Full text: Gedanken und Erinnerungen. Erster Band. (1)

Briefwechsel mit Ludwig von Baiern. 359 
lieber Fürst, die herzlichsten Grüße sende, verbleibe ich mit Ihnen 
bekannten Gesinnungen jederzeit 
Berg, den 18. Juni 1876 
Ihr 
aufrichtiger Freund 
Ludwig. 
Kissingen, 5. Juli 1876. 
... Leider läßt mir die Politik nicht ganz die Ruhe, deren 
man im Bade bedarf: es ist dabei mehr die allgemeine Unruhe 
und Ungeduld als eine wirkliche Gefährdung des Friedens, für 
Deutschland wenigstens, wodurch die unfruchtbaren Arbeiten der 
Diplomaten veranlaßt werden. Unfruchtbar sind sie nothwendig, 
so lange der Kampf innerhalb der türkischen Grenzen zu keiner Ent- 
scheidung gediehen sein wird. Wie die letztre auch ausfallen möge, 
so wird die Verständigung zwischen Rußland und England bei 
gegenseitiger Aufrichtigkeit immer möglich sein, da — und so 
lange — Rußland nicht nach dem Besitze von Constantinopel strebt. 
Sehr viel schwieriger wird auf die Dauer die Vermittlung zwischen 
den östreichisch-ungarischen und den russischen Interessen sein; bis- 
her aber sind beide Kaiserhöfe noch einig, und ich bin überzeugt, 
Eurer Majestät Allerhöchste Billigung zu finden, wenn ich die Er- 
haltung dieser Einigkeit als eine Hauptaufgabe deutscher Diplomatie 
ansehe. Es würde eine große Verlegenheit für Deutschland sein, 
zwischen diesen beiden so eng befreundeten Nachbarn optiren zu 
sollen; denn ich zweifle nicht daran, im Sinne Eurer Majestät und 
aller deutscher Fürsten zu handeln, wenn ich in unfrer Politik den 
Grundsatz vertrete, daß Deutschland nur zur Wahrung zweifelloser 
deutscher Interessen sich an einem Kriege freiwillig betheiligen sollte. 
Die türkische Frage, so lange sie sich innerhalb der türkischen Grenzen 
entwickelt, berührt meines unterthänigsten Dafürhaltens keine kriegs- 
würdigen deutschen Interessen; auch ein Kampf zwischen Rußland 
und einer der Westmächte oder beiden kann sich entwickeln, ohne
	        
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