Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVII. Jahrgang, 1916. (27)

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EG“ Kichtamtlicher Teis#rrrn 
Kus den Krchiven des belgischen Kolonialministeriums. 
Zweite Veröffentlichung.") 
Der FSall Stokes 1895—1896. 
Im Sommer 1895 erregte die Kunde, daß der 
in ganz Ostafrika bekannte englische, aber in 
Deutsch-Ostafrika ansässige Händler Heury Stokes 
von kongolesischen Offizieren in Manjema ermordet 
worden sei, allgemeines Aufsehen, besonders in 
England und Deutschland. Stokes war ein pro- 
testantischer Irländer, der s. Z. für die prak- 
tischen Zwecke der Church Mission, nicht als 
eigentlicher Missionar, nach Ujui in Ostafrika ge- 
kommen war. Hier hatte er sich bald in Güte 
von der Mission getreunt und war durch seine 
Landes= und Sprachkenntnisse, namentlich nach- 
dem er eine Tochter eines eingeborenen Häupt- 
lings geheiratet hatte, einer der bekanntesten und 
einflußreichsten weißen Händler geworden, der 
auch infolge seiner Zuverlässigkeit gute Be- 
ziehungen zum deutschen Gouvernement unter- 
hielt, dem er durch die Organisation des Träger- 
wesens wesentliche Dienste leistete. Dr. Stuhl- 
mann, Langheld und andere alte Ostafrikaner 
stellten ihm das beste Zeugnis aus. Er war nach 
deren Ansicht ein erfahrener, mehr vorsichtiger 
als tollkühner Händler, der lieber Tribut an 
feindliche Stämme zahlte, als daß er sich mit 
Waffengewalt den Weg durch Afrika bahnte. Im 
Jahre 1894 war er an der Spitze einer großen 
Handelskarawanc, der zu ihrem Schutze von dem 
Gouvernement eine Anzahl von Mausergewehren 
nebst Patronen leihweise mitgegeben war, nach 
dem Ituri-Lindigebiet marschiert, um dort alte 
aus dem Jahre 1892 stammende Schulden bei 
den arabischen Händlern einzuziehen. Am Ituri 
hörte er von der Angwesenheit kongolesischer 
Truppen am Lindi. Er ließ seine Karawanc in 
Kwa Mpini am Ituri zurück und machte sich, nur 
von einer kleinen Anzahl von bewaffneten Trä- 
gern begleitet, auf den Weg, um eine Zusammen- 
kunft mit dem belgischen Offizier herbeizuführen, 
und um durch dessen Vermittelung die Bezahlung 
der ihm von den arabischen Händlern geschuldeten 
Beträge zu erlangen. Unterwegs wurde er von 
dem ihm entgegengesandten Leutnant Henry über- 
rascht und als Gefangener in das Lager des 
Kommandant Lothaire am Lindi gebracht. Hier 
wurde er vor ein ganz unvorschriftsmäßig zu- 
*) Agl. 
  
„D. Kol. Bl.“ 1916, Nr. 6/7, S. 59 ff. 
sammengesetztes, nur aus zwei Weißen, dem Kom- 
mandanten Lothaire und dem bloß als Dol- 
metscher fungierenden Arzt Dr. Michaux, be- 
stehendes Kriegsgericht gestellt und nach ganz 
kurzen Verhandlungen, über die nicht einmal 
ein Protokoll aufgenommen wurde, am 14. Ja- 
nuar 1895 von Lothaire zum Tode durch 
Erhängen verurteilt. Er war angeklagt, den 
arabischen Banden des Kilonga-Longa, Sat- 
ben Abedi und Kibonghe, die sich mit dem 
Kongostaat im Kriegszustand befanden, von 
sich aus oder durch seine Leute zu wieder- 
holten Malen Waffen und Munition verkauft und 
dadurch den Widerstand der Araber gegen den 
Kongostaat verstärkt zu haben. Ferner wurde 
ihm vorgeworfen, die Absicht gehabt zu haben, 
dem Kibonghe zur Flucht nach Zanzibar zu ver- 
helfen. Gegen die ausdrücklichen Bestimmungen 
des kongolesischen Gesetzes, die jedem verurteilten 
weißen Nichtmilitär die Einlegung der Berufung 
bei dem Appellgericht in Boma gestatten, ließ 
Lothaire Stokes am frühen Morgen des andern 
Tages in aller Stille hängen und dann alsbald 
begraben. Die große Stokessche Karawane wurde 
in alle Winde zerstreut, die Waren und Elfenbein- 
vorräte beschlagnahmt, ein Teil der Leute, soweit 
er nicht entfliehen konnte, gefangen und zu füni- 
monatlicher Zwangsarbeit verurteilt. Während 
dieser Zeit starben von etwa 100 auf diese Weise 
gefangenen 70 Mann aus Nahrungsmangel oder 
infolge von Mißhandlungen. Das war in großen 
Zügen der Tatbestand. 
Die sehr energischen Schritte, die der deutsche 
Gesandte in Brüssel im Verein mit dem englischen 
von Anfang August 1895 an im Auftrag ihrer 
Regierungen unternahm, um eine genaue Unter- 
suchung des Falles und eine scharfe Verurteilung 
des Kommandanten Lothaire wegen der von ihm 
begangenen schweren Gesetzesverletzungen herbei- 
zuführen, machten bei der Kongoregierung, die 
die Geschehnisse seit geraumer Zeit gekannt hatte, 
aber sich wohl gehütet hatte, etwas darüber ver- 
lauten zu lassen, wie die umfangreichen dortigen
	        
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