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see zu sein. Wenn wir sicher sind, daß etwa neu
sich bildende Schlafkrankheitsherde uns nicht lange
verborgen bleiben, brauchen wir die Entstehung
neuer Herde nicht allzusehr zu fürchten. Unsere
bisherigen Erfahrungen lehren, daß die Tilgung
eines erst kurze Zeit bestehenden Schlafkrankheits-
herdes sicher und ohne allzu große Aufwendungen
möglich ist. Die ständige Beaussichtigung der
Bevölkerung in der Küstenzone des Viktoriasees
kann aber mit anderen hygienischen Aufgaben
(Pestschutzmaßnahmen, Tätigkeit der Physikats-
ärzte) verbunden werden.
Soweit ich aus eigener Ansicht urteilen kann,
habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Pal-
palisherde im deutschen Gebiet des Viktoriasees
örtlich ziemlich beschränkt sind und in der Regel
aus einer nicht übermäßig großen Zahl von
Exemplaren bestehen. Oft finden sich an aus-
gedehnten Uferstrecken, wo man sie nach den
örtlichen Verhältnissen vermuten konnte, keine
Fliegen. Es mag dies an dem Mangel an ge-
eigneten Blutlieferanten liegen. Vielleicht findet
sich die Fliege auch zu einer anderen Jahreszeit
zahlreicher vor. Zur Zeit meiner Anwesenheit
haben wir an verschiedenen Orten, wo früher
Fliegen festgestellt worden sind, selbst bei günstiger
Witterung vergeblich nach Fliegen gesucht.
Von Bukoba aus besuchte ich die zwei Schlaf-
krankenlager Kischanji und Kigarama. Das erstere
in der Landschaft Bugabu gelegene war bereits
in Auflösung begriffen, die noch vorhandenen
21 Kranken wurden nach dem Schlafkrankenlager
Kigarama gebracht, die Gebäude waren von dem
Sultan von Bugabu angekauft. In Kigarama
(Stabsarzt Dr. Kudicke) waren ohne den Zugang
aus Kischanji 95 Kranke untergebracht; sie wohnten
größtenteils mit ihren Angehörigen, die sie pflegten,
zusammen in Hütten, welche in ausgedehnten
Bananenpflanzungen stehen, so wie die Kranken
es in ihrer Heimat gewohnt sind. Die Bananen,
welche von den Leichtkranken und den im Lager
befindlichen Angehörigen Kranker beackert werden,
bilden zugleich einen großen Teil ihres Lebens-
unterhalts. Dieser den Eingeborenen zusagenden
Unterbringung ist es hauptsächlich zu verdanken, daß
die Kranken wenig Neigung zeigen, sich der Lager-
behandlung zu entziehen. Unter den Kranken in
Kigarama finden sich viele Schwerkranke, die
kaum noch Aussicht auf Heilung haben; jedoch
kann man bei dem chronischen Verlauf der Krank-
heit auch nicht mit einer raschen Abnahme der
Zahl rechnen. Da Atoxyl in diesem Stadium
der Krankheit gewöhnlich versagt, versucht Stabs-
arzt Dr. Kudicke mit anderen Heilmitteln, wie
Antimon, Arsenophenylglycin und Salvarsan,
Besserung zu erzielen. Wie langsam der Verlauf
ist, zeigt der Umstand, daß in Kigarama noch
Kranke sind, welche schon vor fünf Jahren in dem
Kochschen Krankenlager auf den Sese-Inseln in Be-
handlung waren. Außer den Wohngebäuden für
den Arzt, Sanitätsunteroffizier und die Schwester
und dem Laboratoriumsgebäude ist im Lager
noch ein festes Haus zur Isolierung tobsüchtiger
Schlafkranker. Zu den im Lager ausgenommenen
Kranken kommen noch etwa 200 ambulant be-
handelte hinzu, unter diesen findet sich eine große
Anzahl solcher, welche schon seit längerer Zeit
keine Krankheitserscheinungen mehr haben und
deren Heilung daher wahrscheinlich ist.
Stabsarzt Dr. Kudicke hält auch eine von
Eingeborenen der Umgegend gut besuchte Sprech-
stunde ab; die stark verbreitete Syphilis kommt
dabei sehr häufig zur Behandlung.
Die in den Schlafkrankenlagern Kischanji und
Kigarama behandelten Kranken haben sich nicht
im deutschen Teil des Victoriasees, sondern in
Uganda angesteckt, wo sie früher Arbeit gesucht
hatten. In ihrer Heimat, den Landschaften
Kisiba und Bugabu, kommt die Schlafkrankheits-
fliege nicht vor. Da die Ugandagängerei aufsge-
hört hat und das Suchen nach weiteren Kranken
in diesen Landschaften in letzter Zeit ergebnislos
war, sind weitere Zugänge an Kranken nicht
mehr zu erwarten. ·
Was nun die Beurteilung der Gesamtlage
der Schlafkrankheitsbekämpfung am deut—
schen Teil des Victoriasees betrifft, so kann
man schon jetzt sagen, daß der Kampf siegreich
gewesen ist. Eine Ansteckung mit Schlafkrankheit
ist zur Zeit im ganzen deutschen Teil des Sees
kaum mehr möglich, weil in den Teilen, in
welchen noch Schlafkranke sind, die Glossina
Dalpalis fehlt oder ausgetilgt ist. In den weiten
Gebieten, in welchen die Glossina palpalis aber
noch vorhanden ist, fehlen schlafkranke Menschen,
welche den Krankheitsstoff für weitere Ansteckung
liefern könnten. Freilich müssen wir dafür Sorge
tragen, daß dieser Zustand sich nicht wieder ver-
schlechtert. Da wo die Glossina palpalis ist,
besteht auch immer die Gefahr, daß Menschen
von ihr gestochen werden und wenn dann noch
ein Schlafkranker in diese Gegend kommt, sind
alle Bedingungen für die Bildung eines neuen
Krankheitsherdes vorhanden. Den sichersten Schutz
gegen diese Gefahr würde die Ausrottung der
Glossina palpalis im ganzen deutschen Gebiet
des Victoriasees geben. JIch halte dieses Ziel
im Laufe langer Zeit für erreichbar, jedoch wären
die dafür erforderlichen Aufwendungen so groß,
daß in absehbarer Zeit nicht daran zu denken ist.
Es wird aber zweckmäßig sein, daß wir dieses
Ziel vor Augen behalten, denn erst wenn die
Glossina palpalis verschwunden ist, können ohne
Gesahr alle die mit der weiteren Entwickelung