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deutschen Mißregierung zu erretten. Aber — da
wir sie einmal errettet haben — sollen wir
sie zurückgeben? Das ist eine ganz andere
Frage, die einer sorgfältigen Erwägung bedarf.“
„. . Wenn wir in irgendeinem Grade erfolg-
reich sind, dann, gestehe ich, würde ich mit Schau-
dern den Gedanken betrachten, Eingeborene zurück-
zuerstatten, die von einer derartigen Regierung be-
freit worden waren.“
Meine Herren, ich bitte nun neben Lord Ro-
bert Cecils Worte das politische Glaubensbe-
kenntnis eines anderen Engländers stellen zu
dürfen:
„Jeder Engländer kommt mit einem wunder-
baren Talisman zur Welt, der ihn zum Herrn der
Erde macht. Wenn der Engländer etwas will, ge-
steht er sich nie ein, daß er es will. Er wartet ge-
duldig, bis in ihm — Gott weiß wie — die tiefe
Übergeugung erwacht, daß es seine moralische und
religiöse Pflicht sei, diejenigen zu unterwerfen, die
das haben, was er will. Er ist nie in Verlegenheit
um eine wirksame moralische Pose. Als großer
Vorkämpfer der Freiheit und der nationalen Unab-
hängigkeit erobert er die halbe Welt, ergreift Besitz
von ihr und nennt das „Kolonisation“. Wenn er
einen neuen Markt für seine schlechten Manchester-
waren braucht, schickt er Missionare aus, die den
Wilden das Evangelium verkünden müssen. Die
Wilden töten den Missionar; nun eilt er zu den
Waffen, zur Verteidigung des Christentums, kämpft
und siegt für seinen Glauben und nimmt als gött-
liche Belohnung den Markt in Besitz. Er führt
Krieg aus patriotischem Grundsatz, er macht freie
Völker zu Sklaven aus imperialistischem Grundsatz.
Seine Losung ist dabei immer nur seine „Pflicht“.
Und er vergißt nie, daß die Nation verloren ist,
die ihre Pflicht dort sucht, wo nicht ihr Vorteil zu
finden ist.“
Das sagt freilich kein wirklicher englischer Po-
litiker, sondern das sagt ein Held aus einem
Stück von Bernhard Shaw! Bernhard Shaw
bewußt, Lord Robert Cecil unfreiwillig — ver-
raten beide das Leitmotiv der englischen Politik,
den primitiven Raubinstinkt vor der Welt und
vor dem Gewissen des eigenen Volkes nicht nur
zu rechtfertigen, sondern auch zu pflichtfertigen.
Ich leugne nicht, es hat in der Geschichte
Augenblicke gegeben, und ich kann mir wieder
solche denken, wo Eroberer das Recht haben, sich
als Befreier unterdrückter Völker auszugeben und
wo ehrliche und starke philanthropische Kräfte
hinter diesem Anspruch stehen. Aber bei der Er—
oberung der afrikanischen deutschen Kolonien ist
die Befreiergeste eine Heuchelei, die sich nicht
einmal die Mühe nimmt, anständig verschleiert
aufzutreten. Es wäre unserseits pharisäisch und
undeutsch, wollten wir leugnen, daß wir — wie
jedes Volk in den Anfängen seiner Kolonial=
politik — Fehler gemacht haben. Auch wir haben
Mißerfolge gehabt, haben auf dem schwierigen
Gebiet der Behandlung der Eingeborenen geirrt.
Aber unsere Sündenliste ist bei weitem nicht so
lang und so schwarz wie die englische. Und jeder
koloniale Sachverständige weiß, daß mit dem Amts-
antritt des Staatssekretärs Dernburg die deutsche
Kolonialpolitik den ehrlichen Weg der Reform ge-
gangen ist. Wie hätte sich Ostafrika drei Jahre
lang verteidigen können, wenn die Neger nicht
treu zu uns gehalten hätten. Sie waren treu,
weil wir sie gerecht und human behandelt haben.
Nur da, wo der Einfluß einer auf mißverstan-
dener Humanität aufgebauten Eingeborenenpolitik
wie in Britisch-Westafrika sich geltend gemacht
und auf unsere Neger ansteckend gewirkt hat, an
der Küste Kameruns, sind Verrätereien vorge-
kommen.
Woher hat Lord Robert Cecil seine Informa-
tionen über die deutsche Kolonialpolitik? Hat er
sich bei kolonialen englischen Sachverständigen er-
kundigt, oder bezieht er seine Informationen aus-
schließlich von dem Greuelbureau, das ihm auch
das Märchen von der deutschen Leichenverwertungs-
anstalt zur Verfügung gestellt hat? Nach diesem
Glanzstück sollte er eigentlich etwas skeptisch gegen
diese Informationsquelle sein. Hat aber Lord
Cecil ehrliche englische Kenner kolonialer Ver-
hältnisse gefragt, so sagt er mit Bewußtsein die
Unwahrheit.
Ich habe oft mit Gouverneuren der afrika-
nischen Kolonien, auch der englischen, vor dem
Kriege das Thema der Eingeborenenbehandlung
besprochen. Ich weiß, wie sie über die deutsche
Eingeborenenpolitik denken, ich will die Herren
nicht nennen, denn die deutsche Anerkennung
könnte sie in den Verdacht des Hochverrats
bringen, wohin das deutsche Blut schon manchen
englischen Patrioten gebracht hat. Dieses eine
aber will ich sagen: Es herrschte unter uns volle
UÜbereinstimmung, daß die Voraussetzung für eine