Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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schrift aufzusetzen, die dem Minister Beernaert 
als Unterlage bei der Vertretung der Interessen 
des Kongostaates im Falle von Angriffen gegen 
ihn in den belgischen Kammern dienen sollte. In 
dieser Anweisung heißt es: „Coquilhat aurait 
Gcrit qu'il fallait que l'Etat s'aquiert le plus 
d'argent possible. S'il a éerit cela il ne faut 
pas détacher un heller d'un ensemble. Co- 
quilhat voulait faire rendre à César tout ce 
qui est à César, ne pas laisser à d'autres 
qu'à I’Etat à moins de concessions le produit 
de ses domaines.“ 
Wenn Cäsar der feierlichen Verpflichtungen 
eingedenk gewesen wäre, die er bei der Unter- 
zeichnung der Kongoakte übernommen hatte, die 
eingeborene Bevölkerung zu schonen und ihre 
materielle und moralische Lage zu bessern und zu 
fördern, so hätte sich über eine solche Auffassung, 
daß der Staat möglichst viel Geld zusammen- 
raffen soll, noch diskutieren lassen. In Wirklich- 
keit aber dienten die aus dem Kongo fließenden 
Millionen, sehr im Gegensatz zu den in den Ge- 
burtsstunden des Staates feierlich verkündeten 
humanitären Grundsätzen, zur Förderung der 
Macht und des Glanzes der Dynastie, zur Be- 
friedigung einer nach und nach fast krankhafte 
Dimensionen annehmenden Lust an nicht selten 
eines ernsten Zweckes entbehrenden Luxusbauten 
und zu finanziellen Unternehmungen in allen 
Teilen der Welt. Für die Förderung der Ein- 
geborenen, den wesentlichen Zweck der modernen 
Kolonisation, geschah nichts. Unter dem Tröger- 
und Arbeitszwang entvölkerte sich der Kongo in 
erschreckender Weise. Die materielle Lage der 
Eingeborenen erfuhr eine wesentliche Verschlechte- 
rung, sie verarmten, die einheimische Gewerbe- 
tätigkeit verschwand, und für das Schul= und 
Bildungswesen geschah so gut wie nichts. Den 
unausbleiblichen Fehlschlag einer solchen Wirt- 
schaftspolitik hatte der Bericht der Untersuchungs- 
kommission 1905 bereits an die Wand gemalt. 
Seit Ende 1906 waren die Zustände unhaltbar 
geworden, nachdem der König die natürlichen 
Bodenschätze des Kongo an sechs Organisationen 
verteilt hatte, ein Eingriff, der Belgien für 
Menschenalter die freie Verfügung über diese 
Hilfsquellen seiner zulünftigen Kolonie entzog. 
Diese Maßnahme, unmittelbar vor der nicht mehr 
zu vermeidenden Annexion vollzogen, mußte als 
eine Art Racheakt gegen das auf seine Annerions= 
rechte bestehende Parlament ausgefaßt werden. 
Sie bewies deutlich, wie wenig dem Herrscher 
daran gelegen war, dem Mutterlande eine wohl- 
geordnete, finanziell sicher fundierte Kolonie zu 
hinterlassen, und stellte eine Verschleuderung des 
Nationalvermögens dar, die nichts mit dem Bild 
  
eines weitblickenden, umsichtigen und fürsorgenden 
Landesvaters zu tun hatte. 
Man hat den König wegen seiner ausge- 
dehnten Finanzoperationen als einen gewiegten 
Geschäftsmann und einen der hervorragendsten 
Großkaufleute bezeichnet'). Der eingangs er- 
wähnte Vorgang mit dem englischen Eisenbahn- 
syndikat ist nicht geeignet, dieses Urteil zu be- 
stätigen. Wenn die vom Kongostaat in China 
eingeleiteten ungewöhnlichen Geschäfte für ihn, 
h. für den König, vorteilhaft abgeschnitten 
haben, so“ dürfte dies wohl hauptsächlich den Rat- 
schlägen des Bankiers Empain und der „So- 
ciété générale“ zu danken sein"'). Schließlich darf 
man nicht außer acht lassen, daß die vom König 
hinterlassenen, in den verschiedensten Fonds, Stif- 
tungen und besonderen Vermögensverwaltungen 
*) Prof. Dr. A. Rathgen, der in Brüsiel Ge- 
legenheit gehabt hat, Einblick in amtliches Material 
zu nehmen, äußert ich in hiner kürglich erschienenen 
Studie über „Leopold II.“ (Der Belfried, April, „Mai- 
Heft 1917. S. 402) nach dieser Richtung, wie folgt: 
„Man hat geglaubt, Leopold II. charakterisieren zu 
können, wenn man ihn als einen smodernen Menschen- 
begeichnete. Das scheim mir durchaus schief zu sein. 
Angesichts der Millionen, die er aus dem Kongo- 
Unternehmen herauszuholen wußte, hat man ihn einen 
großen Geschäftsmann genannt. Für den Sohn eines 
Coburg und einer Orléans klingt das ja nicht un- 
wahrscheinlich. Aber Leute, die den König gelamm 
haben, versichern, daß er das eigentlich Geschäftliche 
seiner großen Finanzpläne nie recht beherrscht habe.“ 
*“) Der unermüdlich auf die Förderung der bel- 
gischen Auslandsinteressen bedachte König ließ sich alle 
Berichte der belgischen Vertreter im Ausland, die 
Mitteilungen besonders wichtiger kommerzieller Natur 
enthielten und die geeignet erschienen, das belgische 
Kapital an ausländischen Unternehmen und Geschäften 
zu interesieten unmittelbar nach ihrem Eingang und 
vor ihrer Veröffentlichung vorlegen. Er pflegte dann 
die Finanzleute seines Vertrauens „en barfaite con- 
naissance de cause- mit Mitteilungen Zu versehen. 
um sie zu veranlasien, sich an solchen Geschäften zu 
beteiligen. 
Dieses Verfahren führte natürlich zu einer Be- 
nachteiligung derienigen Geschäftskreise, die sich nicht 
der königlichen Gunst zu erfreuen hatten und brachte 
es mit sich, daß die Direktion der Handelsabteilung 
im belgischen Ministerium des Auswärtigen zuweilen 
erst verspätet Kenntnis von aktuell wichtigen Berichten 
erhielt, nachdem sie vom Palais zurückgekommen waren. 
Es gab Veranlassung zu einek Interpellation, die der 
Abgeordnete Royer im Februar 1909 — in der Kammer 
an den Minister Davignon richtete. Der Minister be- 
stritt die Richtigkeit der Behauptung, daß eine Ver' 
zögerung in der amtlichen Bearbeitung der Berichte 
durch dieses Verfahren, das dem König getattete de 
revéndiquer la primeur des rapports dip umatisne el 
consulaires. susceptibles d. a#sbeer, le monde des 
affaires- eintrete. Tatsächlich wurde es aber abgeän- 
dert und den betreffenden Dienststellen Gelegenhemt 
gegeben, zuvor summarische Kenntnis von solchen Be- 
richten zu nehmen, ehe sie in das Palais gesandt 
wurden, wie aus einer Aktennotiz des Ministerinms 
vom 25. Februar 190p hervorgeht. 
 
	        
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