellt worden sind, selbst bei günstiger 
Witterung vergeblich nach Fliegen gesucht. 
Von Bukoba aus besuchte ich die zwei Schlaf- 
krankenlager Kischanji und Kigarama. Das erstere 
in der Landschaft Bugabu gelegene war bereits 
in Auflösung begriffen, die noch vorhandenen 
21 Kranken wurden nach dem Schlafkrankenlager 
Kigarama gebracht, die Gebäude waren von dem 
Sultan von Bugabu angekauft. In Kigarama 
(Stabsarzt Dr. Kudicke) waren ohne den Zugang 
aus Kischanji 95 Kranke untergebracht; sie wohnten 
größtenteils mit ihren Angehörigen, die sie pflegten, 
zusammen in Hütten, welche in ausgedehnten 
Bananenpflanzungen stehen, so wie die Kranken 
es in ihrer Heimat gewohnt sind. Die Bananen, 
welche von den Leichtkranken und den im Lager 
befindlichen Angehörigen Kranker beackert werden, 
bilden zugleich einen großen Teil ihres Lebens- 
unterhalts. Dieser den Eingeborenen zusagenden 
Unterbringung ist es hauptsächlich zu verdanken, daß 
die Kranken wenig Neigung zeigen, sich der Lager- 
behandlung zu entziehen. Unter den Kranken in 
Kigarama finden sich viele Schwerkranke, die 
kaum noch Aussicht auf Heilung haben; jedoch 
kann man bei dem chronischen Verlauf der Krank- 
heit auch nicht mit einer raschen Abnahme der 
Zahl rechnen. Da Atoxyl in diesem Stadium 
der Krankheit gewöhnlich versagt, versucht Stabs- 
arzt Dr. Kudicke mit anderen Heilmitteln, wie 
Antimon, Arsenophenylglycin und Salvarsan, 
Besserung zu erzielen. Wie langsam der Verlauf 
ist, zeigt der Umstand, daß in Kigarama noch 
  
Kranke sind, welche schon vor fünf Jahren in dem 
Kochschen Krankenlager auf den Sese-Inseln in Be- 
handlung waren. Außer den Wohngebäuden für 
den Arzt, Sanitätsunteroffizier und die Schwester 
und dem Laboratoriumsgebäude ist im Lager 
noch ein festes Haus zur Isolierung tobsüchtiger 
Schlafkranker. Zu den im Lager ausgenommenen 
Kranken kommen noch etwa 200 ambulant be- 
handelte hinzu, unter diesen findet sich eine große 
Anzahl solcher, welche schon seit längerer Zeit 
keine Krankheitserscheinungen mehr haben und 
deren Heilung daher wahrscheinlich ist. 
Stabsarzt Dr. Kudicke hält auch eine von 
Eingeborenen der Umgegend gut besuchte Sprech- 
stunde ab; die stark verbreitete Syphilis kommt 
dabei sehr häufig zur Behandlung. 
Die in den Schlafkrankenlagern Kischanji und 
Kigarama behandelten Kranken haben sich nicht 
im deutschen Teil des Victoriasees, sondern in 
Uganda angesteckt, wo sie früher Arbeit gesucht 
hatten. In ihrer Heimat, den Landschaften 
Kisiba und Bugabu, kommt die Schlafkrankheits- 
fliege nicht vor. Da die Ugandagängerei aufsge- 
hört hat und das Suchen nach weiteren Kranken 
in diesen Landschaften in letzter Zeit ergebnislos 
war, sind weitere Zugänge an Kranken nicht 
mehr zu erwarten. · 
Was nun die Beurteilung der Gesamtlage 
der Schlafkrankheitsbekämpfung am deut— 
schen Teil des Victoriasees betrifft, so kann 
man schon jetzt sagen, daß der Kampf siegreich 
gewesen ist. Eine Ansteckung mit Schlafkrankheit 
ist zur Zeit im ganzen deutschen Teil des Sees 
kaum mehr möglich, weil in den Teilen, in 
welchen noch Schlafkranke sind, die Glossina 
Dalpalis fehlt oder ausgetilgt ist. In den weiten 
Gebieten, in welchen die Glossina palpalis aber 
noch vorhanden ist, fehlen schlafkranke Menschen, 
welche den Krankheitsstoff für weitere Ansteckung 
liefern könnten. Freilich müssen wir dafür Sorge 
tragen, daß dieser Zustand sich nicht wieder ver- 
schlechtert. Da wo die Glossina palpalis ist, 
besteht auch immer die Gefahr, daß Menschen 
von ihr gestochen werden und wenn dann noch 
ein Schlafkranker in diese Gegend kommt, sind 
alle Bedingungen für die Bildung eines neuen 
Krankheitsherdes vorhanden. Den sichersten Schutz 
gegen diese Gefahr würde die Ausrottung der 
Glossina palpalis im ganzen deutschen Gebiet 
des Victoriasees geben. JIch halte dieses Ziel 
im Laufe langer Zeit für erreichbar, jedoch wären 
die dafür erforderlichen Aufwendungen so groß, 
daß in absehbarer Zeit nicht daran zu denken ist. 
Es wird aber zweckmäßig sein, daß wir dieses 
Ziel vor Augen behalten, denn erst wenn die 
Glossina palpalis verschwunden ist, können ohne 
Gesahr alle die mit der weiteren Entwickelung
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.