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Gesamtleistungen und der eigenen Verdienste des
Kongosouveräns wird man voraussichtlich hierbei
vielfach nur auf eine Beweisführung e contrario
angewiesen sein.
Die Art und Weise, wie die öffentliche Meinung
Europas und Amerikas über die eigentlichen Ab-
sichten und Ziele des Königs lange Zeit in die
Irre geführt, wie die Eifersucht Frankreichs und
Englands im Interesse der Verwirklichung der
königlichen Pläne gegeneinander ausgespielt, wie
Portugal und Frankreich verhindert wurden, ge-
meinsam gegen die Ziele der Associatidn vorzu-
gehen, waren Meisterleistungen einer klugen Di-
blomatie.
sogar gelang, Bismarck im unklaren über die
dort gehegten Absichten zu lassen und ihn direkt
und indirekt der kongolesischen Politik nutzbar zu
machen, dafür bieten die in früheren Artikeln")
angeführten Belege genngsame Beweise. Als der
König nach diesen schweren, aber unter den Rat-
schlägen der oben genannten drei Männer erfolg-
reichen Kämpfen um das Sein oder Nichtsein des
Kongounternehmens sich von diesen treuen Rat-
gebern trennte"") und seine höchst eigene Politik
zu verfolgen begann, führte diese je länger je
mehr zu schweren Mißerfolgen. So z. B. in den
Interessekämpfen mit Frankreich und England um
die ägyptischen Aquatorialprovinzen, ja auch
schließlich in dem Streit mit Deutschland um die
Grenzen am Kiwusee.
In dieser späteren Periode konnte sich der un-
beugsame Starrsinn und der vor keinem Hindernis
zurückschreckende Optimismus des Kongosouveräns
in politischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten
ungehemmt ausleben. War schon Stanley
offenbar nie völlig in die geheimen Abisichten
Leopolds eingeweiht gewesen, so waren der Staats-
sekretär, die Generalsekretäre in Brüssel, der
Generalgouverneur in Boma bis hinab zu den
unteren Beamten nur Handlanger, die nach seinen
direkten Weisungen und Befehlen zu handeln
hatten und die keine eigene Meinung mit Erfolg
vertreten konnten. Das führte zu einer unge-
heuren, letzten Endes resultatlosen Vergeudung
von Geldern und Menschenleben, die vom Stand-
bunkt der wahren Interessen des Kongostaates
vernünftigerweise an anderen Stellen ungemein
segensreich hätten wirken können. Die äußere
*) Vgl. „Deutsches Kolonialblatt“ 1916, S. 136,
138 bis 141, 173 und die Sonderveröffentlichung „Aus
den Archiven des belgischen Kolonialministeriums“.
Berlin 1916, S. 53, 54 bis 57. 79.
*7) Sanford, der sich wegen der neuen Do-
manialpolitik des Königs mit diesem völlig überworfen
atte, starb bereits am 21. Mai 1891, Banning im
Juli 1898, Baron Lambermont am 6. Märg 1905,
General Strauch, der sich nach. Beez bei Namur
mrückge zogen hatte, am 7. Juni 1911.
Wie es den in Brüssel tätigen Kräften
Politik des Kongostaates etwa von 1889 an war
wesentlich von der, wie Wauters sie scharf, aber
zutreffend gekennzeichnet hat, „naiven“ Ideé ge-
tragen, den weitausschauenden, zielbewußten
Plänen Englands in Afrika mit Erfolg entgegen-
treten und sie zugunsten von phantastischen Pro-
jekten auf Agypten durchkrenzen zu können. Ein
Vorhaben, doppelt verwunderlich bei einem Manne,
von dem man doch annehmen kann, daß er
durch seinen häufigen Aufenthalt in England mit
dem Machtwillen und der Machtfülle Groß-
britanniens ausreichend vertraut hätte sein müssen.
20 Jahre hindurch hat das auswärtige Departe-
ment des Kongostaates notgedrungen den besten
Teil seiner Kraft und Zeit darauf verwenden
müssen, durch fortgesetzte Ableugnung und Be-
streitung von Tatsachen, die schließlich doch nicht
aus der Welt zu schaffen waren, durch kostspielige,
auf die Dauer doch vergebliche Beeinflussungs=
versuche der öffentlichen Meinung des In= und
Auslandes mittels käuflicher oder gefälliger Federn
diese politischen und wirtschaftlichen Ziele des
Königs zu stützen.
Wohl sind die ökonomischen Fortschritte, die
der Kongostaat unter Leopold gemacht hat auf
allen Gebieten, die seine Produktion fördern
konnten, überraschend schnelle und große gewesen.
Sie sind aber nicht ausschließliches Verdienst des
Souveräns, sondern sind z. B., wie die Kongo-
bahn, der Privatinitiative von Männern wie
Thys u. a. zu verdanken. Ja selbst die Mittel
und Wege, die den Kongostaat nach dem
Willen seines Schöpfers schließlich zu einem
Finanzunternehmen machten, das ihm den
höchstmöglichen Ertrag bringen sollte, scheinen
nicht immer dem Kopfe Leopolds entsprungen zu
sein. In seiner Domanialpolitik, die sich über
alle Regeln eines gesunden Kolonialwesens gleich-
gültig hinwegsetzte und als nacktes Ausbentesystem
schon deshalb zum schließlichen Scheitern verurteilt
war, ahmte er nur das in Niederländisch-Indien
bereits abgewirtschaftete Kultunrstelsel in etwas
anderen Formen nach. Und auf dieses war er
anscheinend nicht von selbst gekommen, sondern
folgte darin nur den Ratschlägen des Vizegouver=
neurs Coquilhat. Bei den Akten „42. Belgien"“
des Kolonialministeriums befindet sich unter „Ren-
seignements de la situation financière et com-
merciale de I’Etat du Conge“ eine eigenhändige,
in abgerissenen und abgekürzten Sätzen hinge-
worfene Instruktion des Königs an den Staats-
sekretär vom 6. Mai 1891, in der diesem An-
weisungen gegeben werden, wie der Kongostaat
gegen die Angriffe, die sich schon damals gegen
dessen Domanialsystem zu regen begannen, zu
verteidigen ist. Der Staatssekretär wird beauf-
tragt, nach diesem „Canevas“ eine Verteidigungs-