Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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Tietse ausgebreitet werden kann. Der Rrieg in den 
Kolonien wird aus Gründen, die weiler unten behandelt 
werden sollen, der Ausbreitung der Tseise noch Vor- 
schub leisten, so daß ihre Bekämpfung zu den wichtigsten 
Aufgaben nach dem Kriege gehören wird, zusammen 
mit der, wie wir sehen werden, innig mit ihr ver- 
auickten Seuchenbekämpfun 
Ich möchte hier auf 9 Tierseuchenfrage in den 
Tropen gang im allgemeinen eingehen und zu dem 
Zwecke die Frage aufwerfen: Haben sich die Verhältnisse 
unter der enropäischen Schutzherrschaft gebessert oder 
verschlechter 
Zur eh iworlung dieser Frage ist man auf Schlüsse 
angewiesen, auf ergänzende Eingeborenenaussagen und 
auf Beobachtungen. Wenn man z. B. die Schilderungen 
derjenigen verfolgt, welche Ostafrika zuerst bereisten 
und sich mühsam von Stamm zu Stamm durchschlagen 
mußten, dann liest man Berichte über große Rinder- 
herden an Orten, wo man heute durch endlosen Tsetse- 
busch wandert. Einwanyrei bestätigt werden diese 
Berichte, wenn man plötzlich im Busch auf ehemalige 
Viehkrale trifft, lenntlich an den im Kreise stehenden 
Euphorbien und Fikus, welche als Palisaden eingesetzt 
wurden und angewachsen sind. Auch innerhalb der 
Dörfer findet man oft verlassene Krals, die hier aus 
geschälten Palisaden hergestellt werden. In diesem 
Fall hat man es dann mit einem vor kurzem erfolgten 
Absterben der Herde zu tun, da derartige Baulichkeiten 
sich nicht zu lange halten. Ferner tun die typischen 
Melkgefäße der Gegend, Gerät aus Kuhhörnern und 
Schuhwerk, noch den ehemaligen Züchter in jetzt vieh- 
losen Gegenden kund. Derartige Beobachtungen habe 
ich bis zur Küste herunter nach Bagamoyo, wo heute 
noch einige traurige, kranke Uberreste von Rinderherden 
im Tsetsebusch weiden. machen können. (Dort sagten 
mir die Neger, daß bis zur Wißmann-Zeit das Land 
mit Rindern bestockt war, bis fremde Rinder aus dem 
Innern eine Seuche einschleppten.) 
Ehe der Europäer das Land unterwarf und be- 
friedete, waren die Stämme untereinander verfeindet, 
und damit auch ihre Herden gegeneinander abgeschlossen. 
Trat irgendwo eine Seuche auf — etwa durch Zutrieb 
von Beutevieh —, so blieb sie eingegrenzt, richtete die 
ergriffene Herde zum Teil zugrd wurde enzootisch, 
und allmählich erholte sich die Herde wieder. Hierzu 
daß, wic oben erwähnt, die Tierzucht in großer 
Wa stand, und die Männer ihre volle Aufmerksamkeit 
auf die erkrankten Tiere richten konnten. Ich erinnere 
nur an die eingehende Kenntnis, die viele Stämme 
von den Tierseuchen haben. Die Entdeckung der 
Impfung gegen Lungenseuchen der Rinder durch die 
Massai, und die Impfung gegen die ansteckende Lungen- 
entzündung der Ziegen bei sehr vielen anderen Stämmen. 
Als Mittelafrika der europäischen Herrschaft unterworfen 
wurde, ebrte unter Einfluß der Europäer die nachbar- 
liche Fehde auf; eine größere Rechtssicherheit trat ein 
und Lemii ein lebhafter Viehhandel, der sich vielfach 
auf Tausch von Stärken gegen Ochsen gründete. Da- 
  
  
mit flackerten Epidemien auf, und Seuchenzüge gingen 
durch das Land. Oft folgte eine Seuche 
und vertilgte die Reste der Herde, so daß das Land 
von Rindern frei wurde. Bei reinen Hirten wic den 
Massai. bewirkte das Eingehen der Rinder auch Fort- 
sterben der an Milchernährung gewöhnten Stammes- 
mitglieder. Bei den züchtenden Ackerbauern trat eine 
erhebliche Sterblichkeit der Linder. ein infolge der Um- 
gewöhnung an vegetabilische K 
In den Tropen schicßt Lost. mit Ausnahme der 
lühleen und windbestrichenen Hochsteppen — in diesen 
nur an den tiefer gelegenen und feuchteren Ein- 
schnitten überall Busch auf, wo der Boden nicht 
er anderen 
unter steicr uliur oder Viehnutzung sieht. Dieser 
Entwicklung vermochie die infolge des Verlustes der 
Herde allerdings etwas vermehrte Ackerbautätigkeit der 
zusammengeschmolzenen Stämme nicht erfolgreich zu 
begegnen, bearbeitet doch die Familie für ihren Lebens- 
unterhalt enva einen Hektar im Jahre, während ein 
Rind in Afrika mindestens vier Hektar vom Busch frei- 
hält. Außerdem ist auch zu berücksichtigen, daß auch 
auf der nicht beweideten Brache Busch wieder auf- 
schießt. In dieser nun gebildeten Deckung siedelte sich 
Wild an, und mit ihm in Gegenden unter 1800 bis 
2000 m Höhenlage sein Begleiter, die Tsetsefliege. 
