Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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deutschen Mißregierung zu erretten. Aber — da 
wir sie einmal errettet haben — sollen wir 
sie zurückgeben? Das ist eine ganz andere 
Frage, die einer sorgfältigen Erwägung bedarf.“ 
„. . Wenn wir in irgendeinem Grade erfolg- 
reich sind, dann, gestehe ich, würde ich mit Schau- 
dern den Gedanken betrachten, Eingeborene zurück- 
zuerstatten, die von einer derartigen Regierung be- 
freit worden waren.“ 
Meine Herren, ich bitte nun neben Lord Ro- 
bert Cecils Worte das politische Glaubensbe- 
kenntnis eines anderen Engländers stellen zu 
dürfen: 
„Jeder Engländer kommt mit einem wunder- 
baren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der 
Erde macht. Wenn der Engländer etwas will, ge- 
steht er sich nie ein, daß er es will. Er wartet ge- 
duldig, bis in ihm — Gott weiß wie — die tiefe 
Übergeugung erwacht, daß es seine moralische und 
religiöse Pflicht sei, diejenigen zu unterwerfen, die 
das haben, was er will. Er ist nie in Verlegenheit 
um eine wirksame moralische Pose. Als großer 
Vorkämpfer der Freiheit und der nationalen Unab- 
hängigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz 
von ihr und nennt das „Kolonisation“. Wenn er 
einen neuen Markt für seine schlechten Manchester- 
waren braucht, schickt er Missionare aus, die den 
Wilden das Evangelium verkünden müssen. Die 
Wilden töten den Missionar; nun eilt er zu den 
Waffen, zur Verteidigung des Christentums, kämpft 
und siegt für seinen Glauben und nimmt als gött- 
liche Belohnung den Markt in Besitz. Er führt 
Krieg aus patriotischem Grundsatz, er macht freie 
Völker zu Sklaven aus imperialistischem Grundsatz. 
Seine Losung ist dabei immer nur seine „Pflicht“. 
Und er vergißt nie, daß die Nation verloren ist, 
die ihre Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu 
finden ist.“ 
Das sagt freilich kein wirklicher englischer Po- 
litiker, sondern das sagt ein Held aus einem 
Stück von Bernhard Shaw! Bernhard Shaw 
bewußt, Lord Robert Cecil unfreiwillig — ver- 
raten beide das Leitmotiv der englischen Politik, 
den primitiven Raubinstinkt vor der Welt und 
vor dem Gewissen des eigenen Volkes nicht nur 
zu rechtfertigen, sondern auch zu pflichtfertigen. 
Ich leugne nicht, es hat in der Geschichte 
Augenblicke gegeben, und ich kann mir wieder 
solche denken, wo Eroberer das Recht haben, sich 
als Befreier unterdrückter Völker auszugeben und 
wo ehrliche und starke philanthropische Kräfte 
hinter diesem Anspruch stehen. Aber bei der Er— 
  
oberung der afrikanischen deutschen Kolonien ist 
die Befreiergeste eine Heuchelei, die sich nicht 
einmal die Mühe nimmt, anständig verschleiert 
aufzutreten. Es wäre unserseits pharisäisch und 
undeutsch, wollten wir leugnen, daß wir — wie 
jedes Volk in den Anfängen seiner Kolonial= 
politik — Fehler gemacht haben. Auch wir haben 
Mißerfolge gehabt, haben auf dem schwierigen 
Gebiet der Behandlung der Eingeborenen geirrt. 
Aber unsere Sündenliste ist bei weitem nicht so 
lang und so schwarz wie die englische. Und jeder 
koloniale Sachverständige weiß, daß mit dem Amts- 
antritt des Staatssekretärs Dernburg die deutsche 
Kolonialpolitik den ehrlichen Weg der Reform ge- 
gangen ist. Wie hätte sich Ostafrika drei Jahre 
lang verteidigen können, wenn die Neger nicht 
treu zu uns gehalten hätten. Sie waren treu, 
weil wir sie gerecht und human behandelt haben. 
Nur da, wo der Einfluß einer auf mißverstan- 
dener Humanität aufgebauten Eingeborenenpolitik 
wie in Britisch-Westafrika sich geltend gemacht 
und auf unsere Neger ansteckend gewirkt hat, an 
der Küste Kameruns, sind Verrätereien vorge- 
kommen. 
Woher hat Lord Robert Cecil seine Informa- 
tionen über die deutsche Kolonialpolitik? Hat er 
sich bei kolonialen englischen Sachverständigen er- 
kundigt, oder bezieht er seine Informationen aus- 
schließlich von dem Greuelbureau, das ihm auch 
das Märchen von der deutschen Leichenverwertungs- 
anstalt zur Verfügung gestellt hat? Nach diesem 
Glanzstück sollte er eigentlich etwas skeptisch gegen 
diese Informationsquelle sein. Hat aber Lord 
Cecil ehrliche englische Kenner kolonialer Ver- 
hältnisse gefragt, so sagt er mit Bewußtsein die 
Unwahrheit. 
Ich habe oft mit Gouverneuren der afrika- 
nischen Kolonien, auch der englischen, vor dem 
Kriege das Thema der Eingeborenenbehandlung 
besprochen. Ich weiß, wie sie über die deutsche 
Eingeborenenpolitik denken, ich will die Herren 
nicht nennen, denn die deutsche Anerkennung 
könnte sie in den Verdacht des Hochverrats 
bringen, wohin das deutsche Blut schon manchen 
englischen Patrioten gebracht hat. Dieses eine 
aber will ich sagen: Es herrschte unter uns volle 
UÜbereinstimmung, daß die Voraussetzung für eine
	        
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