welche auf den Hochflächen nicht sortkommt. 
Ein ähnlicher Zustand wurde hervorgerufen, wenn 
sich dic Verwaltung geuötigt sah. zu dem äußersten 
Mittel zu greifen, um den Trotz eines Stammes zu 
brechen, nämlich ihm die Gesamtheit seines Wohlstandes. 
d. h. seiner Rinder, zu nehmen. Vom politischen Stand= 
punkte ist eine solche wirtschaftlich bedauerliche Maß- 
nahme oft geboten, vom wirtschaftlichen Standpunkte 
ist sie verwerflich. Wenn irgend angängig, sollte man 
sich daher mit einem jährlichen Tribut an Stärken 
begnügen, eine Maßregel, welche noch nachdrücklicher 
wirkt und Vieh zur Besiedlung nicht bestockter Gegenden 
freimacht. 
eenn es nun gegen die Tsetseerkrankung kein 
leicht und preiswert im großen anwendbares Heilmittel 
gibt, so haben wir meiner Meinung nach das Mittel. 
die Uberträgerin, die Tsetsefliege, zu vernichten. Es 
ist dies die Bodenkultur mit nachsolgender Viehzucht. 
Dieselben Faktoren, deren Ausschaltung die Ansiedlung 
der Fliege möglich gemacht haben, sollen zu ihrer Ver- 
nichtung dienstbar gemacht werden. Daraus folgt 
anderseits, daß das Vordringen der Isetse zu ver- 
hindern ist durch Schutz der Herden gegen Epizootien 
mittels ausreichenden, tierärztlichen Personals. 
Es ist natürlich nicht daran zu denken, riesige 
Urwaldstrecken von Tsetse zu sänbern, Orte, auf die 
die oben geschilderten Vorgänge leine Anwendung 
finden. Dort, wo heute noch Herden bestehen, deren 
Bestand immer mehr abbröckelt infolge der Tetsc. 
dort hat die Bekämpfung zunächst einzusetzen. Ferner 
fHochflächen mit tieferen Einschnitten, an deren 
bebuschten Bachläufen die Fliege die Bedingungen zur 
Larvenablage findet, von wo aus sie mit dem Wild 
in die freie Steppe wandert — auf der Nahrungs- 
suche; dort soll man anfangen, um die Steppe wirt- 
schaftlich durch Bestockung mit Vieh ausnutzen zu können. 
Ich möchte hier zwei eigene Beobachtungen ein- 
schieben, die der Bekämpfung der Tscise zu dienen im- 
ande sind. Wenn ich mit meiner Karawane in ein 
im Tsetsebusch gelegenes Dorf kam, dann folgten die 
Fliegen zwar bis in das Dorf, verschwanden aber 
nach ganz kurzer Zeit. Man sollte nun gerade das 
Gegenteil annehmen, da die Fliege am Menschen 
ebenso gute Ernährungsbedingungen findet wie beim 
Tier und von diesen auch im B Busch den ausgiebigsten 
Gebrauch macht. (Ubrigens nimmt sie den Leicht 
bekleideten lieber an, als den nackten, wahrscheinlich. 
weil sic an der Kleidung ebenso guten Halt findet wie 
an dem Laarkleid des Tieres.) — BWeshalb liebt sie 
nun das Dorf nicht? Ich kann es genau nicht sagen, 
vermute aber, daß der Geruch der menschlichen Fäka- 
lien sie vertreibt. Es würde dies mit einer Beobach- 
tung zusammenjallen, die mir ein Missionar brieflich 
mitteilte, daß Stämme im Süden Deutsch-Ostafrilas 
ihre Rinder zum Schun gegen die Tsetse mit Kot ein: 
reiben. Es ist von anderer Seite beobachtet worden, 
daß die Fliege in Bauanenpflangungen Unterschlupf 
sucht. Ich bobe das im Bukobabezirk in der Nähe von 
Tsetsebusch nie bemerkt. Möglich, daß auch dort die
	        
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